"Frau Demirel..", sprach meine Ärztin mir zu, während das Dialysegerät seine Arbeit leistete. "Ja?", erwiderte ich neugierig. "Wie sie wissen gilt grundsätzlich, je länger und häufiger sie als Patient dialysiert werden, umso schonender ist die Dialyse und geringer sind die Spätschäden und umso mehr erhöht sich ihre Lebensqualität." Sie schnaubte kurz auf und fuhr nach einem Nicken meinerseits fort. "Dennoch kann die normale Nierenfunktion nicht komplett dadurch ersetzt werden und eine Nierentransplantation wäre um einiges effektiver. Ich weiß, wie sie dazu stehen. Jedoch steht ihr Leben auf dem Spiel und ich würde sie bitten, mit ihrer Familie darüber zu reden."
"Frau Koch." ich holte tief Luft und merkte bereits, wie mir allmählich schwindeliger wurde durch das Blut, was meinen Körper verließ. "Ich möchte nicht, dass meine Familie sich darüber Gedanken macht. Mein Bruder kommt nicht in Frage, da sein Blutdruck nicht regulär ist. Meine Eltern werden immer älter und ihre Organe werden demnach schwächer. Deshalb möchte ich nicht, dass einer von beiden ebenfalls an Organversagen geschwächt werden könnte. Eine Nierentransplantation eines Lebendspenders ist sehr reich an Risiken, ich möchte ihnen das nicht zumuten. Verstehen sie?" Ich hatte es satt, den Ärzten immer wieder aufs Neue diesen Vortrag halten zu müssen, welcher mittlerweile automatisch aus meinem Mund geschossen kam. Generell hatte ich alles satt und wäre am liebsten frei von Sorgen, denn mein größter Wunsch war schon immer Gesundheit gewesen. Mein Bruder und ich, wir waren sehr bescheiden großgezogen worden und wir wussten, dass die wichtigsten Dinge nicht materiell waren. Deshalb diente uns unsere Familie als unfassbar starker Stützpunkt, der uns immer wieder aufs Neue die Kraft dazu gab, niemals aufzuhören und immer die Hoffnung auf ein Gelingen beizubehalten.Meine Ärztin nickte bloß und bereitete sich darauf vor, weiter zu argumentieren, was ich jedoch nicht zuließ. "Nichts wird meine Meinung auch nur im Ansatz ändern können, ich möchte gerne auf die Niere eines Organspenders warten, auch wenn die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist."
"Wenn das so ist, Frau Demirel. Ich schätze, dass sie sich bewusst sind, dass ihre einzige funktionierende Niere immer schwächer wird und die Dialyse somit immer lebenswichtiger. Zu ihrem Profit würde ich sie also bitten, dass sie neben den drei Tagen in der Woche auch noch am Wochenende kommen. Sie können sich frei aussuchen, ob Samstag oder Sonntag."
Unfassbar Laut seufzte ich auf. Vier Mal in der Woche? Das hörte sich schrecklich an. Mein halbes Leben spielte sich in dieser Klinik ab, welche ich bereits studiert hatte. Dieser starke Geruch der sterilen und der Desinfektionsmittel stach mir jedes Mal aufs Neue in die Nase ein und obwohl er mir bereits vertraut sein sollte, musste ich den Drang zum Erbrechen immer wieder zurückhalten, meine Nase und meine Geschmacksnerven waren mit der Zeit sehr empfindlich geworden. Das Wartezimmer hingegen war ziemlich neutral vom Geruch her, und während ich in das Zimmer mit dem Dialysegerät gebracht wurde, begegnete ich den unterschiedlichsten Menschen. Beispielsweise Herr Schulze, welcher zu meinen Terminen stets im Aufenthaltsraum seinen Kaffee trank und mich freundlich grüßte, er litt an einem Gehirntumor. Oder Frau Meier, die es nicht mochte in ihrem Zimmer herumzuliegen und deswegen kreuz und quer durch die Klinik wanderte und sich des Öfteren ohne Erlaubnis in den Hof begab, ihr Schicksal war Darmkrebs. Manchmal war es weniger erschütternd, wenn man wusste, dass es Leute gab, denen es ähnlich ging wie einem selbst. Selbstverständlich in einer negativen Art und Weise, da es sich um eine tödliche Krankheit handelte, dennoch verschwand bei mir das Gefühl, dass ich gezielt daran erkrankt war und ich die einzige Person war, die unter solch einer schlimmen Krankheit litt. Dem war nicht so, leider traf es viele Menschen und leider verloren viele Menschen ihr Leben durch ihr grausames Schicksal, und ich?Ich wollte mein Wochenende nicht auch noch mit der Dialyse verbringen, erst Recht nicht den Samstag. "Sonntag.", sagte ich fest entschlossen und sichtlich genervt. "Bitte sehr früh am Morgen.", fuhr ich fort.
"Ich versuche diesem Wunsch gerecht zu werden Frau Demirel, es tut uns sehr leid, doch was sein muss, muss sein. Ich komme in einigen Stunden zurück, bis später.", sprach sie ruhig und lächelte mich gezwungen an. Ich antwortete ihr nicht und drehte stattdessen meinen Kopf in Richtung des Fensters und sah hinaus. Ich beobachtete die Straßen Münchens und den rasenden Verkehr, welcher nie still stand in dieser riesigen Stadt. Was für Geschichten die Passanten wohl prägten, die ich in diesem Moment beobachtete. Waren sie glücklich? Ein großer alter Mann mit seiner Ehefrau daneben, welche sich bei ihm eingehakt hatte; Sie sahen glücklich aus. Waren sie es schon immer gewesen, oder gab es möglicherweise Probleme? Was für Probleme könnte es denn geben? Sie sahen glücklich aus. Ich sah auch glücklich aus, doch ich war es nicht. Würde ich es trotzdem eines Tages werden?Im Winter machte mir Dialyse weniger aus, doch im Frühjahr und im Sommer konnte ich mir stets besseres vorstellen, als stundenlang in der Klinik zu sitzen, auch wenn die warmen Tage mich deutlich anstrengten. Ich schloss die Augen und versuchte für einige Stunden einschlafen zu können, jedoch blendete mich das Licht der Sonne ziemlich stark und behinderte somit den vergeblichen Versuch. Es verging eine geschätzte Stunde voller Langeweile, als ich das Öffnen der Türe erhörte und meine Familie im Türrahmen erblickte. Augenblicklich musste ich lächeln und bat sie liebevoll herein. Sie hatten Essen mitgebracht, was mich unglaublich glücklich machte, da ich vor Hunger regelrecht starb. "Du bist die Beste!", sprach ich meiner Mutter zu und winkte ihren Kopf in meine Nähe, um ihr einen Kuss verpassen zu können.
Gierig schnappte ich nach der Tupperbox, welche Lasagne beinhaltete und freute mich auf das Essen. Ich aß es genussvoll auf und wir redeten, lachten und harmonierten miteinander, was die Zeit eindeutig verkürzte und somit nur noch eine Stunde übrig blieb.
Meine Eltern gingen kurz raus in den Hof der Klinik, um ein bisschen zu laufen.
Als ich mit meinem Bruder alleine war, rückte er mit dem Stuhl näher an mich heran und strich mir behutsam über die Haare. "Ich muss ab jetzt auch Sonntags kommen.", sprach ich seufzend und sah ebenfalls die Empörung in seinem Gesicht. "Eda, ich weiß du willst das nicht hören, aber-."
"Ich will es nicht hören Abi (großer Bruder).", entgegnete ich ihm keck und drehte meinen Kopf von ihm weg. Er platzierte seine Finger auf meinem Kinn und drehte vorsichtig meinen Kopf in seine Richtung. "Hör mir zu.", sprach er unfassbar ruhig, was ich als sehr besinnlich vernahm und ihm gespannt zuhörte. "Dein Leben steht auf dem Spiel, wir müssen Mama und Papa davon erzählen. Sei nicht so stur." Er zögerte kurz und fuhr anschließend fort. "Bitte."
Seine Augen sahen mich erwartungsvoll an, was ich nicht ertragen konnte und deshalb erneut meinen Blick von ihm abwandte. "Bitte.", wiederholte er. Als ich erneut nicht antworte, regte er sich über mich auf und sprang von seinem Stuhl weg. "Wieso bist du so verdammt stur? Verstehst du nicht, dass wir dich nicht verlieren wollen?"
"Wieso versteht ihr mich nicht?", zischte ich. "Das ist sehr risikoreich, ich will das niemandem antun! Du wirst ihnen kein Wort davon sagen, versprich es mir.", forderte ich, was er nach langem Zögern mit einen "Versprochen." erwiderte und mich anlächelte, wodurch sein Grübchen zum Vorschein kam, welche meinen sehr ähnelten, wir hatten ihn von meiner Mutter.
Er reichte mir seine Hand, nach welcher ich griff und sie schüttelte. Ich musste ebenfalls grinsen, während er sich zu mir runter bückte und mir einen Kuss auf mein Grübchen hauchte.
"Eda mein Kind. Wir gehen.", sprach mir meine Mutter zu und tippte mich dabei einige Male an. Ich war eingeschlafen und bemerkte dies, als ich meine Augen öffnete und meine Familie um das Bett herum erblickte. Ich wollte mir die Hand vor den Mund halten, um zu gähnen, jedoch hielt mich der unerträglich stechende Schmerz an meinem Arm zurück. Ich verzog kurzerhand mein Gesicht und als ich mich aufsetzte wurde mir schwarz vor Augen. Mir wurde unfassbar schwindelig, sodass ich gezwungen war mich an der Lehne festzuhalten und zu mir zu kommen.
Als der Schwindel allmählich verschwand, setzte ich mich auf die Kante des Bettes und bemerkte, dass die Nadel bereits von meinem Arm entfernt wurde. Wie tief hatte ich geschlafen? Umso besser, da das Entfernen der Nadel ebenfalls ziemlich schmerzhaft war. Ich stand vom Bett auf und begann leicht zu taumeln, woraufhin mein Bruder mir augenblicklich einen Halt gab, indem er mich festhielt. Die Müdigkeit plagte mich in diesem Moment ungemein, weshalb ich nicht einmal dazu fähig war zu reden.
Ich war nun wieder komplett zu mir gekommen und wollte nach meiner Tasche greifen, als mein Bruder sie mir wegschnappte. "Ich trage das.", sprach er mir zu und lächelte mich verschmitzt an. "Seid ihr mit dem Auto gekommen?", fragte ich meine Eltern, welche dies bejahten. Ich wandte mich zu Yasin. "Kannst du mein Auto fahren? Mein Arm tut weh."
Er bestätigte dies mit einem freundlichen Nicken und hielt mich noch immer an der Schulter fest.
Wir verabschiedeten uns von den Ärzten und fuhren anschließend nach Hause, wo ich mich ohne weitere Gedanken in mein Bett fallen ließ und vor lauter Müdigkeit nach kurzer Zeit in einen traumlosen Schlaf fiel.__________
Hey, ich hoffe Ihr hattet angenehme Feiertage und seid nun fit genug für das neue Jahr :D Ich wünsche Euch allen ein frohes neues Jahr mit ganz viel Gesundheit und Glück und hoffe, dass eure Vorsätze sich verwirklichen werden :)
Außerdem würde ich mich sehr über ein Feedback von Euch zu dem bisherigen Verlauf der Geschichte freuen, da ich mir noch sehr unsicher darüber bin, wie sie bei Euch ankommt und was Ihr darüber denkt.
Eure kizilbas ❤️
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Unsterblich
Teen Fiction"Gibt es in meinem Leben überhaupt einen Platz für Hoffnung? Oder hat diese verdammte Krankheit bereits über mein Schicksal entschieden?", entgegnete ich ihm verzweifelt und unterdrückte währenddessen den stechenden Schmerz, welcher sich in meinem g...