Es gibt unwirtliche, unheimliche Gegenden auf dieser Welt, die von Menschen, ja selbst von Tieren gemieden werden. Die weite sumpfige Ödnis des Dartmoors gehört dazu. Seltsame Geschichten werden darüber erzählt. So grausig, dass die wenigen, die dort ihr Dasein fristen, des Nachts die Türen ihrer Behausungen mit schweren Riegeln verschließen und darauf achten, dass auch die Fensterläden fest verschlossen sind. Es heißt, die Geister der im Moor Versunkenen würden dann umherstreifen und ihre Stimmen wären hypnotisch und lockten jeden, der sie hörte, hinein in den dunklen, feucht-kalten Tod. Die süßen Klänge von Frauen, die singen, seien dabei, hieß es. Und die Männer, die sie hörten, folgten diesem Gesang verfluchter Sirenen und gingen freudig ihrem unausweichlichen Schicksal entgegen. Andere Rufe schallten wie das Lachen junger Männer über das Moor, die dazu einluden, sich ihrem Freundeskreis anzuschließen oder auch wie das sehnsüchtige Klagen eines leidenden Geliebten. Solch einem Ruf bin ich gefolgt. Damals, als ich noch unter den Lebenden weilte.
Es war eine dunkle, sternen- und mondlose Nacht und ich lag nach langer, erschöpfender Arbeit, draußen bei den Schafen meines Vaters, in einem schweren, traumlosen Schlaf. Warum ich dennoch diese Stimme vernahm, das weiß allein der Teufel. Sie kam von draußen, vom Moor und sie drang durch die dicke hölzerne Luke bis tief in meinen Schlummer und ließ mich bebend erwachen. Mein Herz klopfte wie wild und eine Hitze erfüllte meinen ganzen Leib, die ich so zuvor nicht gekannt hatte. Ich war erregt, ohne zu begreifen warum, denn das war eine männliche Stimme, die nach mir rief und noch nie hatte ich auch nur den flüchtigsten, sündigen Gedanken über jemanden meines eigenen Geschlechts gehegt.
„Locryn", kam sie mit dem Wind, der durch die Ritzen des Holzes in meine Kammer drang. „Locryn, komm, ich warte auf dich ..."
Wie seltsam, dass es mir damals nicht auffiel. Woher kannte die Geisterstimme in den Lüften meinen Namen?
„Locryn, finde mich und höchste Wonnen sollen dir zuteilwerden. Finde mich ..."
Ich widerstand dem Drang, mich selbst zu berühren, obwohl die Männlichkeit zwischen meinen Beinen pulsierte und schmerzhaft danach verlangte, befriedigt zu werden. Doch eine noch größere Neugier ließ mich im Bett auffahren. Voller Ungeduld erhob ich mich und hörte meinen eigenen, aufgeregt hechelnden Atem noch lauter als die Rufe, die über das Moor hallten. Nun hielt mich nichts mehr. Als hätte ich den Verstand verloren, entriegelte ich die Luke. Ein eiskalter Wind kam mir entgegen als ich sie aufstieß. Er fuhr durch mein Haar und ließ meine Brustwarzen hart werden. Doch er kühlte mich nicht ab, er steigerte meine Hitze. Nackt wie ich war, stieg ich zum Fenster hinaus und folgte den verheißungsvollen Lockrufen:
„Locryn, mein Geliebter, finde mich ... ich brauche dich ... ich will dich ... spüre mich ... Locryn ..."
Draußen ließ mich der dichte Bodennebel kurz zögern. Irgendwo in meinem Verstand vernahm ich eine Warnung, die da lautete, dass es vollkommen irrsinnig war, über das Moor zu gehen, wenn ich nicht einmal sah, wo meine Füße auftraten. Ohne Kleider, ohne Laterne, ohne jemandem zu sagen, wohin ich mich wandte. Letztes wusste ich selbst nicht. Die Geisterstimme rief indes immer lauter und gequälter nach mir und fand ihr Echo in meinen innersten und animalischsten Trieben:
Ich komme ... ich eile ... ich verzehre mich nach dir ... hole mich ... nimm mich ...
Nichts anderes war mehr von Bedeutung. Nicht die Kälte oder die Undurchdringlichkeit der Nacht, nicht der Schmerz in meinen blutig aufgerissenen Füßen. Ich strauchelte, Dornen und Sträucher schnitten in mein Fleisch, doch nichts hielt mich auf.
Mit einem nächsten volltönenden Ruf meines Namens erreichte ich den Kamm eines Hügels, wo ich kurz innehielt, um zu schauen, wo mich mein verzweifelter Geliebter erwartete. Irgendwo in der Senke war es. Ein paar alte, knorrige Äste ragten dort aus dem gespenstisch wabernden Dunst heraus. Dazwischen bewegte sich etwas. Das musste er sein! Fast schien es, als treibe oder schwebe er zwischen den toten Bäumen. Rabenschwarzes Haar umspielte sein unbekanntes und doch so vertrautes Gesicht, in dem seine Augen mir ebenso schwarz erschienen wie geheimnisvoll. Seinen prächtigen Leib schmückten Bilder und Muster, welche die Kraft seiner Muskulatur hervorhoben und sein Gemächt war in Erwartung unserer Vereinigung bereits zu voller Größe aufgerichtet. Jetzt wollte ich nach ihm rufen, doch sein Name war mir unbekannt. Aber da hatte er mich auch schon entdeckt und streckte seine Hand zum Gruße aus. Sie schien mir plötzlich dürr und verkrümmt, wie das Geäst. Meine Sinne mussten mich täuschen.

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Black Velvet
Short StoryHinter dem schwarzen Samt verbergen sich erotische Kurzgeschichten, die in der "Mitternachts-Challenge" auf Belletristica entstehen. Sie sind inspiriert von einem sexy Bilder-Prompt, zu dem dann meine Fantasie ihren Lauf nimmt. Meist dreht sich dabe...