Black Velvet

Nighttime Daddy

Zuerst vibrierte unversehens das Gerät an seinem Handgelenk, dann sah Logan das Symbol für SexCom auf dem Display neongrün blinken. Der junge Mann war überrascht. Seine Kontaktsuche war erst seit dem Morgen im System und er hatte so bald nicht mit einer Anfordnung gerechnet. Er schaute hoch zum künstlichen Firmament unter der Kuppel und ihre Beleuchtung verriet, dass es noch Nachmittag war. Alles andere wäre auch unsinnig, denn er war noch bei der Arbeit. Logan war Techniker und seine Aufgabe bestand darin, die Leuchtkristalle im Neonpark zu überprüfen und defekte auszuwechseln. Er vergewisserte sich, dass es wirklich die SexCom war, die eine Nachricht enthielt. Unversehens überkam ihn ein abwechselnd heiß-kaltes Schauern und er blickte sich um, ob er allein war: Zwischen den vielfarbigen Hecken des künstlichen Gartenlabyrinths war niemand sonst zu sehen. Also öffnete er die Nachricht.

„Daddy 27/85/c" war zu lesen. Ein Treffer. Unwillkürlich musste Logan blinzeln. Natürlich war es einer der Daddys, der ihn zu sich bestellte. Nur den Angehörigen dieser privilegierten Kaste war es überhaupt erlaubt, einen Sexpartner gleichen Geschlechts zu wählen, um sich mit ihm zu vergnügen. Sie galten als unfehlbar, und alles, was sie taten, wurde toleriert. Dafür dienten sie den High Ghosts mit ihrer ganzen Loyalität. Ein Boy wie Logan, musste eine Erlaubnis einholen, wenn er sich paaren wollte, und ein genetisch passendes Girl würde ihm per SexCom zugewiesen. Doch hatte er kein Verlangen danach. Stattdessen hatte er sich für einen Daddy angeboten.

Ein solches Arrangement war seinerseits ein Blind Date. Logan hatte sein HoloPic in die Anfrage gepostet, damit er ausgewählt würde. Der Daddy blieb gänzlich anonym. 27/85/c, das waren die Koordinaten für ihr Treffen. C, das bedeutete, der Mann erwartete ihn in einem der Penthäuser. Logan zögerte. Ja, er wollte unbedingt Sex, denn er war jung und gesund, die Arbeiten eines Boys waren ebenso wenig eine Herausforderung wie sein Training im Gegenstrompool des Neonparks. So manche Nacht lag er wach, wälzte sich herum und schrie stumm ins Kopfkissen. Die Kuppel war zu klein, ihre Gesellschaftsordnung zu starr für mehr Diversität, doch das konnte Logan nicht ahnen. Er betätigte das Treffen.

Es gab Gerüchte, die man sich nur hinter vorgehaltener Hand erzählte: Dass es vor der Katastrophe eine andere Welt gab. Größer, mit natürlichem Licht, frischer Luft. Dort gab es Dinge, die sich nun keiner mehr vorstellen konnte. Sie wurden Tiere genannt und Pflanzen. Und Menschen kamen aus Zuneigung und Liebe oder einfach Lust zusammen, nicht durch die SexCom. Das klang nach mangelnder Kontrolle und Hygiene, das war Anarchie.

Als Logan am Abend die Programmierung in den Transporter eingab, kamen ihm - wie jedes Mal - Zweifel. Was, wenn der Daddy ein abstoßender Grobian war, den nicht mal die Pheromone aus seinem Raumluftzerstäuber erträglich machten? Was, wenn das eine Falle war und sich die High Ghosts entschieden hatten, Boys wie ihn direkt in die Erneuerungsanlage zu schicken? Was, wenn diese Anlage nicht erneuerte sondern vernichtete?

Der Transporter fuhr an, beschleunigte und würde erst am Ziel seine Türen öffnen. Bis dahin war Logan gefangen. Er versuchte, sich zu entspannen, warf einen CalmShot ein, der sogleich Wirkung zeigte. Sein Puls fuhr herunter, ihm wurde warm. Ganz sicher hätte der Daddy auch etwas da, um sich und seinen Boy in Stimmung zu bringen. Eine Situation wie diese, wo sich zwei völlig Unbekannte nur für einmaligen Sex trafen, war unnatürlich genug - obwohl niemand mehr dieses Wort benutzte - und erforderte ein, zwei Hilfsmittel.

Mit einem digitalen Klingelton stoppte der Transporter. Logan hielt die Anzeige des SexCom an den Türöffner, der sogleich entriegelte. Die Tür des Penthauses bei Koordinate 27/85 gleich dahinter schob sich ebenfalls auf.

„Komm herein", rief ein Mann, den Logan gleich entdeckte. „Es sei denn, du willst nicht mehr."

Logan blinzelte. Nach einem CalmShot war seine Sicht immer etwas verschwommen. Dann fokussierte sein Blick den Daddy. Was Logan sah, gefiel ihm: ein hochgewachsener, kräftiger blonder Mann mit dem Anflug eines Lächelns in einem ausdrucksstarken Gesicht. Er schaute Logan gleichsam neugierig und aufmunternd an, sodass dieser sich bei dem Gedanken ertappte, dass er es genießen könnte, was sie miteinander tun würden, wenn ... Entschlossen trat er also ein.