Kapitel vierzehn - Talent ist nur ein Topping

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Jimin

Wir hatten nur noch eine gemeinsame Übungsstunde. Unsere letzte vor dem Wettbewerb. Ich spürte die Aufregung durch meinen Körper schon jetzt wallen und es fühlte sich gut an. Das erste Mal seit Jahren verspürte ich wieder Lampenfieber. Ich schaute in den Spiegel und sah meine geröteten Wangen. Noch nie hatte ich mit jemand anderen so intensiv trainiert wie Jungkook und dabei so viel spaß gehabt. Und ich hatte verdammt viel Spaß. „Was denkst du?", fragte Jungkook und legte seinen Kopf auf meine Schulter. Wir teilten durch unsere eingebauten Choreoparts viel Körperkontakt. Anfangs war es seltsam gewesen und hatte sich distanziert angefühlt, eben nur nach Tanzpartner, doch jetzt fühlte ich mich beruhigt, wenn ich ihn spürte.

Bei ihm konnte ich ganz vergessen, dass mein Vater mir im Nacken saß, dass er den Druck auf mich erhöhte. Er erwartete zu viel von mir. Erwartete gute Noten, erwartete perfekte Hobbys. „Dass ich mich wohl bei dir fühle...", antwortete ich murmelnd. Es fiel mir nicht leicht, den Frust über meinen Vater und Schule nicht in Wut umzuwandeln. In Zeug, das ich Jungkook an den Kopf werfen würde. Ein paar Mal war mir das mittlerweile schon passiert, wobei ich mich häufig dabei selbst gebremst hatte, da Jungkook fast jedes Mal in Tränen ausbrach, weil er sich für meine Wut wieder die Schuld gab. Er war so ein zarter Junge und ich einer unter Druck.

„Ich mich bei dir auch", flüsterte Jungkook mir ins Ohr und löste damit einen wohligen Schauer aus. Es erwärmte mich von innen und ich bekam Lust gleich noch mehr zu tanzen. Nur zu tanzen mit Jungkook. „Denkst du wir könnten gewinnen?", fragte ich ihn und versuchte seinen Blick über meine Schulter hinweg zu erhaschen. „Vielleicht", lächelte er und erwiderte meinen Blick. „Wenn wir das wollen, ganz bestimmt." Sein Lächeln war schön. Es erreichte seine Augen und gab dem wilden Haar auf einmal ein freundliches Wesen, ein attraktives. „Wollen wir gewinnen?", fragte er nun mich und schlang seine Arme um meine Taille. Sanft fuhr er meinen Bauch entlang, bevor er meinen Arm in die Höhe hob. Seine andere Hand glitt meinen Oberschenkel entlang zu meinem Bein.

Ich wusste was er vorhatte und schloss vertrauensvoll meine Augen. Unter unseren Füßen befanden sich keine Matten mehr, doch ich wusste Jungkook würde mich kein weiteres Mal fallen lassen. Ich lehnte mich an ihn und bog mich seiner Bewegung entgegen. Es war eine einfache Figur, welche wir hier taten. Eine ohne großartige Bewegung, auf einem Punkt, ohne Schwung und ohne Musik. Ich genoss hier nur gerade Jungkooks stützenden und leitenden Hände, vergaß was alles außerhalb auf mich warte. „Ich denke, ...", sagte ich und lehnte mich mit mehr Gewicht an ihn, um mich bestmöglich zu ihm umdrehen zu können, „... wir wollen!"

Jungkook lachte leicht, bevor er mir half mich ordentlich wieder hinzustellen. „Also dann noch einmal?", fragte er und ich nickte nur zustimmend. Das war sie. Die letzte Probe. Unsere letzte Probe vor diesem Wettbewerb, vor dem Jungkook so Bammel hatte. Ich wusste morgen und übermorgen würde ich wieder viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, um ihn dazu zu bewegen nicht den Mut zu verlieren auf die Bühne zu gehen. Aber das war okay. Ich würde für ihn dabei eine Stütze sein, die ich selbst damals gebraucht hätte.

Als ich später den Raum abschloss und den Schlüssel zurück ans Board brachte, da unsere Ausleihzeit ausgelaufen war, begegnete ich Hoseok. „Wie läuft es?", fragte er und ich runzelte die Stirn bei seinem Gesichtsausdruck. Er wirkte vorsichtig, fragend. „Ich habe euch bisher nicht mehr zu Gesicht bekommen. Und der Auftritt ist übermorgen." Es stimmte. Hoseok hatte Jungkook und mich nicht ein einziges mal mehr zu Gesicht bekommen. Wahrscheinlich weil wir beide uns auf Trainingszeiten geeinigt hatten, die direkt nach unserem Unterricht stattgefunden hatten, damit wir beide unserem Zuhause entgingen. Dementsprechend waren wir häufig schon weg, wenn Hoseok beobachten kommen wollte. „Ja, wissen wir", antwortete ich und Hoseok nickte.

„Als ich euch bei der Hebefigur beobachtet habe, hat euer Tanz nicht wirklich harmonisch gewirkt. Davor war Jungkook bei mir gewesen und hatte mir mitgeteilt, du würdest sehr über ihn richten, aber weil erst ich keine Zeit hatte und dann ihr nicht auffindbar wart, konnte ich nicht mehr nachfragen." Der Tanzlehrer wirkte fast schon traurig. Aber was bildete ich mir ein, natürlich musste er besorgt sein, wenn er erfuhr das einer seiner Tanzschüler den anderen herunter machte. „Hast du wirklich so über Jungkook geredet?"

Am liebsten hätte ich es verneint, aber ich biss die Zähne zusammen. Anfangs hatte ich das getan, war ein Ekelpaket gewesen, das ich selbst nicht mal leiden konnte. „Jimin..." Mein Gegenüber schlussfolgerte das Richtige aus meinem Schweigen und seufzte schwer. „So kenne ich dich...", begann er, doch ich unterbrach ihn in dem ich heftig den Kopf schüttelte. „Ich bin so Hoseok. Ich habe Jungkook nur gesagt was ich denke und fürs Gewinnen ist er einfach zu schlecht." Ja, das hatte ich gedacht. Hoseok schaute mich mit großen Augen an, während ich mich umdrehte und noch einmal Luft holte: „Ich bin ein Gewinner, kein Verlierer."

Die letzten Gedanken behielt ich für mich, während ich so schnell wie möglich ging. Hoseok würde morgen beim Wettbewerb den Rest der Story erfahren. Da würde er erfahren, dass ich erst jetzt lernte, was es hieß zu gewinnen. Was es hieß frei zu sein. Denn ich musste nicht eifersüchtig sein. Talent war nur die Kirsche auf dem Muffin von Übung – wie Jungkook es formuliert hatte. Während ich also der Kuchen war, war Jungkook meine Kirsche. Und das gefiel mir vielleicht besser, als ich mir selbst eingestehen wollte.

Hold me right - JikookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt