Kuala Lumpur III

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„Also, was ist das jetzt nochmal und wo bekomme ich das in den Staaten?", fragt Milan kauend.
Lachend beobachte ich ihn, wie er den Kokosreis mit Sambal, Ei, Erdnüssen und getrocknetem Fisch in sich hineinschaufelt.
„Nasi Lemak", erkläre ich. „Und vielleicht koche ich es mal für dich, wenn wir zeitgleich in New York sind."
„Du kannst das kochen?", fragt Milan ehrfürchtig und ich zucke bescheiden mit den Schultern.
„Meine Mom hat es mir beigebracht, damit ich mir immer etwas von zu Hause machen kann, sollte ich Heimweh haben", murmele ich.
„Gott, bitte heirate mich", stöhnt Milan und schiebt sich einen weiteren vollen Löffel in den Mund.

Mit großen Augen starre ich ihn an und er runzelt kurz die Stirn, bis ihm offenbar klar wird, was er gerade gesagt hat.
„Sorry, das ist einfach zu gut", nuschelt er und grinst, obwohl sein Mund so voll ist.
Ich zwinge mir ebenfalls ein Lächeln auf und rühre weiter auf meinem Teller herum.
„Also", lenkt Milan vom Thema ab, nachdem sein Mund wieder leer ist. „Du kommst ursprünglich von hier?"

„Nein, meine Mom ist gebürtig aus Kuala Lumpur", erkläre ich. „Sie ging mit meinem Dad nach New York und dort bekam sie mich. Ich bin in New York aufgewachsen und zur Schule gegangen."
„Wo ist dein Dad?"
Ich seufze.
„Er starb, als ich dreizehn war."
„Raphael, das tut mir leid", flüstert Milan und legt seine Serviette neben seinem Teller ab.

Ich zucke mit den Schultern und fummele am Etikett meiner Sodaflasche herum.
„Es war bei einem Flugzeugabsturz. Meine Mom hat es nie ganz verwunden und seitdem keinen anderen Mann mehr angesehen. Erst als ich zur Pilotenschule ging, ging sie zurück nach Malaysia. Sie war nur meinetwegen in New York geblieben, um mich nicht zu entwurzeln."

„Wow", macht Milan. „Das ist... ich bin sprachlos."
„Schon okay", lächele ich matt. „Sie war außer sich, als ich ihr meinen Berufswunsch darlegte, aber ich habe ihr gesagt, dass es mein Traum ist, andere Menschen an ihre Ziele zu bringen und dass ich ihnen das Schicksal, das mein Vater aus dem Leben riss, ersparen möchte. Dass ich diesen Plan jedoch nur umsetzen könnte, wenn ich der Beste in meinem Job werde und bis zum heutigen Tag habe ich sie nicht enttäuscht."

„Da bin ich wirklich froh, Raphael", lächelt Milan und greift meine Hand. Ich sehe hinab auf unsere Finger und er bemerkt meinen Blick. Schnell zieht er seine Hand wieder weg und lehnt sich auf seinem Stuhl zurück.
„Und?", fragt er betont fröhlich. „Kannst du mir hier noch was zeigen? In Kuala Lumpur meine ich."
„Ähm... klar", murmele ich und ziehe meine Hand auf meinen Schoß zurück. „Wir können auf die Skybridge der Petronas Towers gehen. Das gilt zwar nicht unbedingt als Geheimtipp, aber der Ausblick ist atemberaubend und ein Muss, wenn man zum ersten Mal hier ist."
„Klingt super", stimmt Milan zu. „Und danach kannst du vielleicht schon zu deiner Mom."

•••

Und so stehe ich wenig später neben einem staunenden und strahlenden Milan auf der Skybridge, die die beiden Zwillingstürme miteinander verbindet und einen unglaublichen Ausblick über die gesamte Stadt bietet. Milan knipst wie ein Weltmeister mit seiner Kamera und lässt sich von den vielen Touristen, die mit uns hier oben sind, gar nicht beirren.

Ich lehne einfach nur am Geländer und sehe nach unten, ohne wirklich etwas zu sehen. Ich denke an meine Mom und hoffe, dass es ihr besser geht und ich heute Abend vielleicht sogar schon mit ihr sprechen kann. Ich denke an den tollen Mann neben mir, der so glücklich Bilder macht, mich immer wieder anlacht und absolut keine Ahnung davon hat, dass mein Herz mit jedem seiner nichtsahnenden Blicke ein wenig mehr bricht.

Dass er die ganze Zeit bei mir bleibt, auf mich aufpasst und mir hilft, lässt mich ihn noch mehr mögen als ohnehin schon und ich weiß, wenn das alles hier vorbei ist und wir wieder unseren gewohnten Reisealltag haben, werde ich den Kontakt beenden müssen. Er wird es nicht verstehen, aber ich kann ihm nicht sagen, dass ich den Tag, an dem er mir berichtet, dass er jemanden kennengelernt hat, mit dem er glücklich ist und mit dem er sein Leben verbringen will, nicht erleben möchte.

„Hey", reißt Milan mich aus meinen Gedanken, seine Hand besorgt auf meiner Schulter. „Denkst du an deine Mom?"
Ich blinzele ein paar Male, in der Hoffnung, die Feuchtigkeit aus meinen Augen zu vertreiben und zwinge mir ein Lächeln auf. „Auch, ja."
Milan mustert mich nachdenklich und zieht mich in eine Umarmung.
„Es wird alles gut", verspricht er mir. „Ich bleibe bei dir."

Meine blöde Lippe zittert und ich kneife meine Augen zusammen, um nicht loszuheulen und ihm zu sagen, dass das nicht genug ist, dass mir das nicht reicht. Also atme ich nur zittrig ein und nicke, bevor ich ihn sanft von mir wegdrücke.
„Ich rufe mal im Krankenhaus an und frage, ob ich sie schon sehen darf", lenke ich ab und er lässt mich zögerlich los, bevor auch er zustimmend nickt.

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