Als ich mit den beiden Pizzakartons zurück in mein Hotelzimmer komme, sitzt Milan inzwischen wieder angezogen auf dem ausziehbaren Sofa und starrt auf sein Handy.
„Hey", mache ich und schüttele mich kurz, denn noch immer sitzt mir die Kälte in den Gliedern.
„Hey", erwidert er und schaut mich fragend an.
„Was ist?", kommt es von mir, denn sein Blick beunruhigt mich.
Milan hebt sein Handy und sagt leise: „Falscher Chat oder willst du mich aufklären, wem ich nicht sagen soll, dass du in ihn verliebt bist?"Gefühlt rutschen all meine Organe eine Etage nach unten und ich habe das Gefühl, mir wird schwindelig. Scheiße!
„Ich... äh... falscher Chat", stammele ich und beginne hastig, meinen Mantel auszuziehen.
„Okay", murmelt Milan und steckt sein Handy weg. „Wow."
Ich runzele die Stirn. Was ist denn jetzt los?„Bist du jetzt sauer?", frage ich und er zuckt mit den Schultern.
„Nun... ja."
„Und warum das?", möchte ich wissen und wickele auch meinen Schal vom Hals, obwohl ich mich am liebsten damit erhängen würde.
„Ich weiß nicht", brummt er zynisch und stützt seine Ellbogen auf seine Knie. „Vielleicht weil ich dachte, dass wir über alles reden können und ich dir ja auch meine Sachen erzähle und jetzt kommt raus, dass du verliebt bist und mir nichts davon erzählst und das verletzt mich schon etwas, weil ich dachte, du vertraust mir."Mit großen Augen sehe ich ihn an. Ich weiß, das wäre jetzt vermutlich die Gelegenheit, ihm reinen Wein einzuschenken, aber die Tatsache, dass er mehr auf Grund meines mangelnden Vertrauens enttäuscht ist und nicht etwa, weil ich nicht in ihn verliebt sein könnte, lässt mich genau das nicht tun.
Ich rolle also genervt mit den Augen und setze mich auf mein Bett, genau Milan gegenüber.
„Ich habe nichts gesagt, weil es nichts zu sagen gibt", erkläre ich ruhig.
„Du bist verliebt, Raphael", seufzt er. „Da gibt es sicherlich eine Menge zu sagen. Da kann man doch praktisch von nichts anderem reden."
„Es wird aber nicht erwidert!", gehe ich barsch dazwischen und Milan zuckt zusammen. „Ende der Geschichte."„Für mich nicht", bohrt er nach. „Wer ist er? Woher weißt du, dass er nicht ebenso fühlt? Ist er dumm oder sowas?"
Ich seufze und ziehe die Pizzakartons zu mir heran, bevor ich ihm einen davon reiche.
„Er ist nicht dumm, er ist sogar sehr schlau. Und er hat mehr als deutlich gemacht, dass da nichts zwischen uns sein wird."
„Wie kannst du dir da so sicher sein?", hakt Milan nach und beißt in sein erstes Pizzastück. „Ich meine, schau dich mal an. Du bist unfassbar attraktiv, witzig, intelligent."Wieder rollen meine Augen und ich winke ab.
„Lass einfach gut sein, Milan."
„Hattet ihr Sex?"
„Was?"
„Hattet ihr Sex? Ich meine, du bist eine absolute Granate im Bett. Wenn er Sex mit dir hatte, wird er dich nie wieder gehen lassen wollen."
Ich lasse das Pizzastück, das ich in meiner Hand halte, zurück in den Karton fallen und starre ihn an.„Sorry", murmelt er mit vollem Mund. „Ich meine ja nur."
„Okay, du–", beginne ich, doch genau in diesem Moment klingelt mein Handy brummend in meiner Tasche. Milan sieht fragend zu mir, als ich den Anruf der mir unbekannten Nummer annehme.„Andrews?"
„Spreche ich mit Raphael Andrews?", fragt mich eine männliche Stimme in schlechtem Englisch am anderen Ende.
„Ja, der bin ich."
„Mr. Andrews, Ihre Mutter wurde heute hier ins Kuala Lumpur Hospital eingeliefert und Sie stehen als ihr Notfallkontakt in ihren Unterlagen."Entsetzt springe ich auf, die ganzen Pizzastücke fallen auf den Teppichboden vor meinem Bett.
„Was ist passiert?", rufe ich ins Telefon. „Geht es ihr gut?"
„Mr. Andrews, ich muss Sie bitten, so schnell wie möglich herzukommen. Ihre Mutter muss vermutlich in ein Krankenhaus verlegt werden, welches besser auf neurologische Fälle spezialisiert ist, aber dafür müssten einige Formalitäten erledigt werden."
„Natürlich, natürlich", presse ich hervor und laufe aufgeregt auf und ab. „Ich komme so schnell wie möglich. Kann ich Sie unter dieser Nummer erreichen?"
„Ja, fragen Sie nach Dr. Musa."Milan sieht mich erwartungsvoll an, als ich den Anruf beende und sofort die Nummer meiner Fluggesellschaft wähle.
„Was ist los?", will er wissen.
„Meine Mutter", sage ich nur und hebe die Hand, um ihn verstummen zu lassen, als mein Anruf angenommen wird. „Diane, ich bin's Raphael. Ich brauche von dir einen Plan, wie ich schnellstmöglich von Moskau nach Kuala Lumpur komme."„Kann ich was tun?", flüstert Milan mir aufgeregt zu und ich forme mit den Lippen „Liv". Er nickt verstehend, greift sein Handy und ruft meine Freundin an.
•••
Drei Stunden später sitzen Milan und ich im Taxi auf dem Weg zum Flughafen. Wir haben uns die Ohren blutig telefoniert, denn ich musste Ersatzpiloten für meine nächsten Routen organisieren – glücklicherweise war Dave Friggs gerade in St. Petersburg und schuldete mir noch einen Gefallen nach der Sache in Namibia – und mir von Diane Tickets für die nächsten Flüge erstellen lassen, damit ich so schnell wie möglich zu meiner Mutter komme.
Milan hingegen informierte Liv, die ebenfalls bei der Suche nach Ersatzpiloten half, in dem sie alle Kontake spielen ließ, denn bislang ist nicht klar, wie lange ich ausfallen werde. Ich reichte sofort für mindestens eine Woche Urlaub ein und als Milan mir wortlos beim Packen half, war ich ihm mehr als dankbar.
„Danke, dass du mir hilfst", sage ich mit erstickter Stimme und er greift meine Hand, die zwischen uns auf dem Rücksitz liegt.
„Jederzeit", murmelt er.
„Und wo schläfst du jetzt?", frage ich und er schmunzelt.
„Im Flieger."
„Wohin fliegst du?", will ich wissen.
„Kuala Lumpur", ist seine Antwort und ich sehe ihn verblüfft an. „Ich hab die Route gehört, die dir genannt wurde und Liv hat mir Tickets besorgt."
„Aber... du musst arbeiten. Was ist mit deinem Shooting?", entgegne ich besorgt.
„Scheiß auf das Shooting, Raphael. Ich kann dich doch nicht allein lassen, wenn du vor Sorge um deine Mutter fast umkommst. Ich weiche nicht von deiner Seite."Ich schlucke schwer und nicke, während ich mich bemühe, die Tränen hinter meinen Augen zurückzukämpfen. Milan hingegen lächelt mich aufmunternd an und drückt meine Hand ganz fest, um mir zu zeigen, dass er für mich da ist und es auch bleibt.
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Weltenbummler | ✓
JugendliteraturEuropa, Südamerika, Asien - Raphael ist in seinem Beruf auf allen Kontinenten unterwegs. Was passiert, wenn ihm dabei jemand begegnet, der ihn zumindest für eine kurze Zwischenlandung seine Einsamkeit vergessen lässt? Hinweis: Erwachseneninhalt, für...