Ihr Herz raste und pumpte das Blut in jeden Winkel ihres Körpers. Sie konnte die Schläge in ihren Ohren pochen hören. Ihr Blick verengte sich auf das, was direkt vor ihr lag, gleichzeitig nahm sie alles überdeutlich wahr: den unebenen Boden unter ihren Füßen, die feuchte Abendluft, das Geräusch eines auf dem Boden aufschlagenden Schwertes, alles!
Und sie hörte auch ihre Gefährten aus der Straße strömen.
Also, dachte sie bei sich. Was nun?
Sie hatte die Straße ohne den Hauch eines Plans verlassen, ohne eine Idee, wie sie ihren Leuten helfen sollte. Sich ganz offensichtlich auf deren Seite zu stellen, schien eine äusserst schlechte Idee zu sein. Auch wenn sie Andolianer waren, mochte sie die Brüder des Phönix irgendwie und wollte sie nicht entblössen. Und außerdem könnten sie in der Zukunft noch nützlich sein.
Für den Moment beschloss sie, im Verborgenen zu bleiben und ihr Bestes zu tun, um die andolianischen Pläne zu durchkreuzen.
Vor ihr bemerkte sie einen Soldaten, der über einem am Boden liegenden Mann aufragte - es war sein Schwert, das Gladria hatte fallen hören. Der Soldat hob drohend seinen Speer. In dem Moment, als er ihn niederstiess, rannte Gladria an ihm vorbei, und ganz zufällig traf ihre Waffe die seine und stieß sie weg, so dass die Klinge, die für das Herz des Mannes bestimmt war, stattdessen durch leere Luft flog.
Die Speerspitze sprühte Funken, als sie auf den Steinen aufschlug, und der Soldat fluchte ihr laut hinterher, aber sein Opfer rollte sich geschmeidig weg und floh, humpelnd, aber lebend. Aus den Augenwinkeln sah Gladria, wie er so schnell wie möglich im Schatten eines Hauseingangs verschwand.
Im nächsten Moment wurde sie von dem Getümmel von Soldaten verschluckt, das die Rebellen umgab. Sie drängte sich zwischem den Männer in Rüstungen hindurch, ohne Rücksicht darauf, ob sie deren Reihen durcheinanderbrachte, bis sie die Konfliktlinie erreichte. Hier war die Menge am dichtesten, aber auch am geordnetsten. Links und rechts von ihr standen Männer Schulter an Schulter und blickten in das Gewirr der Rebellen. Ein Mann direkt vor ihr hatte eine Axt erhoben, bereit, sie ihr in den Schädel zu rammen, hielt aber einen Augenblick lang inne, als er sie erkannte. Dann setzte er den Schlag fort, im Vertrauen darauf, dass sie ihn abwehren würde.
Sie kämpften weiter, unermüdlich und doch ziellos. Gladrias Gedanken schweiften ab, als sie bemerkte, dass der Scheinkampf ihr kaum Mühe bereitete. Zuerst versuchte sie noch, sich Pläne auszudenken, wie sie das Blatt des Kampfes wenden konnte. Sie verließ diese Gedankengänge jedoch schnell wieder, als ihr einfach keine guten Ideen einfielen. Es war so viel einfacher, sich dies als ein Duell im Schloss in Alos Phalion vorzustellen... Sonnenlicht statt Dunkelheit, Sand statt kaltem Stein, nichts als sie und ihr Gegner...
Fokus! Sie konnte es sich nicht leisten, sich ablenken zu lassen, auch wenn das einfacher war, als sich ihrer enormen Verantwortung zu stellen. Unaufmerksamkeit während eines Kampfes war gefährlich, selbst während eines vorgetäuschten Kampfes. Man könnte...
... verletzt werden, dachte sie, und eine Idee begann in ihrem Kopf zu keimen.
Wie schnell könnt Ihr gehen? fragte sie den Mann, der gerade die Straße besetzte, aus der Gladria und ihre Soldaten gekommen waren.
Ich kann wahrscheinlich schnell hinken, Prinzessin, antwortete der Mann. Er war derjenige, den Gladria zuvor gerettet hatte.
Das wird reichen müssen, schickte Gladria zurück. Geht und holt einen weiteren Trupp Rebellen hierher - und lasst Euch von niemandem sagen, dass man das nicht tun könne, weil sonst die Phönixbrüder auffliegen würden.
Verstanden, antwortete der Mann und begann sofort zu rennen, obwohl er vorhin behauptet hatte, er könne nur hinken.
Gladria richtete nun ihre volle Aufmerksamkeit wieder auf den Kampf. Der Boden war inzwischen nass und glitschig von Blut, und sie wagte nicht mehr, nach unten zu schauen, seit sie auf etwas gestanden war, das sich wie eine abgetrennte Hand anfühlte. Ihr Gegner hatte gewechselt, nachdem die Soldaten einen weiteren starken Angriff gestartet hatten. Der neue hatte ihr respektvoll zugenickt und dann begonnen, absichtlich so ungeschickt zu kämpfen, dass es fast lächerlich wirkte - offenbar hatte sich das Wissen um ihre Anwesenheit in der Gruppe der Rebellen herumgesprochen.
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Seelen: In Rot Getaucht
FantasyDie Zeit des Friedens nach dem verheerenden Krieg der Tränen ist endgültig vorbei. Ohne Vorwarnung und Provokation findet Tahjm sich plötzlich im Krieg gegen sein Nachbarland Andolien wieder. So muss sich die tahjmische Prinzessin Gladria plötzlich...