Kapitel 2

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Als ich das Prospekt zurück in meine Handtasche packen wollte, fiel ein Bild aus einer der vielen Seiten heraus und ich musste unfassbar stark lächeln, als mein Blick auf das selbstgemalte Bild von einem der Kindergartenkinder fiel. Sie bezauberten mich jeden Tag mit ihrer süßen, lieblichen Art. Sie malten mir sehr oft Bilder, von welchen ich bereits eine Sammlung besaß. Ich musterte noch immer lächelnd das Bild. Darauf war ein größeres Mädchen gemalt, welches mich darstellen sollte mit einem übermäßig großen Herz auf der linken Brust. Neben mir war das kleine Mädchen abgebildet, welches mir das Bild gemalt hatte. Sie hielt meine Hand fest, das konnte man sich gerade noch so erschließen. Dieses Bild war von einem Mädchen gemalt worden, welches bereits zu den Älteren der Gruppe gehörte. Es erwärmte mein Herz förmlich durch die ganze Liebe, die ich von diesen Kindern zu spüren bekam. Es war wahrlich mein größter Traum, eines Tages mehrere Kinder zu haben, ich liebte Kinder. Allerdings musste ich immer mit dem Gedanken leben, dass ich das vielleicht niemals erleben würde.
Ich wurde durch das Öffnen der Türe aus meinen Gedanken gerissen und blickte reflexartig auf meinen soeben das Wohnzimmer betretenden großen Bruder. Ein Lächeln schmückte sein Gesicht, wodurch sein liebliches Grübchen auf der rechten Seite seiner Wange und seine weißen, gepflegten Zähne zum Vorschein kamen. Auch meine Mutter eilte mit einem Lappen in der Hand aus der Küche heraus, um ihren Sohn willkommen zu heißen. "Hast du Hunger mein Schatz?", begrüßte sie ihn mit den selben Worten wie mich ebenfalls und zierte das Ganze mit einem Kuss auf seine Wange. Als sie jedoch das tröpfeln des Lappens bemerkte, hastete sie blitzartig zurück in die Küche und löste somit bei mir und meinem Bruder ein leises Lachen aus. "Ja natürlich!", gab er ihr zu verstehen und ging ihr hinterher in die Küche, um sich einen Teller zuzubereiten. Nach einer geschätzten Minute kam er zurück und ließ sich auf dem Stuhl neben mir nieder. "Und, wie geht's dir? Warst du in der Klinik?", löcherte er mich direkt mit Fragen. "Gut geht es mir, und dir?", antwortete ich noch immer lächelnd. "Ja war ich und nein, es gibt nichts neues.", antwortete ich auf die unausgesprochene Frage seinerseits, welche ich bereits vorhergesehen hatte. Er bestätigte die Antwort mit einem Nicken, wobei sein Blick auf die Prospekte fiel und er quer über den Tisch danach griff. "Was ist denn das?", sprach er mit vollem Mund. "Nierentransplantation - alles was man über diesen Vorgang wissen sollte", schmatzte er vor sich hin und fuhr anschließend fort. "Wofür brauchst du das?" "Ich brauche das gar nicht, das hat mir meine Ärztin heute wieder einmal mitgegeben." Er nickte bloß, während er sich auch einen Überblick über das zweite Prospekt verschaffte und dabei belustigt auf das gemalte Bild blickte. "Süß!", kam es euphorisch von ihm, während er mich anlächelte. "Und wie war dein Tag?", wollte ich interessiert von ihm wissen. "Wie immer. Uni Alltag halt", gab er uninteressiert von sich, während er kein einziges Mal von seinem geliebten Essen aufsah. Ich musterte ihn von der Seite und beobachtete, wie sein Grübchen immer wieder zum Vorschein kam. Dieses bekannte Grübchen besaßen wir beide, geerbt hatten wir es von unserer Mutter. Er sah für einen kurzen Moment auf, wodurch ich seine hellbraunen Augen erblickte, die gänzlich lächelten. Anschließend konzentrierte er sich wieder auf das Essen und ich bekam einen Blick auf die Seite seines Kopfes. Seine Haare waren oben relativ lang und an den Seiten ziemlich kurz, was meiner Meinung nach sein markantes Gesicht sehr stark zum Vorschein brachte. Sein Teller war nun leer, weshalb er sich erhob und man einen verheerenden Blick auf seinen großen, breitgebauten Körper hatte. Er stapelte unsere Teller aufeinander und räumte sie anschließend in die Spülmaschine ein. Ich folgte jeder seiner Aktivitäten mit meinem Blick und beobachtete ihn sehr aufmerksam, was ich übrigens immer tat. Ich war ein überaus aufmerksamer Mensch und es war fast zu einer Angewohnheit geworden, die Tätigkeiten anderer Personen genauestens zu beobachten. Ich musterte auch gerne das Äußere der Menschen, das fand ich sehr interessant. Im nächsten Moment jedoch riss mein allwissender Bruder mich aus meinen Gedanken "Beobachtest du mich schon wieder, du Hexe?", rief er mir von der Küche aus zu, lief näher an mich heran und zerzauste anschließend meine pechschwarzen Haare, welche mit sehr wilden Locken gerüstet waren. Ich versuchte mich zu wehren und schlug seinen Arm immer wieder weg, bis er unbewusst an meinen linken Arm stieß und ich plötzlich aufschrie. "Scheiße, das wollte ich nicht!", fluchte er und nahm mich vorsichtig in seine Arme. Ich war ein sehr empfindlicher Mensch und konnte Schmerz kaum ertragen, zumal er nicht gerade unsanft an die schmerzende Stelle gestoßen war. Allmählich legte sich der Schmerz, doch mein Bruder entschuldigte sich immer noch. "Tut gar nicht mehr weh!", vermittelte ich ihm stolz und im nächsten Moment grinste er mich an. Mit seinen sechsundzwanzig Jahren war mein Bruder fünf Jahre älter als ich, was man oft ziemlich deutlich merkte, wenn er den fürsorglichen und beschützenden großen Bruder spielte.
"Yasin, wann ist das Semester zu Ende?", hörte man meine Mutter aus der Küche rufen. Er begab sich augenblicklich zu ihr, während ich mir meine Tasche schnappte, in mein Zimmer marschierte und anschließend die Nummer meiner besten Freundin Sibel wählte. "Habe ich richtig gelesen? Bist du es Eda?", fragte mich meine beste Freundin gespielt erstaunt. "Ha-ha!", antwortete ich ihr daraufhin gespielt genervt. "Wie kommt es denn, dass du dich mal wieder meldest?", trotze sie in den Hörer. "Es tut mir wirklich leid!", gab ich entschuldigend von mir, was sie mit einem "Ist doch nicht schlimm, ich weiß doch, dass du viel zu tun hast.", erwiderte. Im nächsten Moment huschte mir ein Lächeln über das Gesicht.
Nachdem ich minutenlang mit Sibel geplaudert hatte, kam ich auf den eigentlichen Grund meines Anrufes zu sprechen. "Ich habe morgen nach der Arbeit Zeit, wollen wir etwas unternehmen?", fragte ich sie erwartungsvoll. "Ja klar! Musst du morgen nicht in die Klinik?" "Zum Glück nicht! Morgen ist doch Dienstag.", antwortete ich ihr auf die Frage. "Ach ja, stimmt!"
Wir redeten noch einige Minuten miteinander, bis wir schließlich auflegten. Ich befreite mich von meiner engen Jeans und tauschte sie durch eine durchaus komfortable Jogginghose aus. Mein Oberteil wechselte ich ebenfalls und schritt anschließend aus meinem Zimmer heraus in Richtung des Badezimmers. Ich Schloss die Tür hinter mir zu und betrachtete mich im Spiegel. Durch meine dunkeln Augenringe, welche auffällig hervortraten, konnte man sich meine Müdigkeit erschließen. Ich griff zu einem Haargummi und Band meine Löwenmähne zu einem Dutt zusammen, wodurch man die Umrisse meines ovalen Gesichtes besser zu sehen bekam. Ich schnappte mir ein Abschminktuch und entfernte die Wimperntusche von meinen dunkelbraunen, großen Augen. Anschließend bückte ich mich zum Waschbecken hinunter und wusch mir mit einem Waschgel das Gesicht. Als das kalte Wasser auf mein Gesicht traf, konnte ich deutlich die Entspannung spüren, die sich in meinem Gesicht breit machte. Ich trocknete mich nun ab und sah erneut in den Spiegel. Ich lächelte meinem Spiegelbild entgegen, wodurch mein Grübchen augenblicklich hervorstach.
Nachdem ich auch meine Zähne geputzt hatte, spazierte ich zurück in das Wohnzimmer. Als ich den Flur beschritt, schallten mir bereits die harmonischen Stimmen meiner Eltern ins Ohr. Sie sprachen über übliche Themen. Als mein Vater mich erblickte, hörte er augenblicklich auf zu sprechen und kam mir entgegen. "Wie geht es dir Prinzessin?", sprach er mir liebevoll zu und drückte mir einen Kuss auf die Stirn, während er mich behutsam in seine Arme nahm. "Sehr gut!", strahlte ich und drückte ihm ebenfalls einen Kuss auf die Wange. "Wann bist du gekommen?", fragte ich ihn anschließend. "Vor einigen Minuten Eda.", erwiderte er ruhig und setzte sich wieder auf das Sofa. Ich setzte mich zu meinen Eltern und wir sprachen über dies und jenes. Ich genoss jede gemeinsame Sekunde mit meiner Familie und zugegeben, ich war eindeutig ein Vater-Kind! Er war schon immer meine stärkste Stütze und mein Held gewesen.

Der schrille Klang meines gehassten Weckers riss mich aus meinem himmlischen Schlaf, weshalb ich grob und genervt auf ihn einschlug. Wie ich es hasste! Nachdem er endlich ruhig war, wälzte ich mich noch einige Male in meinem geliebten Bett herum und erhob letztendlich mein Haupt. Schlaftrunken wanderte ich zu meinem Kleiderschrank und suchte mir schlichte Klamotten heraus. Bevor ich diese jedoch anzog, richtete ich mich im Bad und aß eine Kleinigkeit. Nachdem ich mir auch meine Kleidung übergezogen hatte, machte ich mich auf den Weg in den Kindergarten.
"Hey Eda, bist du es?", sprach mir meine Kollegin zu, die wohl meine Schritte erhört hatte. Ich schloss die Tür hinter mir und antwortete ihr harmonisch mit einem "Guten Morgen!" "Morgen!", erwiderte meine nette Kollegin und schritt schlussendlich aus dem kleinen Raum heraus, wo wir wie gewohnt unsere Jacken und Taschen verstauten. "Wie geht es dir?", fragte ich sie, während ich mir die Jacke auszog und sie über einen Stuhl schmiss. Ich legte meine Tasche ebenfalls auf den Stuhl und erwartete nach wie vor ihre Antwort. "Super und dir?"
"Gut, dankeschön.", sagte ich ruhig und lächelte ihr zu. "Ist außer uns niemand da?"
"Von den Kindern ist keiner da, die anderen sind im Hof." Ich nickte ihr bloß zu und betrat den Raum, welcher zu meiner Gruppe gehörte und was man an dem roten Farbklecks über dem Türrahmen erkennen konnte, was für die "Rote Gruppe" stand.
Allmählich wurde der Kindergarten immer lebendiger, durch die vielen Kinder, die nach und nach hinzukamen.
Es war schon immer mein Traumberuf gewesen, Kindergärtnerin zu werden. In der Schule war ich nie besonders gut gewesen, weshalb ein Studium für mich nicht in Frage kam. Eine pädagogische Ausbildung war genau das Richtige für mich gewesen. Ich liebte Kinder und ich konnte sehr gut mit ihnen umgehen, weshalb ich mir keinen besseren Job hätte vorstellen können, auch wenn es nicht der bestbezahlte Beruf war, das war mir gleichgültig. Für mich war es ein wunderschönes Gefühl, Liebe zu erhalten und diese bedingungslose Liebe erhielt man von den süßen Kindern, was mein Leben förmlich mit Freude und Glück bereicherte. "Eda!", rief ein kleines Mädchen nach mir und riss mich somit aus meinen Gedanken. Sie stand nun vor mir und blickte zu mir hoch, bis ich mich zu ihr niederkniete. "Ja, Lara?", sprach ich ruhig und sah ihr dabei in ihre glitzernden Kinderaugen. "Magst du mir Wasser einschenken?", fragte sie mich laut und ich bejahte. Sie folgte mir zu dem Tisch mit den Getränken, wo ich nach dem Becher mit ihrem Namen suchte und ihn ihr mit etwas Wasser reichte. Hastig trank sie den Becher aus, reichte ihn mir und flitzte mit einem "Danke!" wieder davon, um weiterhin mit den Kindern zu spielen. Ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen und ich stellte den Becher zurück auf den Tisch, während ich dem hellen Kindergelächter lauschte.

Ich griff nach meiner Tasche und legte mir meine Lederjacke über den Arm, während ich mich der Tür näherte. "Tschüss, schönen Tag wünsche ich euch!", rief ich meinen Kollegen harmonisch zu und eilte heraus, bevor ich ihre Antworten zu Ohr bekommen konnte.
"Hey Edi!", rief Sibel euphorisch in den Hörer, was ich mit einem Augenrollen erwiderte. "Du sollst mich nicht so nennen!" Im nächsten Moment brach sie in schallendem Gelächter aus, was mich ansteckte. "Na gut, Eda!", gab sie schließlich nach und wir verabredeten uns kurzerhand. "Am Marienplatz?" "Ja, wie immer. Und wann?" "Ähm.. zwanzig Minuten?" Ich bejahte und anschließend legten wir auf.

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