Moskau II

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„Nee, lass mal", rede ich mich heraus und setze mich kurzerhand auf den harten, gefliesten Badezimmerboden. „Ich schwimme nicht so gern in meiner eigenen Suppe."
Milan verzieht angewidert sein Gesicht und stellt die Tasse auf dem Rand der Wanne ab. „Wenn du es so sagst, fühle ich mich wie ein Suppenhuhn."
„So heiß, wie das Wasser ist, bist du sicherlich auch bald durch", lache ich.
„Auf jeden Fall spüre ich wieder langsam etwas in meinen Gliedmaßen", seufzt Milan, lehnt entspannt seinen Kopf zurück und schließt seine Augen.

Schüchtern beobachte ich ihn und muss mir erneut ein Seufzen verkneifen. Ich höre etwas rhythmisch brummen und Milan stöhnt genervt auf.
„Was ist los?", frage ich. „Soll ich dein Handy holen?"
„Nein", grummelt er. „Lieber nicht. Das ist sicherlich nur Chad."
„Chad?"
„Ja, er und Sam haben sich getrennt."
„Oh. Das tut mir leid."
Milan zuckt mit den Schultern.
„Es war ja absehbar. Aber er ist gerade etwas... einsam und das nervt vielleicht ein wenig."
„Weil er Redebedarf hat?"
Milan lacht leise auf und murmelt dann genervt: „Redebedarf und Sex-mit-dem-Ex-Bedarf."

Ich schlucke schwer und versuche, mir nichts anmerken zu lassen, als ich sage: „Oh."
Denn mehr fällt mir dazu nicht ein. Milans Augen öffnen sich langsam und sehen mich an.
„Und jetzt schreibt er mir ständig und fragt, wann ich wieder in New York bin und dass er mich vermisst", beschwert er sich.
„Naja", murmele ich möglichst unverfänglich und schlürfe von meinem heißen Tee. „Er weiß, was er an dir hat und vielleicht merkt er jetzt, dass es ein Fehler war, dich gehen zu lassen."

„Ach nee", winkt Milan ab. „Das ist typisch Chad. Nach jeder Trennung von ihm landen wir wieder in der Kiste und sobald er jemand Neuen hat, ist er wieder zurück auf dem Mein-guter-Freund-Milan-Trip."
Etwas zu laut stelle ich meine Tasse auf dem Unterteller ab und stehe abrupt auf.
„Was ist jetzt?", fragt Milan verwirrt und sieht mich erschrocken an.
„Ich... äh... hole uns mal die Speisekarte. Hast du Hunger?", rede ich mich heraus.
„Hast du nicht schon Suppe da?", erinnert er mich.
„Ja, aber... die ist ja schon längst kalt und dann schmeckt sie nicht mehr und ich hab ohnehin keine Lust auf Suppe", lüge ich und flitze ins Hotelzimmer, um die Speisekarte herauszusuchen.

Ich blättere durch die laminierten Seiten und versuche dabei, meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Wir sind nur Freunde. Ist doch schön, wenn er sich mit seinem Exfreund noch so gut versteht, dass sie sogar unverfänglichen Sex haben können. Unverfänglichen, heißen, hemmungslosen... huch, jetzt ist da eine der Seiten herausgerissen.

Ich reibe mir mit meinen Händen über mein Gesicht und hole tief Luft.
„Gibt's nur schreckliche Dinge oder sowas Gutes, dass du die Seite gleich behalten willst?", fragt Milan lachend hinter mir und als ich mich umdrehe, steht er pitschnass und nur mit einem weißen Handtuch um die Hüften da.

„Äh... nur Schlimmes", stammele ich und sehe auf den Boden. „Vielleicht gehe ich runter zu dem Supermarkt an der Ecke und schaue, was es dort gibt."
„Spinnst du, Raphael? Es sind bestimmt minus achtundzwanzig Grad da draußen."
„Ach Quatsch", winke ich ab und greife meinen Mantel. „Du übertreibst mal wieder maßlos."
„Raphael, rennst du vor mir weg?", will Milan nun wissen und ich halte kurz inne.
„N-Nein, wieso sollte ich?", weiche ich aus.
„Du machst gerade einen sehr flüchtenden Eindruck. Hab ich was Falsches gesagt?"
„Nö", lüge ich und wickele mir meinen Schal um den Hals, obwohl mir jetzt schon unnatürlich heiß ist.

Der halbnackte, nasse Mann meiner Träume, der leider nur mein guter Freund ist und nebenbei immer heißen Sex mit seinem gutaussehenden, charmanten Ex hat, kommt langsam auf mich zu und blickt mich prüfend an.
„Ich hab nichts mit Chad", sagt er nur und ich hebe abwehrend meine Hände.
„Okay", sage ich betont fröhlich. „Geht mich auch nichts an. Ich hol uns mal was zu essen. Bis gleich."
Damit rausche ich aus der Tür und lasse den halbnackten Milan mit seinem Handtuch in meinem Hotelzimmer stehen.

Leider hat Milan nicht übertrieben, was die Temperaturen betrifft, denn sobald ich auf die Straße trete, habe ich das Gefühl, dass meine Nase von innen zufriert. Die Kälte prickelt auf meinen erhitzten Wangen und ich eile in Richtung des Supermarktes in der Nähe des Hotels. Daneben entdecke ich einen Pizzalieferanten und beschließe, dass dies wohl die bessere Idee ist. Außerdem kann ich mich dann beruhigen, solange ich auf die Pizza warte.

Ich ziehe mein Handy aus meiner Manteltasche und schreibe Milan.

Milan

Hier gibt's Pizza. Was für
welche möchtest du?

Die Suppe ist noch heiß,
Raphael.

Ich will aber Pizza. Du
auch?

Dann gerne eine mit
Schinken.

Es gibt nur Hawaii, die
Schinken drauf hat.

Sehe ich aus wie ein
Axtmörder?

Willst du darauf eine
ehrliche Antwort?

Dann nur eine
Margherita.

Okay. Dauert 20
Minuten.

Was? So lange?

Willkommen in
Moskau.

Dann komm doch zurück.

Nein, ich warte hier.
Der Pizzaofen ist schön
warm.

Das ist vielleicht der Fall, aber besagter Pizzaofen ist weit hinten in der Küche, während ich in einem spärlich ausgestatteten Vorraum stehe, der nicht einmal über eine Heizung verfügt.

In zusammengekratztem Russisch bestelle ich zwei Pizza Margherita und bezahle, bevor ich mein Handy hervorziehe und Liv schreibe.

Liv

Chad und Sam
haben sich getrennt.

Oh, das habe ich schon
geahnt.

Und Chad will es
wieder mit Milan
versuchen, wie es
aussieht.

Oh. Woher weißt du das?

Von Milan.

Er ist bei dir?

In meinem Hotelzimmer.

Oh Raphael! Ich freu mich
so für euch!!

Nein, Liv! Nicht so! Nur
als Freunde.

Was?

Die Heizung in seiner
Pension ist kaputt,
darum hab ich ihm gesagt,
er soll zu mir kommen.

Und wo bist du jetzt?

Ich bin geflohen.

Wieso?

Weil er nackt war und von
Sex mit Chad geredet hat.

Er hat Sex mit Chad?

Komplizierte Geschichte.

Und wieso war er nackt?

Weil er gebadet hat.

Und warum fliehst du, wenn
er nackt ist?

Weil wir nur Freunde sind?!
Hallo?!

Oh Raph, du musst es ihm
sagen.

Was muss ich ihm sagen?

Dass du hoffnungslos in
ihn verschossen bist.

Ganz bestimmt nicht, Liv.

Aber Raph, so kann es nicht
weiter gehen.

Der russische Pizzabäcker ruft mich laut und ich stecke mein Handy ein, obwohl es mit einer weiteren Nachricht vibriert.
„Spasiba", sage ich und nehme die beiden Kartons entgegen, bevor ich Liv eine weitere Antwort schicke.

Er wird nicht erfahren, dass
ich in ihn verliebt bin. Nicht von
dir und ganz bestimmt auch
nicht von mir!

Dann verlasse ich den Pizzaladen und eile zurück ins Hotel.

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