Kuala Lumpur IV

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Ähnlich wie schon im Kuala Lumpur Hospital darf Milan auch in der Neurologischen Klinik nicht mit zur Station kommen und begibt sich wieder in den Wartebereich.
Bereits am Fahrstuhl werde ich von einem älteren Arzt erwartet, der sich mir als Dr. Mawar vorstellt.
„Bitte folgen Sie mir, Mr. Andrews", sagt er professionell und geleitet mich zu einem Raum, hinter dessen Glasscheibe ich meine Mutter in einem Bett liegen sehe.

„Wir konnten das Gerinsel vollständig entfernen, jedoch wird es noch einige Zeit dauern, bis die Schwellung des Gehirns nachlässt", erklärt er mir. „Ihre Mutter schläft weiterhin, aber sie muss nicht länger beatmet werden. Ich gehe davon aus, dass sie erst in einigen Tagen aufwachen wird."
„Aber sie wird wieder aufwachen?", frage ich, ohne den Blick von meiner schlafenden Mutter hinter der Scheibe abzuwenden.
„Davon gehen wir aus, Mr. Andrews", verkündet er. „Die weiteren Maßnahmen können wir erst dann absehen, je nachdem wie sehr das umliegende Gewebe in Mitleidenschaft gezogen wurde."

„Was sind die Optionen?", hake ich nach, obwohl ich nicht sicher bin, ob ich bereit bin, die Antwort darauf zu hören.
„Nun", er verschränkt seine behandschuhten Finger. „Im besten Fall folgt auf solch einen Eingriff eine mehrmonatige Rehabiliationskur, die das verlorene Können wiederherstellt."
„Und im schlimmsten Fall?"
„Davon gehen wir aktuell nicht aus, aber–"
Eindringlich sehe ich ihn an.
„Eine Pflegeeinrichtung, je nach Schweregrad der bleibenden Schäden", stellt Dr. Mawar betrübt klar.

Meine Lippe zittert und ich atme tief durch, um mich zu fassen.
„K-Kann ich zu ihr?", frage ich stockend und er öffnet mir die Tür zu dem stillen Raum, aus dem nur das Piepen des Herzmonitors zu hören ist.
„Ich gebe Ihnen ein paar Minuten", verabschiedet er sich leise und lässt mich mit meiner Mutter allein.

Ich setze mich vorsichtig auf die Kante ihres Bettes und nehme wie in dem anderen Krankenhaus ihre Hand. Außer dass ihr Kopf nun von einem weißen Verband bedeckt ist, kann ich keine Veränderung an ihr feststellen.
„Hey Mom", wispere ich. „Ich bin hier."
Natürlich kommt keine Reaktion von ihr, doch ich möchte mir gern einreden, dass sie mich dennoch wahrnimmt, wenn auch nur unterbewusst.
„Dein neuer Hut steht dir gut", witzele ich und schniefe leise, als eine kleine Träne aus meinem Auge auf die Bettdecke tropft. „Du wirst wieder ganz gesund, okay? Wir müssen doch noch nach Bali auf diese dumme Schaukel und außerdem muss ich dir–"

Ich unterbreche mich selbst, denn ich wollte ihr gern sagen, dass ich ihr Milan vorstellen möchte. Milan, zu dem ich nach diesem Aufenthalt den Kontakt abbrechen will, weil es mir das Herz bricht, nur sein Freund zu sein.

„Ich wünschte, du wärst wach und könntest mir sagen, was für ein Dummkopf ich bin. Weil ich mich in jemanden verliebe, der nie mehr in mir sehen wird als einen guten Freund. Du würdest lachen und mit deinem Kopf schütteln und mir sagen, dass ich ihn mir aus dem Kopf schlagen soll, weil er mich nicht verdient hat. Du bist immer auf meiner Seite."

Die Tränen laufen nun unaufhaltsam über mein Gesicht und ich schniefe laut.
„Ich werd's versuchen, okay? Aber erst mal wirst du gesund und dann machen wir beide diese Reise und du schaukelst so weit über den Rand, dass ich vermutlich vor Angst kotzen werde, ja Mom?"

Die Tür öffnet sich und Dr. Mawar blickt mich entschuldigend an.
„Ich komme morgen wieder", flüstere ich meiner Mutter zu und küsse ihre schlaffe Hand, bevor ich das Zimmer verlasse.

„Ich melde mich, sobald sich ihr Zustand verändert, Mr. Andrews", verspricht mir Dr. Mawar und ich danke ihm, bevor ich wieder in den Fahrstuhl steige.

Im Wartebereich kommen mir plötzlich Liv und Wendy entgegengelaufen und fallen mir in die Arme.
„Oh Raphael", schluchzt Liv. „Wie geht es ihr?"
Milan sitzt verlegen auf seinem Stuhl und steckt gerade sein Handy weg.
„Er kann noch nichts Sicheres sagen, aber bislang ist die Prognose ganz gut", schniefe ich. „Was tut ihr hier?"

„Wir können dich doch nicht allein lassen!", ruft Wendy. „Wir haben uns sofort auf den Weg gemacht, nachdem Milan uns informiert hat."
„Das ist so lieb", weine ich und drücke beide fest an mich. „Aber das hättet ihr nicht–"
„Du hättest das Gleiche für uns getan", geht Liv dazwischen.

Ich sehe zu Milan, der verlegen auf uns zukommt.
„Ich... ähm...", druckst er herum.
„Du musst weg", erkenne ich und er nickt, ohne mich dabei anzusehen.
„Tut mir leid, meine Agentur hat gesagt, wenn ich nicht–"
„Schon okay", unterbreche ich ihn. „Du hast ohnehin schon so viel wegen mir auf dich genommen. Ich kann nicht verantworten, dass du wegen mir noch deinen Job verlierst."

„Haltet ihr mich auf dem Laufenden?", fragt er und ich beiße mir auf die Lippe.
„Machen wir", springt Liv ein, ehe ich mich zu einer Lüge hinreißen lasse.
„Danke", sagt Milan leise. „Viel Glück und alles Gute für deine Mom, Raphael."
Ich nicke und beobachte, wie Milan zuerst Wendy und dann Liv umarmt, mir aber nur ein unbeholfenes Lächeln schenkt, ehe er den Warteraum verlässt.

Ich sehe ihm nach und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass ich ihn nicht wiedersehen werde.

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