Kapitel 1. Die Wiedervereinigung

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Matsch spritzte zu allen Seiten, als eine hochgewachsene vermummte Gestalt über den weichen Boden des Moores stapfte. Das Wasser stand ihr bis zu den Knien. Es regnete. In dem Moor war nichts, als ein paar Grasbüschel und ab und zu ein Baumstumpf oder Stein. Das Wesen hockte sich neben ein besonders tiefes Wasserloch, aus dem ein merkwürdiges Leuchten kam. "Haer!", tönte eine unheimlich raue, weibliche Stimme daraus hervor. "Ja Meisterin Lavalca!", antwortete der Junge und setzte seine Kapuze ab. Orangenes Haar tauchte darunter hervor. Er war jung und seine unruhigen grünen Augen musterten das Wasserloch ein wenig misstrauisch.

Der Kopf einer Gestalt tauchte daraus hervor. Die braunen Haare waren verfilzt und voll mit Schlamm und Ästen. Sie war ganz mager. Ihre Haut war blass und verschrumpelt. Lavalca war kaum wiederzuerkennen, doch ihre ausdrucksvollen Augen verrieten, dass es sie war.

"Schau nicht so, Haer! Ich bin gestorben und jetzt eine Ghula. Zumindest vorerst. ", sagte Lavalca grollend. "Und wieso genau, sollte ich einer Leichen- und Menschen fressenden Dämonin vertrauen?", fragte der Junge, der Haer hieß. "Sei nicht so frech zu deiner Mutter! Du bist mir verpflichtet. Du bist ein Homunkulus, ein von mir künstlich geschaffener Mensch, mein dämonischer Helfer und außerdem ernähre ich mich von den Moorleichen hier!", sagte sie gehässig, "Du wirst ein paar Dinge für mich erledigen!" "Was soll ich tun?", fragte Haer trotzig. "Ich will Rache! An Firenah und Josko. Ein Menschenmädchen und ein Waldelf. Sie haben mich getötet.", entgegnete die Ghula. "Du willst also, dass ich sie für dich töte?", fragte Haer unbeeindruckt. "Lass mich ausreden, du Missgeburt!", sagte Lavalca genervt, "Du musst den König und seine kleine Freundin Salya für mich ausspionieren! Ich habe da so ein Gefühl, dass sie mich zu dem Objekt meiner Begierde führen: dem verschollenen Lichtamulett, dass du sicher aus den alten Sagen hier in Allorgan kennst. Nun dieses gibt es wirklich und ich benötige es, um mein Leben wieder voll herzustellen. Dann kann ich endlich Rache an Firenah und ihrem Waldelfenfreund nehmen! Du sollst zum Schloss gehen und dich als entfernter Cousin ausgeben. Hast du das verstanden?" "Ich habe verstanden!", sagte Haer und ein bösartiges Funkeln zuckte durch seine Augen.

Josko sprang vom Pferd. "Da wären wir!", sagte er, "Runan, in all seiner Pracht." Er half Firenah vom Pferd. Das war ziemlich schwierig, weil ihr Bauch in den letzten Monaten beträchtlich gewachsen war. "Es ist komisch wieder hier zu sein!", sagte Firenah, die in ein wunderschönes grünes Kleid der Waldelfen gehüllt war und ließ Joskos Hand los, "Ich war fast ein Jahr nicht mehr hier, obwohl es meine Heimat ist."

"Firenah!", schrie eine Stimme hinter ihnen und sie drehte sich um. "Hallo, Salya!", rief Firenah dem braunhaarigen Mädchen zu, dass vom Schlosseingang her auf sie zugestürmt kam. Sie trug ein blaues Kleid mit hübschen Stickereien darauf. Die Freundinnen fielen sich in die Arme. "Ich habe dich so vermisst! Lass dich ansehen!", sagte Salya und trat einen Schritt zurück um Firenah zu begutachten, "Wow, dein Bauch ist ja groß geworden!" "Danke, ich habe dich auch so sehr vermisst!", entgegnete sie und sie fielen sich erneut in die Arme.

"Josko, Firenah, hallo!", rief Kenos, der auch hinzugestoßen war und schüttelte Josko die Hand, "Lang ist es her! Lasst uns hinein gehen! Der Koch hat lauter Delikatessen zubereitet!"

Die vier Freunde liefen die Treppen hoch, in das Schloss. "Kommt hier entlang!", sagte der König und führte seine Gäste nach rechts in das prunkvolle Esszimmer. Es war gemütlich. Ein Feuer prasselte im Kamin und der Tisch war mit Kerzen geschmückt, doch das auffälligste war natürlich das Essen. Es gab Fisch und gebratenes Fleisch, Kartoffeln, in allen nur erdenklichen Formen, Soßen und Gemüse, Meeresfrüchte und Kuchen, Obst auf Goldtellern, einen Brunnen mit geschmolzener Schokolade und Datteln, Pudding und Nüsse und noch so viel mehr. Zu trinken gab es Wein und Bier. Ein Diener geleitete die Herrschaften zum Tisch und tat ihnen sehr viel auf die Teller. "Das sieht aber köstlich aus!", sagte Firenah, die sich gar nicht entscheiden konnte, was sie zuerst probieren sollte. Als der Diener ihr allerdings Wein in ihren goldenen Becher füllen wollte, sagte sie: "Nein danke, ich bin schwanger. Ich darf keinen Alkohol zu mir nehmen." "Also, was gibt es bei euch neues?", fragte Josko neugierig, während er sich gerade über sein Schweineomelette hermachte. "Also tatsächlich sind wir verlobt!", verkündete Kenos glücklich und griff nach Salyas Hand. "Was? Seit wann?", entgegnete Firenah erstaunt und ließ die Gabel zurück auf den Teller sinken. "Eigentlich schon seit kurz nach der Krönung.", antwortete Salya. Das Gespräch zog sich über ein paar Stunden und es wurde viel gelacht. Und gerade als alle aufgegessen hatten und satt über dem Stuhl hingen, kam ein Diener in den Saal gestürmt. "Es tut mir leid, Euch zu stören, Hoheit! Aber unten vor der Tür wartet ein junger Mann. Ein entfernter Cousin von Euch: Prinz Haer II."

Allorgan - Das Amulett des LichtesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt