Kapitel 15 - Oma

449 26 15
                                    

Ich spürte, wie die Verzweiflung in mir hochkam. Ich blickte vergebens durch die Menschenmassen und suchte nach dem Mann, an den ich mein Herz verloren hatte, in der Hoffnung, er sei nicht gefahren.

Schmerzvoll musste ich feststellen, dass ich ihn nirgends sehen konnte.

In diesem Moment wurde mir klar, dass ich ihn verpasst hatte. Ich hatte es nicht rechtzeitig geschafft und er dachte, ich hätte mich endgültig gegen ihn entschieden. Dies versetzte meinem Herzen einen kräftigen, schmerzhaften Schlag, welcher sich in meinem gesamten Körper verbreitete.

„Damiano!“, rief ich laut, während mir Tränen in die Augen schossen. Dann sank ich weinend auf dem Bahnsteig zu Boden.

Auf den Knien und mit dem Gesicht in den Händen vergraben verbrachte ich mehrere Minuten. Einige Passanten drehten sich verwirrt und unschlüssig zu mir um, aber niemand sprach mich an. Es war Hochsommer, doch ich zitterte vor Kälte. Mein durchnässtes T-Shirt klebte an meinem Rücken und der Fahrtwind der Züge verstärkten die Kälte noch mehr. Aber verglichen mit der Kälte, die sich in meinem Bauch ausbreitete, war dies gar nichts.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte mich plötzlich eine sanfte Stimme.

Erschrocken fuhr ich herum. Vor mir stand ein Mädchen in meinem Alter, ihre Haare waren knallrot gefärbt und sie trug ein hellblaues Kleid mit weißen Blumen.

Sie streckte lächelnd ihre Hand aus. Zögernd wischte ich mir mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht und ergriff ihre Hand, mit welcher sie mir hoch half.

„Ich bin Emily.“, stellte sie sich vor und ich tat es ihr gleich.

Sie grinste mich breit an.

„Freut mich, dich kennenzulernen, Mariella.“, entgegnete sie und fuhr fort.

„Ich muss jetzt weiter, mein Zug kommt gleich. Egal was dir passiert ist, es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist.“

Sie schnappte sich ihren kleinen Koffer und machte auf dem Absatz kehrt.

Verwirrt von dieser seltsamen Begegnung, aber seltsamerweise wieder erstaunlich gefasst, beschloss ich, meiner Oma einen lange fälligen Besuch abzustatten. Sie war die weiseste Frau die ich kannte, hatte immer ein offenes Ohr für mich und wusste beinahe immer eine Lösung.

Ich setzte mich in die Bahn, mit der es nur 20 Minuten bis zu meiner Oma waren. Gedankenverloren lies ich meinen Blick über die Häuser und Bäume schweifen. Unwillkürlich fragte ich mich, was Damiano wohl gerade sah, wenn er aus dem Fenster schauen würde. Wie weit er wohl schon gekommen ist? Die Tatsache, dass er bestimmt nur ein paar Kilometer von mir entfernt war, trieb mir wieder die Tränen in die Augen.
 

Als ich die Bahn verließ, hatte der Regen aufgehört. Eine milde Brise zerzauste mir die nassen Haare, während ich mich geknickt auf den Weg zu meiner Oma machte.

Ihr Haus stand am Ende einer kleinen Wohnsiedlung direkt am Feld, die weiße Farbe der Fassade blätterte hier und da ein wenig ab und die Wände und das Dach waren teilweise mit Efeu bewachsen. Früher hatte mir meine Oma immer erzählt, dass bei ihr manchmal Feen zu Besuch kommen und mit ihr Tee trinken wollen.

Ich lächelte schief und gab insgeheim meiner Oma die Schuld für meine Verträumtheit.

„Mari meine Liebe, ich freu mich dich zu sehen!“, rief sie mit großen Augen, nachdem sie mir die Türe öffnete.

resta con me - bleib bei mir | damiano david ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt