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Meine leeren Augen starren in die Ferne, während ich auf der Fensterbank hocke, mit dem Rücken gegen die kalte, graue Steinwand gelehnt. Ich kann nicht sagen, wie lange ich schon so sitze. Jegliches Zeitgefühl ist mir abhandengekommen. Alles, was ich spüre, ist Schmerz. Unendlicher Schmerz. Er ist in meinen Gedanken, in meinen Gefühlen und vor allem in meinem Herzen. Alles wird von diesem überlagert, sodass ich nichts Anderes mehr wahrnehmen kann. Es gibt nur noch mich und die unendlichen Qualen, die mein Herz erleidet. All das, wegen Roy, weil ich ihn verloren habe. Ich wusste nicht, dass es möglich ist, so viel Schmerz zu fühlen. Es ist, als wäre er zu der Essenz meines Seins geworden. Er ist mit mir verschmolzen, bis wir eins geworden sind.

Normalerweise sagt man doch immer, dass die Zeit alle Wunden heilt. In diesem Fall, so befürchte ich, ist es anders. Die Qualen sind zu einem untrennbaren Teil von mir geworden, sodass ich sie mir gar nicht mehr wegdenken kann. Sie sind wie zu einem guten Freund geworden, der mir nicht mehr von der Seite weichen wird. Niemals.

Sie bestimmen mein Atmen und erfüllen mich bis in jede Faser meines Körpers. Der Schmerz bestimmt meine Augen, die nichts mehr von der Welt wahrnehmen können, außer farbloses, glanzloses und tristes Grau. Die Welt hat für mich ihre Farbenpracht verloren und zurückbleibt nur Leid. So viel Leid. Sonst nichts. Ich sehe aus dem Fenster und dennoch ist die Umgebung für mich nicht mehr sichtbar. Meine Augen starren einfach ins Nichts.

Aber am schlimmsten ist der Schmerz in meinem Herzen. Er ist so stark, sodass ich in manchen Augenblicken fürchte, daran zu ersticken. Die Qualen sind so enorm, dass ich sie körperlich spüren kann. Es ist, als würde mein Körper von innen heraus verbrannt werden. Und alles, was durch dieses Feuer vernichtet wird, wird durch Schmerz ersetzt. Bis ich nur noch daraus bestehe.

Victoria, ein paar Diener, darunter auch Lizzy und Jane und sogar Arthur selbst, waren schon bei mir gewesen. Sie haben versucht, auf mich einzureden. Erfolglos, denn ich konnte kaum hören und schon gar nicht begreifen, was sie zu mir sagten. Ich habe sie nicht einmal angesehen. Habe nur stur aus dem Fenster ins Leere gestarrt. Früher oder später haben sie es aufgegeben, mich zur Vernunft zu bringen und sind unverrichteter Dinge wieder gegangen. Selbst das dargebrachte Essen kann ich nicht anrühren, denn ich habe keinen Bissen davon hinunterbekommen. Darum wurde auch dieses, jedes Mal aufs Neue unangetastet wieder abgeräumt.

Der Faktor Zeit ist für mich unbedeutend geworden. Genau wie Essen, Trinken oder Schlafen. Ebenso wie der Versuch der anderen, mich aus ihrer Sicht, wieder zur Vernunft zu bringen. All das bedeutet mir nichts mehr, denn das, was mir am wichtigsten war, ist fort. Es erscheint mir nutzlos weiterzumachen, als wäre nichts passiert.

Ein Klopfen an der Tür reißt mich aus meinen momentanen, trübsinnigen Gedanken. Ich ignoriere es. Wie die anderen Versuche zuvor auch. Mir ist egal, wer es nun wieder ist. Sie sollen mich einfach alle in Frieden lassen. Aber zu meinem Leidwesen scheint die Person dieses Mal hartnäckiger zu sein, denn es klopft erneut. Auch diesmal ignoriere ich es und blicke weiterhin stur aus dem Fenster.

Es klopft ein drittes Mal. Doch ich reagiere wieder nicht darauf. Schließlich wird die Tür auch ohne meine Erlaubnis geöffnet und jemand betritt das Zimmer. Normalerweise wäre meine Reaktion darauf ein genervtes Stöhnen gewesen. Dazu fehlt mir mittlerweile jedoch die Kraft. Deshalb belasse ich es dabei, die Person einfach zu ignorieren. Bisher hatte es noch jedes Mal geklappt und ich hatte die anderen Besucher auf diese Weise immer früher oder später in die Flucht schlagen können. Daher warte ich einfach ab, bis die Person genug hat und wieder verschwindet.

Es vergeht eine weitere, gefühlte Ewigkeit, in welcher nichts passiert. Offenbar ist dieser jemand wirklich hartnäckig. Doch die Person wird vergeblich darauf warten, dass etwas passiert. Ich bin nicht in Plauderstimmung. Eigentlich ist das doch offensichtlich. Noch mehr Ablehnung kann ich nicht mehr zeigen, als ich es gerade tue.

Im Bann des RubinkönigreichesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt