Kapitel 16: Lukasz

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Sobald ich sicher war, dass die Nacht mich verschluckt hatte, rannte ich los. 

Das Rennen half zu verdrängen, von dem ich eigentlich wusste, dass es unausweichlich war. Ich wusste, dass ich es nicht weiter zurückhalten konnte, dass ich realisieren und akzeptieren musste. Doch ich wusste auch, dass wenn ich die Gedanken einmal ausgesprochen hatte, ich sie nicht mehr zurücknehmen konnte. Und was es bedeutete wusste ich genauso. Nichts würde mehr sein wie es war. Nach einer Ewigkeit wurde ich langsamer, bis ich stehen blieb und mich schließlich in den Sand fallen ließ. Meine Beine brannten und mein Kopf schmerze. 

In meinem Gehirn herrschte Chaos. 

Doch ein Gedanke kämpfte sich an die Oberfläche. Erschreckend klar formulierte er sich in meinem Kopf. Ich hatte ihn küssen wollen. Ich hatte meinen besten Freund küssen wollen. Aber genau das war er, mein Freund. Es konnte und durfte nicht sein. Ich sah die letzten acht Jahre an mir vorbeiziehen. Wie wir jeden Tag ein Stück näher zusammengerückt waren und wie unsere Freundschaft immer mehr gewachsen war. Ich dachte an alle schönen Momente, die wir gemeinsam erlebt hatten und an die Momente, in der wir einander Fels in der Brandung waren. Er bedeutete mir die Welt und war die wichtigste Person in meinem Leben. Wenn ich es ausspräche würde ich dies alles wegwerfen, würde in Gefahr bringen, was wir alles hatten. 

Doch ich konnte es nicht vermeiden. Ich konnte nicht leugnen, was sich in den letzten Monaten in mir zusammengebraut hatte: 

Ich hatte mich in meinen besten Freund verliebt. 

Der Gedanke nahm mir den Atem und ließ mich stocksteif werden. Mir das einzugestehen war hart, kostete so viel Überwindung, wie lange nichts mehr. Ich fühlte mich hilflos und schutzlos.

Was sollte ich tun? Wie sollte es weiter gehen? Er hatte sicherlich bemerkt, wie ich auf seine Lippen gestarrt hatte und auch mein Herz hatte er gespürt. Zwar hatte er sich zu mir umgedreht, doch sagte das nichts darüber aus, ob er das Gleiche für mich empfand wie ich für ihn. Eine nie gekannte Angst überrollte mich und verschluckte mich, als würde sie mit der Dunkelheit konkurrieren wollen. Die Angst, die wichtigste Person in meinem Leben zu verlieren. 

Zu der Angst mischten sich Verzweiflung und Ratlosigkeit. Sollte ich sofort zum Hotel gehen und ihm alles sagen? Was sollte ich ihm sagen? Sollte ich überhaupt etwas sagen? Sollte ich den Schaden begrenzen und dafür sorgen, dass unsere Freundschaft erhalten blieb und meine Gefühle zurückstecken? Ich wusste es nicht. Jede Lösung schien falsch. Zu warten was er tat, fühlte sich auch falsch an, da ich ja weggelaufen war. 

Müde ließ ich meinen Kopf in meine Hände fallen. Ich war verliebt in Marcel. Und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte.

Kurzgeschichte Lukasz x MarcelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt