Blind Date um Mitternacht

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Kaum hatte Cìaran den Taxifahrer bezahlt, da kamen ihm ernsthafte Zweifel an diesem, seinem Vorhaben. Es war immerhin sein erstes Blind Date und schon allein die Tatsache, dass es um Mitternacht stattfand, signalisierte nur allzu deutlich, dass es auf Sex hinauslaufen sollte. Nun, er war ganz bestimmt kein Kind von Traurigkeit in der Hinsicht, doch für gewöhnlich lernte er die Typen auf einer Party oder in einem Club kennen und der Ausgang war nicht von vornherein klar. Das hier war anders in jeder Hinsicht. Er hatte den Bierdeckel mit der Telefonnummer eines Pat in seiner gelb-schwarzen Lederjacke gefunden, nachdem er sie im „Oz" vergessen hatte und erst Tage später dazu kam, sie abzuholen. Aus Neugier und weil er sich nicht erinnern konnte, hatte er einen WhatsApp Chat gestartet. Natürlich hatte der andere ihn gesehen, als er in den Club gekommen war und fand ihn, auffallend groß und mit dunklen Locken, heiß, doch Cìaran war in einer Gruppe gewesen, also hatte Pat sich nicht getraut, ihn anzusprechen. Leider konnte sich Cìaran überhaupt nicht entsinnen, ob er an dem Abend mit seinen Kollegen von irgendwem angeschaut oder angelächelt worden war.

Der schüchterne Bewunderer erwies sich im Chat als gar nicht so schüchtern. Zumindest hatten sie sehr schnell geklärt, dass sie in keiner Beziehung steckten und auch gerade nichts Festes suchten. Pat schrieb von „vorher sich ausprobieren und herausfinden, wer er eigentlich ist", Cìaran gab zu, kein „Boyfriend"-Material zu sein. Letzteres war so ehrlich, wie er in dem Zusammenhang werden wollte. Oder hätte er etwa zugeben sollen, dass er von seinem letzten Freund so schwer enttäuscht worden war, dass er von all dem Untreue- und Beziehungs-Scheiß erstmal so richtig den Rand vollhatte? No way! Also warum kein Blind Date, wenn Pat es vorschlug und noch dazu ein Geheimnis daraus machte, was Cìaran erwarten würde.
Etwas nervös näherte er sich dem Eingang des Shard-Gebäudes. Er war schon ein paar Mal hier gewesen und kannte sich aus. Was ihm gefiel war, dass Pat vorgeschlagen hatte, sich in der Brasserie im Sky Garden zu treffen. Die Location war perfekt. Chic und laid back, nicht so protzig wie ein Restaurant und nicht so trubelig wie ein Club. Und obenauf die perfekte Aussicht auf London.

Im Aufzug prüfte Cìaran noch einmal, ob sein rabenschwarzes Haar den gewünschten, etwas wilden Struwwel-Look machte und fand sein Outfit noch immer perfekt. Die Jeans war lässig und setzte seinen Knackarsch nicht zu offensichtlich in Szene, das schlichte weiße T-Shirt stand in coolem Kontrast zu dem mitternachtsblauen Jackett, sodass alles zusammen nicht overdressed wirkte und eher auf Understatement setzte. Als Erkennungszeichen hatte er angeboten, eine Piloten Sonnenbrille in die Hand zu nehmen. Pat dagegen war an einem roten Schal zu erkennen und hatte ihn mittlerweile angeschrieben und ihm mitgeteilt, dass er einen Fensterplatz auf zwei Uhr mit Blick zum Eingang eingenommen hatte. Die Spannung stieg.

Als Cìaran die Brasserie betrat, blieb er kurz stehen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Er vernahm die sanften Klänge eines Pianos, was dem hohen Raum eine angenehme Atmosphäre verlieh. Zur rechten Seite befand sich eine großzügige Bar mit glänzenden Spiegeln und ledernen Hockern, an denen ein Cocktailmixer seinen Job machte. Überall zwischen den edlen Sitzgarnituren standen Palmen und Orchideen in Kübeln. Farbige Leuchten sorgten elegant für violette und türkise Lichteffekte hier und da. Das eigentliche Highlight aber war die riesige, moderne Glasfront, hinter der London und die Themse bei Nacht schimmerten. Davor, etwas erhöht auf einer Balustrade, waren die Fensterplätze, von denen Pat schrieb. Cìaran konnte auf die Entfernung nicht viel erkennen, doch an zwei Tischen saßen einzelne Gäste, einer von ihnen musste es sein. Entschlossen machte er sich zu ihnen auf den Weg.

Einer von den zweien schied sofort aus. Das war ein älterer Typ, der am Handy herumfummelte und keinen roten Schal trug. Der Zweite ... musste auch ein Irrtum sein, denn es war eine ausnehmend hübsche junge Frau mit rotblondem, langem Haar. Sie trug ein luftiges Sommerkleid in einem Gelb wie dem von Cìarans Jacke und einen roten Schal um die Schultern. Als sie Cìaran sah, lächelte sie und deutete dezent auf die Sonnenbrille in seiner Hand. Ihm gelang es irgendwie den ersten Moment der Überraschung zu umspielen, indem er charmant zurücklächelte. In seinen Gedanken rotierte es jedoch. Wie um alles in der Welt war er hier mit einer Frau gelandet? Hatte er in den WhatsApp Nachrichten etwas übersehen? Falsch interpretiert? Oder sie? War irgendetwas unklar gewesen in seinen Formulierungen? Oh Fuck!
„Du musst Cìaran sein. Es freut mich sehr!", eröffnete sie die Begrüßung und strahlte ihn an. Das Lächeln war zugegebenermaßen umwerfend und da war etwas in ihrer Stimme ...
Er entschied, dass es nicht nur unhöflich, sondern verletzend sein könnte, wenn er nicht wenigstens zum Essen blieb und ihr schonend beibrachte, dass ein ziemlich krasser Irrtum vorlag. So nickte er freudig zur Begrüßung, reichte ihr die Hand und setzte sich ihr gegenüber.
„Und du bist Pat. Freut mich, dich kennenzulernen. Ich habe dich gleich erkannt", flunkerte Cìaran und hoffte, dass sie es nicht bemerkte. „Hast du schon gewählt?"
„Und ob ich das habe", betonte sie, zwinkerte ihm dabei zu und ging ohne Übergang mächtig ran. „Was ist mit dir?"
Er spielte auf Zeit. „Ich weiß noch nicht. Gibt es hier eine Spezialität, die du empfehlen kannst?"
Sie lächelte noch immer und hielt ihm eine Speisekarte hin. „Wenn du das Essen meinst, schau hier nach."

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