* Kapitel 5 *

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Der Wind biss Vera in ihr bereits eingefrorenes Gesicht, ihre Stiefel versanken bei jedem Schritt kniehoch im Schnee. Sie biss die Zähne zusammen. Biss sich auf die Zunge, um sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren als die nagende Kälte, die bereits in kleine stechende Schmerzen in ihren Zehen und Fingern überging.

Sie wusste, dass sie gerade erfror. Es hatte gegen kurz nach Sonnenhöchststand angefangen, der Helligkeit nach zu urteilen, die durch den kleinen Schlitz über ihrer Nase drang. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie für die Nacht rasten sollten. Die Tage der Reise wurden immer kürzer, je weiter sie kamen.

Die Welt wurde immer kälter.

Stolpernd stürzte Vera Über ein Knie in den Schnee. Ihre Hände nutzlos weiter hinter ihrem Rücken verschränkt und mittlerweile professionell, nicht mehr provisorisch, zusammengebunden, konnte sie nicht zur Hilfe nehmen, um sich abzufangen.

Ein Teil ihres linken Fußes war bereits taub und das Lederband, dass sie daran hinderte größere Schritte zu machen, damit sie nicht weglief, schnürte ihr heute stark genug das Blut ab, dass sie gewillt war den Versuch zu wagen es zu verschieben.

Beim nächsten Mal, beschloss sie, beim nächsten Mal wage ich es, so geht das nicht weiter, dennoch vertagte sie ihre Handlung und rappelte sich, über die Knie wieder auf. Rollte dafür einmal unsanft durch den mittlerweile mehr kristallisierten als fluffigen Schnee und drückte die Beine durch.

Sie hatte aufgegeben zu glauben, dass man ihr aufhelfen würde. Von ihrem Wächter hatte sie sich keine Hilfe zu erwarten.

So war es bei ihren letzten Stürzen auch gewesen. Der Wächter schien sich sogar daran zu erfreuen, sie über möglichst unebenes Terrain halb vor sich her zu schieben halb zu stoßen. Er setzte jedes Mal ein höhnisches Grinsen auf, genoss ihre Hilflosigkeit, genoss es, dass sie ihm ausgeliefert war.

Nicht, dass sie es hätte sicher sagen können.

Schließlich verhinderte das Fell über ihre Augen, dass sie auch nur das geringste sah.

Kein Uneingeweihter, der nicht den Dienst im Namen der Königsfamilie geschworen und sich des Dienens verpflichtet hatte, durfte den Weg zum Palast kennen.

Deshalb die Augenbinde.

Was jedoch auch bedeutete, dass sie keine Chance hatte ihren Weg zurückzufinden, den Weg zurück zu ihrem Dorf, ihrer Familie. Flucht wäre zwecklos.

Wie ihr Wächter sich orientierte, fragte sie sich in regelmäßigen Abständen, jedoch hatte sie nun bereits mehrfach das verräterische Entrollen von Leder gehört und vermutete im Gepäck ihres Wächters eine der raren mit in Blut gelöstem Grafit geschriebenen Karten.

Vera zweifelte insgeheim daran, dass die Binde vom ersten Tag ihres Marsches an nötig beziehungsweise gefordert worden wäre, doch ihr Wächter schien es als Teil ihrer Strafe zu verstehen.

Die Eisdienerin - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt