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"Wo bist du mit deinen Gedanken?", will Vincent wissen. Erschrocken zucke ich zusammen und sehe ihn anschließend betreten an.

"Entschuldige bitte. Du hast recht. Ich war mit meinen Gedanken wirklich ganz woanders. Dabei gibst du dir die größte Mühe mich von meinem Kummer abzulenken und ich danke es dir, indem ich dir gar nicht zuhöre."

"Schon gut." Er lacht. "Deine Gedanken sind mit Sicherheit spannender als dieser Markt." Der Prinz unterstreicht seine Worte, indem er eine ausladende Geste macht, die alle Stände mit Obst, Gemüse und anderen Lebensmitteln umfassen. Ich erwidere sein Lachen gezwungen und bin versucht, erneut abzuschweifen. Das Gespräch von Ash und Vincent, welches ich gestern belauscht habe, lässt mich einfach nicht mehr los. Ich habe in der letzten Zeit zu viel durchlebt, um die schwarzen Abgründe des Charakters von Prinz Ash nicht inzwischen ein wenig zu kennen. Ihm traue ich alles zu. Er ist ein selbstsüchtiger Mensch und ich glaube, dass Macht ihm über alles andere geht. Und eine Heirat mit mir bedeutet politische Macht.

Ich erschaudere und mir fällt auf, dass mein Geist erneut seinen eigenen Überlegungen gefolgt ist und Vincent abermals in der Gegenwart zurückgelassen hat. Ich sehe ihn wieder an und lächele entschuldigend. "Es tut mir leid und ich verspreche hoch und heilig, dass es nicht wieder vorkommt." Dabei falte ich meine Hände wie bei einem Gebet und lege meine Fingerspitzen an die Lippen, um meinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen.

Vincent reagiert seinerseits, wie ich es von ihm gewohnt bin. Völlig gelassen. "Möchtet Ihr vielleicht eine andere Unternehmung vorschlagen, Prinzessin?" Bei seinen Worten muss ich ehrlich und von ganzem Herzen lachen. Seine Art und sein Humor sind Balsam für meine geschundene Seele.

"Sehr gern, werter Prinz." Ich überlege einen Moment lang und suche nach einer kecken Erwiderung. "Könnte ich Euch womöglich von einer kleinen Kostprobe überzeugen?", frage ich ihn, während ich mit dem Kopf auf einen Stand weise, welcher den köstlichen Duft nach frisch gebackenem Brot versprüht.

Schmunzelnd entgegnet der Prinz daraufhin: "Nur allzu gern, Prinzessin. Doch ich fürchte, es schickt sich nicht, wenn eine Prinzessin sich ihr Brot selbst kauft." Ich seufze.

"Wozu sind wir dann hier, wenn wir uns nichts kaufen dürfen?" Vincent zuckt lediglich mit den Schultern.

"Ich dachte, du wolltest vielleicht ein wenig Zeit außerhalb des Schlosses verbringen." Für seine Aufmerksamkeit lächele ich ihn dankbar an.

"Du hast recht. Aber wozu sind wir hier? Ein Marktbesuch ergibt in meinen Augen nur einen Sinn, wenn man sich auch etwas kaufen kann." Nun muss der Prinz schmunzeln.

"Daran ist durchaus etwas Wahres." Es folgt eine kurze Pause. Danach fügt Vincent mit einem Achselzucken hinzu: "Es hat sich eben angeboten, einen Rundgang über den Markt zu machen. Es gibt nicht viele Möglichkeiten für einen Prinzen oder eine Prinzessin, sich außerhalb der Schlossmauern zu amüsieren. Insofern es keinem offiziellen Anlass dient." Abermals seufze ich.

"Ich befürchte, du hast recht", erwidere ich und setze noch im selben Atemzug zu einer Frage an. "Sollen wir vielleicht noch diese Straße entlang gehen? Ich glaube, dort waren wir noch nicht." Mit dem Finger deute ich auf einen schmaleren Weg, der nach rechts abzweigt. Vincent beantwortet meine Frage mit einem Nicken und wir verfallen in Schweigen, während wir meinen vorgeschlagenen Pfad entlangschlendern.

Ich genieße die Ruhe und die ungezwungene Atmosphäre fern ab des Schlosses. Es ist schön, die Rolle der Prinzessin für eine Weile ablegen zu können. Ich empfinde dieses Amt nach wie vor als ziemlich kräftezehrend. Und es gibt auch immer wieder unschöne Überraschungen, wie mir der gestrige Abend einmal mehr vor Augen geführt hat. Vielleicht sollte ich Vincent einfach auf die Unterhaltung mit Prinz Ash ansprechen. Mittlerweile glaube ich Vincent einigermaßen gut zu kennen und denke, dass er es mir nicht übel nehmen würde, wenn er wüsste, dass ich die Beiden belauscht habe. Doch ein kleiner Restzweifel krallt sich hartnäckig in meinen Gedanken fest. Er flüstert mir zu, dass ich dem Prinzen nicht trauen kann. Andernfalls hätte er versucht, Ash aufzuhalten. Das hält mich letztendlich davon ab, Vincent auf die Konversation anzusprechen. Schließlich ist dieses kleine und beharrliche Misstrauen berechtigt.

Ich riskiere einen Seitenblick auf ihn und mustere ihn unauffällig. Vincent hätte die Möglichkeit gehabt, den Plan von Ash zu durchkreuzen, indem er mir von der Unterhaltung hätte erzählen können und mich in die Machenschaften des Saphirprinzen hätte einweihen können. Aber das hat er nicht. Dieser Punkt beschäftigt mich fast noch mehr, als eine mögliche Gefahr für mich. Ich möchte einfach zu gern wissen, was Vincent dazu bewegt, zu schweigen, anstatt zu handeln.

Während ich noch in Gedanken abwäge, ob ich den Prinzen trotz aller Zweifel mit dem belauschten Gespräch konfrontieren soll, endet der Weg vor uns in einer Sackgasse. Woraufhin ich stehenbleibe und in die Richtung blicke, aus welcher wir gekommen sind. Tief versunken in meinen Überlegungen, habe ich nicht darauf geachtet, wohin wir gehen.

Vincent bricht als erster die Stille. "Ich schätze, das ist ein Zeichen, dass unser kleiner Marktausflug beendet ist." Ich nicke zustimmend.

"Wahrscheinlich hast du recht. Wir sollten zum Schloss zurückkehren." Allzu lange kann eine Prinzessin ihren Pflichten leider nicht entfliehen. Trotz meiner Sorgen habe ich diese kleine Pause vom höfischen Leben mit Vincent genossen.

"Schließlich dürfen wir auf keinen Fall das Seifenblasenfest verpassen", meint der Prinz in diesem Augenblick leichthin.

"Das Seifenblasenfest? Was ist das?" Vincent hat es doch tatsächlich geschafft, meine Neugier zu wecken. An seinem Grinsen kann ich ablesen, dass es auch genau sein Plan gewesen ist.

"Ach, das ist nur ein weiteres von vielen unwichtigen Festen." Er grinst verschlagen. Abermals entlockt mir seine Art ein Schmunzeln und ich beschließe in sein Spiel einzusteigen.

"Also gut, Prinz. Ihr habt meine volle Aufmerksamkeit. Was ist nun dieses Seifenblasenfest?"

"Ha." Er lacht. "Irgendwie musste ich es doch schaffen, diese trübsinnige Wolke zu vertreiben, die dir seit heute Morgen wie ein treues Hündchen folgt. Und es ist mir tatsächlich geglückt." Sein Grinsen wird noch eine Spur breiter. Schließlich setzt er seine Erklärung fort. "Das Seifenblasenfest ist die traditionelle Feier des Smaragdkönigreiches und findet einmal im Jahr statt. Ich weiß nicht genau, aus welchem Grund wir jedes Jahr dieses Fest veranstalten, aber es ist zu einer festen Tradition geworden. Und es ist die einzige Feierlichkeit, die ich kenne, die nicht derart steif und förmlich ist, sodass ich mich am liebsten übergeben möchte."

Seine Beschreibung lässt mich schmunzeln. "In Ordnung. Dann freue ich mich schon darauf, dieses Seifenblasenfest miterleben zu dürfen. Und es findet tatsächlich schon heute statt?"

"Heute Abend. Es wäre mir eine außerordentliche Ehre, wenn Ihr meine Begleitung dafür wärt." Erneut muss ich herzlich lachen. Vincents Gegenwart tut mir gut und es geht mir schon um einiges besser, als noch vor wenigen Tagen.

"Ich bin sehr gern Eure Begleitung, Prinz."

Mit einer übertriebenen Geste verneigt sich Vincent vor mir und hält mir seine Hand entgegen. Mir entfährt abermals ein Lachen und ich ergreife seine dargebotene Hand und lasse mich von ihm in die Richtung führen, aus welcher wir zuvor gekommen sind. Kurz darauf steigen wir in die Kutsche, welche wir in einer Seitengasse zurückgelassen haben, damit wir nicht auf Anhieb auf dem Markt als Prinz und Prinzessin auffallen und ein wenig ungestörte Zeit außerhalb des Schlosses verbringen können. Auf der Rückfahrt erkundige ich mich bei Vincent, ob es einen bestimmten Kleidungsstil bei dem Fest gibt.

"Die meisten kommen in leichter und sommerlichen Kleidung." Verdutzt sehe ich ihn an. Eigentlich kleiden sich gerade die Adligen zu solchen Anlässen immer ziemlich pompös, um Macht und ihren Status jedem zu demonstrieren.

Meinen Gesichtsausdruck quittiert der Prinz mit einem Grinsen. "Ich sagte doch, es ist nicht wie andere Feste."

"Offenbar nicht", murmele ich immer noch erstaunt über seine Aussage. Es macht mich nur noch neugieriger und ich kann es kaum erwarten, bis das Seifenblasenfest endlich beginnt.

Im Bann des RubinkönigreichesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt