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Am nächsten Tag sitze ich auf dem samtigen Sitz in der Kutsche und lehne meinen Rücken an die ebenso gepolsterte Rückwand. Meinen Blick habe ich am Vorhang vorbei aus dem Fenster gerichtet, während ich gedanklich bei meiner ersten Reise ins Smaragdkönigreich bin. Viel Zeit ist seither nicht vergangen. Doch es erscheint mir wie eine Ewigkeit. So viel ist seitdem geschehen. Zu viel für meinen Geschmack. Nach wie vor habe ich noch nicht alles verarbeiten können.

Vor allem die unschöne Trennung von Roy schmerzt so sehr wie am ersten Tag und ich frage mich, ob dieser Schmerz jemals vergehen wird. Insgeheim glaube ich nicht daran. Trotzdem hofft ein winziger und dennoch nicht unerheblicher Teil meines Herzens sehr darauf. An eine Versöhnung glaube ich jedoch nicht mehr. Diese Hoffnung habe ich begraben.

Ich kann mir kaum vorstellen, dass mich Roy nach meinem Korb bei seinem Heiratsantrag jemals wiedersehen möchte. Ich habe ihm sein Herz gebrochen und meines gleich mit. Vielleicht hätte er Verständnis gezeigt, wenn ich ihm zuerst meine Beweggründe erklärt hätte. Aber selbst ich hätte es vermutlich nicht nachvollziehen können, wenn ich nicht selbst in dieser Lage feststecken würde. Ich befürchte einfach, dass seit meiner Abfuhr zu viel zwischen Roy und mir steht.

"Du bist so ruhig, Prinzessin", lässt Vincent in diesem Moment von seinem Sitzplatz aus verlauten, welcher sich gegenüber von mir befindet. Ich wende meinen Blick vom Fenster ab und ihm zu. Trotz des Halbdunkels in der Kutsche, kann ich erkennen, dass er mich aufmerksam beobachtet. Gerne möchte ich den Grund dafür wissen. Allerdings bezweifele ich stark, dass er sich um mich sorgt. Dafür müssten wir Freunde sein und das sind wir nun einmal nicht. Doch vielleicht können wir es mit der Zeit werden. Das wäre wirklich schön und ich würde mich dadurch vielleicht ein klein bisschen weniger einsam fühlen.

Ohne es wirklich zu wissen, habe ich mich an die Nähe und Geborgenheit, welche mir Roy vermittelt hat, gewöhnt. Inzwischen vermisse ich diese so überaus schmerzlich. Sein Verschwinden hat all die Wärme, welche mein Herz in der letzten Zeit umgeben hat, mitgenommen und nur eine kalte Leere zurückgelassen. Aber es ist nicht nur das Gefühl, welches er mir vermittelt hat. Ich vermisse seine gesamte Art.

Ihn vermisse ich, und zwar jeden Tag, jede Stunde, jede Minute und jede noch so quälend langsam verstreichende Sekunde.

"Woran denkst du gerade?", unterbricht Vincent abermals meine Gedanken. Erneut richte ich meinen Blick auf ihn und zucke lediglich mit den Schultern. Mir ist nicht danach, meine innersten Gefühle und Gedanken mit ihm zu teilen. Dafür kennen wir uns nicht gut genug.

"Wow, ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal der gesprächigere Part von uns Beiden sein würde", lacht er nun. Daraufhin entkommt auch meinen Lippen ein Lachen. Es fühlt sich ungewohnt und fremd an, da ich eine gefühlte Ewigkeit lang keinen Grund mehr zur Freude hatte. Aber Vincent hat recht. Im Moment ist er tatsächlich redefreudiger als ich.

"Ich denke, dies wird der Beginn einer wunderbaren Freundschaft", witzelt er, als ich weiterhin schweige. Einen kurzen Augenblick lang sehe ich ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, ehe wir in schallendes Gelächter ausbrechen. Erstaunlicherweise schafft er es mit seiner direkten und unverfrorenen Art meine Laune ein bisschen zu heben.

Es ist ein Anfang und hoffentlich ein Schritt in die richtige Richtung, denn mir ist durchaus bewusst, dass das Leben weitergeht und, dass auch ich früher oder später weitergehen muss. Aber noch fühle ich mich nicht bereit dazu, wieder nach vorne zu blicken.

Weiter komme ich nicht mit meinen düsteren Gedanken, denn mich trifft etwas am Bauch und holt mich unsanft in die Gegenwart zurück. Als ich an mir hinunterblicke, entdecke ich einen Stiefel in meinen Schoß. Entsetzt richte ich meinen Blick auf Vincent, dessen Mundwinkel verdächtig zucken. "Ich dachte schon, diese ganze Grübelei hat nie ein Ende. Darum habe ich es als meine Pflicht angesehen, etwas zu unternehmen. Doch wie ich sehe, habe ich jetzt deine volle Aufmerksamkeit. Wie schön. Vielleicht können wir uns nun endlich auch einmal unterhalten. Weißt du, diese Monolog-Sache fing wirklich an, mich zu langweilen." Mir klappt der Mund auf bei seinen Worten und ich bin für einen Moment sprachlos.

Im Bann des RubinkönigreichesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt