18. Kapitel: Erwartung und Zögern

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Kirrik war sieben Jahre alt gewesen, als sein Vater von einem Tag auf den anderen verschwand und ihn bei seinem Freund zurückliess. Jetzt, neun Jahre später, kehrte er zurück. Konnte Kirrik ihn jetzt noch seinen Vater nennen? Mehr als die Hälfte seines Lebens war er von einem anderen Zwerg aufgezogen worden. Zugegeben, von Tair Marwuk hatte Kirrik auch nicht besonders viel väterliche Liebe erhalten. Kervot war vermutlich die Person, die einem Vater am nächsten kam.

Doch solche Gedanken waren jetzt wohl nicht mehr nötig. Nor Tikkar wurde jeden Moment erwartet und mit jedem verstreichenden Augenblick wuchs Kirriks Nervosität.

Was sagte man zu einem seit neun Jahren verschollenen Vater? Oder, besser gesagt, zu einem Vater, der sein Kind neun Jahre lang verlassen hatte? Hallo, schön dich zu sehen? Nicht zu vergessen, er musste überrascht wirken, um Finekk nicht in Schwierigkeiten zu bringen.

Kirrik stiess einen schweren Seufzer aus. Da ihr Werkzeug immer noch im Wald verschollen war, hatten die Schmiede nichts zu tun, was ihn nur mit sehr viel Zeit zum Nachdenken ausstattete. Bisher war ihm jedoch kein rettender Gedanke gekommen, der ihm helfen könnte, das kommende Treffen zu überstehen. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, Finekk um Rat zu fragen, doch der hatte sich als unauffindbar entpuppt.

So viel zum Thema, Kirrik könnte immer mit ihm reden.

Missmutig rutschte er von der Mauer am Rand des Hügels, die er zu seinem Sitzplatz auserkoren hatte. Vielleicht könnte er irgendwo mithelfen. Oder er könnte sich noch einmal auf die Suche nach Finekk machen. Wo waren überhaupt Kervot und die anderen?

Die Soldaten im Lager grüssten ihn entweder mit einem Kopfnicken oder mit einem leisen Murmeln. Die Hügelkuppe war eigentlich viel zu gross für ihr kleines Grüppchen, sodass sie alle sehr verstreut waren – etwas, das Kirrik nicht unbedingt störte.

Er fand Kervot, Traver und Varik gemeinsam Rakik spielend. Kurz fragte er sich, warum sie ihn nicht gefragt hatten, ob er mitspielen wollte, der Gedanke begleitet von einem leicht unangenehmen Gefühl in der Magengegend, doch dann gestand er sich ein, dass er selbst nicht unbedingt die beste Gesellschaft gewesen war in letzter Zeit – oder jemals.

Er entschied sich, sich nicht dazwischenzudrängen und schlenderte in die entgegengesetzte Richtung. Ein paar Zwerge bemühten sich hier, ein Feuer für ihr Mittagsmahl in Gang zu bringen und murrten dabei heftig. Vorsichtig trat Kirrik näher und erkundigte sich: «Kann man etwas helfen?»

«Wir brauchen mehr Holz», antwortete einer sofort, ohne aufzusehen. Kirrik nickte, obwohl keiner der Soldaten ihn ansah und machte sich auf den Weg. Hinter dem Bach und der Stelle, an der Finekk mit ihm trainiert hatte, befand sich ein Wald, dort wollte er nach Ästen suchen.

Zuerst musste er aber an den Wachen vorbeikommen, die am Rand des Lagers patrouillierten, was sich als schwierig herausstellen könnte.

Tatsächlich hielt einer der Soldaten am Ausgang des Lagers ihn mit ausgestrecktem Arm auf. «Du solltest hier bleiben», teilte er ihm in einer tiefen, grummelnden Stimme mit.

«Ich soll Holz sammeln gehen», erklärte Kirrik. Die Wachen wechselten einen Blick.

«Dann nimm noch jemanden mit», gab der Erste schliesslich nach. Kirrik seufzte. Na toll. Missmutig blickte er umher auf der Suche nach einer Begleitung. Hinter ihm rief der zweite Zwerg einem Vorbeilaufenden zu: «Hey, Markel! Hast du was zu tun?»

Der Angesprochene hielt kurz inne und entgegnete: «Tut mir leid, ich muss zum Hauptmann, um Bericht zu erstatten über die voraussichtliche Ankunft des Kommandanten N-« er brach ab und warf Kirrik einen Blick zu, «über  die voraussichtliche Ankunft des Kommandanten.» Damit eilte er wieder weiter und liess Kirrik schmunzelnd zurück. Jetzt, da er Bescheid wusste, waren die Soldaten extrem schlecht darin, Geheimnisse zu wahren.

Seelen: In Rot GetauchtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt