Russisch Ei

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Maxime ließ seinen Blick langsam und prüfend über die Fassade des Hotels wandern. Wenn er alle Zeichen recht gedeutet hatte, dann würde er auch hier eines finden, das ihm den Weg wies.

Es hatte mit einer Vorankündigung auf der Website des Auktionshauses begonnen. Nichts Großes, nur die sachliche Information darüber, dass das Hotel Drouot sich darüber freue, in absehbarer Zeit ein weiteres Mal seltene Schmuckstücke aus der Endphase des russischen Zarenreiches anbieten zu können. Unwillkürlich hatte der blonde Dieb dabei grinsen müssen wie der Luchs, der ihm den Spitznamen gab, denn die Erinnerung an seinen Zusammenstoß, mit dem prominentesten Käufer der letzten Veranstaltung, war ihm in bester Erinnerung. Auffällig war allerdings, dass es kein konkretes Datum gab. Dies konnte nur eines bedeuten: Die Herkunft und die Echtheit der Stücke mussten noch geprüft werden. Es waren also Dinge von aberwitzigem Wert, die womöglich nur über dunkle Kanäle wieder an das Licht der Öffentlichkeit gelangt waren. Interessant.

Als Nächstes wurden die Sicherheitsmaßnahmen im Drouot erhöht, so wie zuletzt bei jener denkwürdigen Gelegenheit, welche Maxime den Auftrag beschert hatte, der ihn im Dunkeln über die Dächer von Paris in die Suite eines gewissen Russen geführt hatte.

Kurz darauf brachte ein Männer-Hochglanz-Magazin eine Homestory mit eben diesem Mann und seinem Lifestyle in Madrid, die ihn lässig an einen marmornen Kaminsims gelehnt zeigte, auf dem eines der Faberge'-Eier stand, die in jener Nacht in seinem Besitz geblieben waren. Maxime hatte sich bei diesem Anblick die Lippen geleckt und die Seiten herausgerissen, um sie zu behalten.

Schließlich hatte er einen Anruf seines Kumpels Pierre vom Flughafen erhalten: Ein Privatjet aus Madrid war gelandet und ein großer Typ, auf den die Beschreibung passte, war ausgestiegen und nach der Flucht vor Paparazzi laut auf Russisch schimpfend durch den Zoll marschiert.

Kein Zweifel also: Kyrill war in der Stadt und wenn er so ein Tamtam veranstaltete, ging es um Faberge' und ein Wiedersehen mit Maxime. Dieser war sich vollkommen sicher, dass der Russe im selben Hotel absteigen würde, wenn nicht aus Gewohnheit, dann, weil es das beste war, und die Flasche teuren Wodkas in einem geöffneten Fenster ganz oben gab dem Dieb die letzte Information, die er noch brauchte. Voller Vorfreude grinste er bei sich, dann zog er seine Kapuze über den hellen Schopf und begab sich auf die Rückseite des Gebäudes, wo er den Weg über Feuerleitern, Fallrohre und letztendlich das Dach nahm.

Natürlich stand die Tür des Balkons offen und Maxime nahm sich einen Augenblick Zeit, um die Aussicht auf Paris zu bewundern. In der Ferne waren inzwischen die Scheinwerfer am Fuße des Eifelturms angesprungen und er ragte majestätisch hinauf in den klaren Himmel, an dem schon bald die Sterne strahlen würden. Was für ein Abend! Maxime ertappte sich dabei, das alles schon beinahe romantisch zu finden, dann schüttelte er den Kopf und die Kapuze hinunter, bevor er die Suite betrat. Sie war nur sanft indirekt beleuchtet und auf den ersten Blick war nichts zu sehen. Weder der Russe, der den diebischen Luchs regelrecht hierher bestellt hatte, noch eine potenzielle Beute. Der Wind, der lauwarm über die Dächer strich, bewegte sacht die Vorhänge und ein kaum hörbares Flattern schien das einzige Geräusch im Raum. Also war Kyrill nebenan im Bad.

Maxime konnte nicht widerstehen, hob die Wodkaflasche an und setzte sie mit einem vernehmlichen Laut wieder ab. In dem Moment öffnete sich die Badezimmertür und im Gegenlicht war die stattliche Statur des Russen unverkennbar, auch wenn er dieses Mal noch Kleider am Leib trug. Barfuß, jedoch mit einer dunklen, perfekt sitzenden Hose und einem halbgeöffneten, weißen Hemd.

„Du kommst früh, mon ami!", grüßte er, wobei der Klang seiner tiefen, äußerst männlichen Stimme zusammen mit dem russischen Akzent Maxime direkt leise schauern ließ.

Dieser lächelte über das Wiedersehen. „Werden wir sehen, wer hier früh kommt oder zuerst."

„Ihr Franzosen", raunte Kyrill im Scherz, „könnt wohl nur an das eine denken."

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