Kuala Lumpur

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Gefühlt dauert es zwei Tage, bis Milan und ich endlich das Krankenhaus in Kuala Lumpur betreten, obwohl es auf der Uhr keine vierundzwanzig Stunden waren. Milans Gesicht wird von leichten Augenringen geziert und meins wird vermutlich nicht viel besser aussehen.

„Hallo", sage ich zu der Dame an der Anmeldung. „Mein Name ist Raphael Andrews. Dr. Musa hat mich kontaktiert, meine Mutter wurde hier eingeliefert."
Die junge Frau nickt, tippt etwas in ihrem Computer und sagt dann in stark gebrochenem Englisch: „Station vier. Nur Familie."
Damit zeigt sie auf Milan, der noch immer meine Hand hält. Er lächelt mir aufmunternd zu, drückt meine Hand und flüstert: „Geh nur, ich warte hier unten und rufe Liv an, damit sie weiß, dass wir angekommen sind."

Ich nicke und eile zum Treppenhaus, um möglichst schnell in die vierte Etage zu kommen. Oben erwartet mich eine verschlossene Glastür mit einer Klingel und das Schild mit der Aufschrift ‚Intensive Care' lässt mein Herz noch schneller schlagen. Während ich warte, dass mein Klingeln erhört wurde, schicke ich ein Stoßgebet gen Himmel, dass es meiner Mutter gut geht, dass sie wieder gesund wird und bald nach Hause kann.

Ein junger Arzt in blauem Overall und diesen raschelnden Schuhüberziehern kommt durch die Schleuse und öffnet mir die Tür.
„Mr. Andrews?", begrüßt er mich und ich nicke.
„Ich bin Dr. Musa, wir hatten telefoniert."
„Wie geht es meiner Mutter? Kann ich zu ihr?", frage ich aufgeregt.
„Sie wird intensivmedizinisch betreut, bitte folgen Sie mir, dann bekommen Sie Schutzkleidung von mir." Er bedeutet mir, ihm zu folgen und führt mich in einen laborähnlichen Raum, in dem er mir eine Kopfbedeckung, einen Mund-Nasen-Schutz, die Überzieher für die Schuhe und einen Overall reicht.

Mit großen Augen nehme ich die Sachen entgegen, doch er hebt beruhigend die Hände.
„Keine Sorge, das sind nur Standardrichtlinien, sie hat nichts Ansteckendes. Jedoch wäre jetzt eine zusätzliche Infektion nichts, was ihr Körper einfach so verkraften könnte."
„Was hat sie denn?", rufe ich nun aufgebracht, denn noch immer hat mich niemand darüber aufgeklärt, warum meine Mutter plötzlich auf der Intensivstation liegt.

„Ihre Mutter hatte eine Art Schlaganfall, Mr. Andrews", sagt Dr. Musa sachlich und fährt fort, bevor ich ihn mit Fragen löchern kann. „Sie hatte in einem Supermarkt einen Schwächeanfall und eine der anderen Kundinnen hat geistesgegenwärtig reagiert. Leider ist ihre linke Körperhälfte in Mitleidenschaft gezogen und derzeit wirken wir der Schwellung in ihrem Kopf mit einem künstlichen Koma entgegen."
„Schwellung?", presse ich hervor und stütze mich an der Wand neben mir ab. Ich befürchte, selbst gleich zusammenzubrechen.

„Es besteht eine Gehirnblutung, die eventuell durch blutverdünnende Medikamente verursacht wurde. Darum ist es kein klassischer Schlaganfall in Form eines Thrombus, der eine Arterie verstopft, sondern vielmehr durch das sich bildende Hämatom, das Gewebe verdrängt", stellt der Arzt klar. „Das Gerinsel muss operativ abgesaugt werden, jedoch muss Ihre Mutter dafür in eine neurologische Fachklinik überstellt werden und dafür benötigen wir–"

„Geld", vollende ich seinen Satz.
„Und Ihre Einverständniserklärung, Mr. Andrews", geht Dr. Musa nicht weiter auf meine aber durchaus korrekte Annahme ein. „Sie sind ihr nächster Angehöriger und als ihr Notfallkontakt hinterlegt."
„Sie bekommen alles von mir!", fahre ich ihn an und zerre mir den Overall über den Kopf. „So schnell wie es geht. Sie müssen alles tun, um sie zu retten."
Dr. Musa nickt zustimmend und erwidert: „Gut, ich bringe sie zu ihr. Sie wird beatmet, bitte erschrecken Sie nicht. Ich bereite die Formalitäten vor, dann kann Ihre Mutter noch heute Nachmittag mit dem Helikopter in die neurologische Klinik überführt werden."

Mit zitternden Händen und weichen Knien folge ich dem Arzt schlurfend in einen Raum, der vollkommen steril wirkt. Auf dem Bett in der Mitte zwischen etlichen Geräten und Kabeln liegt meine kleine, zierliche Mutter mit einer Maske über ihrem zarten Gesicht.

Sie sieht immer noch aus wie fünfunddreißig, obwohl sie bereits fast sechzig ist. Immer wenn wir gemeinsam bei einem meiner Besuche alte Freunde oder Bekannte trafen, witzelten die Leute, dass sie eher wie meine Schwester als wie meine Mutter aussähe.

Fragend sehe ich Dr. Musa an und er nickt, als ich vorsichtig ihre Hand nehme.
„Ich bin hier, Mom", flüstere ich erstickt. Natürlich reagiert sie nicht, aber dennoch hoffe ich auf eine Art Antwort und sei es nur ein Zucken ihrer Hand oder ihres Augenlids. Doch meine liebe, fürsorgliche, für die Welt zu freundliche Mom liegt nur da und atmet laut und rhythmisch dank der Maschine, an die sie angeschlossen ist.

„Alles wird gut, Mom", wispere ich und spüre, wie eine Träne über meine Wange rollt. „Sie bringen dich in eine Spezialklinik und dort wird dir geholfen und dann bist du bald wieder fit und wir können endlich nach Bali, damit du auf eine dieser absurd gefährlichen Schaukeln kannst, hörst du?"

Ich schniefe leise und spüre eine Hand auf meiner Schulter. Es ist Dr. Musa, der mir bedeutet, dass es Zeit ist zu gehen. Ich lasse mich von ihm aus dem Raum führen.
„Ich habe hier die Formulare, die ausgefüllt werden und dann bitte in der Verwaltung abgegeben werden müssen", informiert er mich, während ich mir die raschelnde Schutzkleidung ausziehe und in einen bereitgestellten Behälter stopfe. „Sobald ich die Freigabe habe, kontaktiere ich die Klinik. Ich gebe Ihnen schon einmal die Kontaktdaten der Klinik und des zuständigen Neurologen, der die Operation durchführen wird. Ich habe ihn bereits informiert und er wartet nur auf die Freigabe."

„Danke, Dr. Musa", murmele ich und nehme den Stapel Papiere entgegen, bevor ich durch die Schleuse nach draußen und wieder ins Treppenhaus gehe. Wie betäubt gehe ich die Stufen nach unten und als ich die Tür öffne, sehe ich, wie Milan von seinem Platz im Wartebereich aufspringt und auf mich zugelaufen kommt. Als er mich erreicht, geben meine Knie nach und ich breche weinend in seinen Armen zusammen.

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