Kapitel fünf - ein Kopf voller Wörter

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Jungkook

Ich hatte das Gefühl mein Herz würde bluten. Jimins Worte waren am Ende der Trainingsstunde so hart gewesen, dass ich mich sehr zusammenreißen musste nicht zu weinen. „Kein Rhythmusgefühl", „total asynchron", „absoluter Anfänger", er sagte solche Worte nicht mal zu mir, sondern mehr zu sich selbst. Und vielleicht, weil er es gerade zu sich selbst murmelte, traf mich das so hart. War ich wirklich so schlecht, dass er mir das nicht mal ins Gesicht sagen wollte?

Das Gefühl konnte ich nicht mal benennen. Ich stand an der Barre und starrte stur in den Spiegel. Diese Bewegungen fühlten sich nicht mehr nach meinem leeren Raum an. Nicht mehr nach meinen Safe-Place. Ich stoppte, starrte weiterhin auf mich. Rücken gerade, bauch rein, Fuß strecken, noch mal von vorn. Ich übte, was Jimin angemeckert hatte. Vielleicht würde er dann mehr zufrieden sein. Vielleicht würde ich dann keine Niete mehr in seinen Augen sein. Dann würde er mich als würdigen Partner akzeptieren können. Ich wollte für ihn gewinnen. Jimin, als so guter Tänzer hatte auch diesen Preis verdient. Da würde ich auch mal kurz meinen leeren Raum wegstecken können.

Ich hatte keinen Plan, wie lange ich schon in diesem Raum stand und die Übungen stetig wiederholte. Ich hatte mir von Hoseok einen eigenen Raum für heute geliehen, dann hatte Jimin unseren Paarraum, falls er den brauchte, um selbst zu trainieren. Ich wollte ihm nicht noch mehr im Weg sein. Im weg zu sein war nie gut. Das hatte ich schon in der Schule gelernt und daheim erst recht. Wenn ich nicht im Weg war, stritt sich meine Mutter nicht wieder mit meinem Stiefvater. Diesem war ich häufig im Weg. Er hatte immer etwas an mir oder meinen Worten auszusetzen, wohl ein guter Grund für mich einfach still zu bleiben. Wer still war fiel nicht auf und das war häufig vom Vorteil.

„Jungkook?", unterbrach mich Hoseok in meinen Gedanken schloss die Tür hinter sich. „Es ist schon spät." Mein Blick glitt zum Fenster. Tatsächlich strahlte die Abendsonne in den Raum und ließ mich für einen weiteren Moment innehalten. Die Sonne strahlte rot zwischen den Häusern hervor und berührte mein inneres. Konnte ich je so schön strahlen wie die Sonne wenn ich tanzte? Würde ich dazu in der Lage sein? „Ja...", antwortete ich verspätet und spürte wie Hoseok neben mich trat. Seine warmen Hände legten sich auf meine Schultern. Während die eine meinen Arm entlang glitt und diesen in eine andere Position brachte, fuhr die andere meine Hüfte entlang und zog die ein bisschen zur Seite. „Du bist total verkrampft", erklärte mir Hoseok und lächelte mich dann im Spiegel an.

„So stehts du schon viel besser." Ich betrachtete mich im Spiegel, während Hoseok mich losließ. Ja. Ich sah nun viel eleganter aus. Einen Moment prägte ich mir die Haltung ein, bevor ich sie losließ. „Ich denke ich sollte dann wohl gehen.", meinte ich und sah Hoseok nicken. „Entspann dich daheim etwas. So verkrampft zu sein tut den Muskeln nicht gut", riet mir Hoseok und trat wieder zur Tür. „Ich würde gerne das Studio in so zehn Minuten zuschließen können." Ich nickte und seufzte als Hoseok wieder verschwunden war.

Er war ein stiller Typ, konnte durchgreifen und verstand sein Handwerk. Noch einmal wagte ich es nicht n die Position zurück zu gehen, in der mich Hoseok gerade berichtigt hatte. Nein, nicht jetzt. Ich würde das vielleicht noch einmal üben, wenn ich daheim bin. Schnell hatte ich meine Sachen gepackt, mich umgezogen und auf Wiedersehen gesagt. Während ich im Bus saß, überlegte ich was ich alles noch für Hausaufgaben hatte. Für Bio musste ich noch etwas machen, auch wenn ich darauf nicht wirklich Lust hatte.

Morgen am Mittwoch würde wieder Training sein und ich wusste noch nicht so genau, ob ich Jimin so schnell wiedersehen wollte. Es war schon gut, dass wir nicht zusammen auf eine Schule gingen, so konnte er mich auch nicht da erinnern, wie schlecht ich war. Seine Worte verfolgten mich. Jagten mir durch den Kopf und noch immer fühlte ich mich erdrückt, als ich die Wohnungstür öffnete. Wir wohnten in einem kleinen Apartment. Meine jüngeren Geschwister teilten sich ein Zimmer, während das kleinste noch im Elternzimmer schlief. Ich hingegen hatte ein eigenes Zimmer, welches aber auch zum Wäscheaufhängen und als Arbeitsplatz genutzt wurde. Das Wohnzimmer teilte sich den Platz mit der offenen Küche und dem Essbereich.

„Jungkook", wurde ich gleich schroff von meinem Stiefvater begrüßt. „Wo warst du?" „Trainieren", antwortete ich leise und konnte schon hören, wie er schnaubte. „Das unnütze Zeug also wieder?", fragte er und schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht verstehen, wie sie das unterstützen kann. Diesen Mädchenkram. Wärst du ein Mädchen, bitte, tu dir keinen Zwang an das zu tanzen, aber..." Schnell verkrümelte ich mich in meinem Zimmer, um nicht weiter seinen Worten zuhören zu müssen. Ich hatte gerade meine Schultasche neben meinem Bett abgelegt als meine Mutter ins Zimmer schaute. „Schlaf gut, Jungkook", sagte sie sanft und zupfte müde an ihrem Haar. „Ja, gut Nacht, Mama", antwortete ich und seufzte nachdem sie die Tür wieder hinter sich schloss. 

Was solls, dann erzähle ich ihr eben Morgen von meinem Tag. Erzähle ihr alles was sich mal wieder in mir angesammelt hat. Auf einen Tag mehr oder weniger kommt es nun auch nicht drauf an.

Oder so. 

Hold me right - JikookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt