Kapitel 12

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Stille prägte den Raum, ich fand in diesem Augenblick keine Kraft um antworten zu können.
"Was tut dir leid?", wollte ich schließlich doch mit skeptischen Blicken und hochgezogener Augenbraue von ihm wissen.
"Ich hab dich zu sehr gestresst und wollte natürlich nicht, dass es soweit kommt", gab er ungewohnt einfühlsam von sich. Und nicht nur mir war diese Situation unangenehm, auch ihm sah man es an.
"Denkst du im ernst, dass ich wegen dir umgekippt bin?", lachte ich ironisch auf. Seine Blicke stutzten sich blitzartig und seine tiefschwarzen Augenbrauen zogen sich zusammen. "Machst du dich lustig?", erwiderte er genervt. Nachdem ich ihn eine Weile lang verstört angesehen hatte, antwortete ich schließlich. "Nein."
Wir wusste beide nicht so recht, wie wir uns in dieser Situation zu verhalten hatten, da sie uns beide nicht sonderlich beglückte. Es war sehr unangenehm, ein normales Gespräch mit Vedat zu führen, weshalb ich es schnellstmöglich zu beenden versuchte.
"Danke für die Entschuldigung, ich möchte mich etwas ausruhen."
"Ich bin auch nicht froh über diese Situation, trotzdem kannst du jetzt nicht vor der Konversation flüchten."
"Was für eine Konversation möchtest du denn führen? Möchtest du mich bloßstellen? Mich beschimpfen?"
"Wieso sollte ich?", erwiderte er voller Unverständnis.
"Weil du es immer tust?", antwortete ich mit einer Gegenfrage, ohne dabei zu bedenken, dass eigentlich ich diejenige war, die ein brodelndes Feuer in sich trug.
Seine Blicke verschärften sich, sie bedrohten mich mehr als jemals zuvor indem sie in mein Innerstes eindrangen und meine Gedanken zu lesen wussten. Ich fühlte mich nackt in diesem Moment, als könnte er durch diesen Blick mein Inneres sehen, und spüren, was ich fühlte. Als wüsste er über all meine Gedanken Bescheid und verstand alles, was in meinem Kopf vor sich ging. Aushalten konnte ich das nicht länger, weshalb ich meinen Kopf in die andere Richtung drehte und aus dem Fenster blickte. Absolute Stille. Eine gefühlte Ewigkeit verging, indem wir schwiegen. Ich war mir nicht einmal mehr sicher, ob er sich noch im Raum befand oder, ob er bereits gegangen war. Was hatte ihn zu mir getrieben? Weshalb war er hier?
"Wenn es ein Buch über deine Zukunft gäbe - über dein Morgen, dein Übermorgen und die weiteren Tage, Monate und Jahre, die darüber hinaus gehen. Würdest du es dann lesen?", wollte er wie aus dem Nichts von mir wissen und brach somit die Stille. Weiterhin schweigend drehte ich meinen Kopf zu ihm und musterte ihn ein weiteres Mal in seiner vollen Präsenz. Sein pechschwarzer Bart war sorgfältig gepflegt und machte auf seine unfassbar ausgeprägten Konturen aufmerksam, welche sein Gesicht markanter wirken ließen. Was ich vorher noch nie in seinem Gesicht gesehen hatte, sah ich in diesem Augenblick. Was für mich zuvor die Bedrohung höchstpersönlich gewesen war, wurde plötzlich zur vollkommenen Schönheit.
"Ja", antworte ich völlig perplex, nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit lang geschwiegen hatte.
"Warum?", konterte Vedat, ohne zu zögern. Nachdenklich sah ich ihn an und fragte mich eher, was er von mir wollte und wieso er mich das fragte, als ernsthaft über seine Frage nachzudenken. Unsicher zuckte ich bloß mit den Schultern und beobachtete, wie er einige Schritte auf mich zukam. "Es muss doch einen Grund haben", sprach er mit erhobener Stimme, diese Fragerei machte mich skeptisch. Dennoch beschloss ich, auf diese äußerst merkwürdige Frage eine geeignete Antwort zu finden, die mein "Ja" zu erläutern wusste.
"Ich bin krank und ich bin am Kämpfen. Ich möchte wissen, ob ich es schaffen werde. Ich habe wenig Hoffnung, dennoch möchte ich selbstverständlich gesund werden. Es interessiert mich, ob ich irgendwann einen Nierenspender finden und somit auch gesund werden würde. Oder ob ich - Naja. Das war es, ganz einfach."
Erstaunt über meine plötzliche Offenheit versuchte ich, mich etwas aufzusetzen. Währenddessen fragte ich mich ernsthaft, was in mich gefahren war und wieso ich ausgerechnet gegenüber Vedat eine solche Information preisgab. Es war nicht meine Art, fremden Menschen zu vertrauen.
Seine Blicke intensivierten sich in einem so hohen Ausmaß, dass ich dem Ganzen keinen Stand mehr halten konnte und mich auf einen anderen Punkt fixierte. Er löcherte mich förmlich mit diesen Blicken und erschuf somit eine unangenehme Last, welche sich auf mich stützte.
Aus dem Augenwinkel konnte ich nun beobachten, wie er seinen Kopf schüttelte. Ich verstand ihn nicht. "Was ist?"
Ich wollte nun Klarheit schaffen und wissen, was er sich dabei gedacht hatte. Wie es schien, konnte er meine Gedanken lesen, jedoch wollte ich diese Fähigkeit ebenfalls besitzen. Interessieren tat es mich in jedem Fall, was in seinem Kopf vorging. "Nichts.", erwiderte er kurz und knapp. Genervt öffnete ich meinen Mund und wollte die Konversation vorantreiben, als mein Handy mich mit seinem schrillen Klingelton unterbrach. Ich hob ab und konnte meiner verzweifelten Mutter augenblicklich zuhören. Selbst, wenn ich den Hörer ohne Lautsprecher in etwa zehn Meter Entfernung gehalten hätte, dann hätte man die Entsetzung meiner Mutter hören können. "Mein Kind, was ist passiert? Wir haben Anrufe vom Krankenhaus bekommen! Was ist los? Wir haben das überhaupt nicht gehört, da wir Besuch haben. Es tut mir leid. Was ist passiert? Eda? Rede doch!"
"Mama, wenn du mich ausreden lassen würdest, dann würde ich reden!", lachte ich in den Hörer, woraufhin sie sich im nächsten Moment ärgerte. "Hör auf zu Spaßen und sag mir sofort, wo du bist!"
"Mir geht es gut, Mama! Ich hatte einen kleinen Schwächeanfall und liege jetzt in der Klinik. Mir geht es gut, wirklich!"
"Oh mein Gott!", schrie sie schockiert in den Hörer, was meinem Ohr alles andere als gut tat. "Wir kommen sofort! Du bist doch verrückt, du musst auf dich aufpassen! Oh nein! Wir kommen, bleib', wo du bist!"
Mit diesen Worten legte meine aufgelöste Mutter schließlich auf, woraufhin ich zu Lachen begann, da mich diese Situation zugegeben belustigte.
Das Smartphone legte ich zur Seite und blickte daraufhin ohne zu Zögern in Richtung der Türe, wo ich keinen Vedat mehr erblicken konnte. Wann war er gegangen? Und wieso hatte ich das nicht mitbekommen? Ich hatte die böse Vermutung, dass er sich verstecken könnte, jedoch konnte ich aufgrund des Dialysegerätes nicht aufstehen, nun musste ich abwarten.
"Vedat?", rief ich schließlich ungeduldig ins Leere. Da nichts zurückkam, beschloss ich, die Augen etwas zu schließen, um zu einem möglichen Schlaf zu finden.
"Jetzt sei doch still, sie schläft!"
Ich nahm ein laut geratenes Flüstern wahr und öffnete somit allmähliche meine Augen, woraufhin vier Großen Augen mir entgegenblickten, die näher an meinem Gesicht nicht hätten sein können. Ich erschrak und zuckte somit etwas auf.
"Oh nein! Das tut uns leid, mein Schatz", entschuldigte sich meine Mutter liebevoll und strich mir sanft über die Haare, woraufhin ich mich beruhigte. Als mir jedoch einfiel, dass Vedat sich in diesem Raum befunden hatte, setzte ich mich in einer hektischen Bewegung auf und sah mich um. "Eda? Was ist los? Geht es dir gut, mein Kind?", wollte mein überraschter Vater von mir wissen. "Mir geht es gut, Baba!", erwiderte ich genervt.
"Ihr müsst euch doch nicht solche großen Sorgen machen", forderte ich von ihnen. Verwirrt tauschten die beiden einige Blicke miteinander aus. "Was heißt denn hier, wir sollen uns keine Sorgen machen? Dir hätte etwas passieren können!"
"Es ist nichts passiert, es war nur ein kleiner Schwächeanfall."
"Ein kleiner Schwächeanfall", ahmte meine entsetze Mutter mich nach und fuchtelte dabei wie wild mit ihren Armen in der Luft umher.
"Jetzt lass sie doch erst einmal zu sich kommen und was essen", versuchte mein Vater sie schließlich zu beruhigen.
Nachdem ich gefühlte tausend Mal bestätigt hatte, dass es mir wirklich gut ging, aß ich eine Kleinigkeit und redete währenddessen mit meinen Eltern, welche erleichtert darüber waren, mich in einem guten Zustand aufzufinden.
"Wo ist Yasin?"
"Er kommt später", antwortete mir meine Mutter, woraufhin ich bloß nickte.
Meine Mutter hatte mir frische Klamotten mitgebracht, welche sie in einer Tasche neben meinem Bett platzierte. Ich schmunzelte.
"Ich bleibe nur eine Nacht, Mama!"
"Das ist doch völlig egal", entgegnete sie mir verständnislos.
"Du brauchst doch frische Sachen."
Da es erst Nachmittag war, und meine Eltern noch arbeiten gehen müssten, verabschiedeten sie sich von mir und ich bemerkte, dass ihnen nicht wohl bei der Sache war, mich alleine zu lassen. "Ich rufe jetzt Sibel und Arda an, dann kommen sie hier her! Außerdem wird Yasin später noch kommen, macht euch bitte keine Sorgen um mich."
Mit diesen Worten verabschiedete ich meine Eltern schließlich und lehnte mich in das Bett zurück, bis mir einfiel, dass ich meine Freunde ebenfalls informieren müsste. Abwechselnd rief ich sie an und sie bestätigten mir, dass sie mich nach Schluss ihrer Arbeitszeit besuchen kommen würden. Ich seufzte. Es war unfassbar langweilig, wenn alle arbeiteten und man sich die Zeit alleine in der Klinik vertreiben musste.
Damit die Stunden vergingen, erfolgte schließlich der Griff zu meinem Smartphone, auf dem ich etwas in den Nachrichten stöberte und einige Spiele spielte.
Nachdem einige Zeit vergangen war, ertönte ein plötzliches Klopfen an der Tür, woraufhin sich allmählich der Türspalt öffnete und ich schließlich meinen Bruder erblickte, welche in seinen Kopf durch die zur Hälfte geöffnete Türe strak. Endlich nahm diese qualvolle Langeweile ein Ende und liebevoll begrüßte ich meinen Bruder, welcher sich jedoch etwas merkwürdig benahm und nach wie vor an der Türe stand.
"Komm doch rein", forderte ich ihn schließlich auf.
"Ich habe eine Überraschung für dich", grinste er mir entgegen, woraufhin ich ebenfalls schmunzeln musste.
"Was denn?", wollte ich nun von ihm wissen.
Zögerlich öffnete er die Türe und betrat den Raum, bis plötzlich eine kleine Gestalt hinter seinem Rücken zum Vorschein kam. Voller Energie sprang Amira schließlich zur Seite, wodurch ich sie letztendlich in ihrer lieblichen Art wahrnehmen konnte.
"Hallo!", schrie sie glücklich und lief mit schnellen Schritten auf mich zu.
"Amira!", rief ich und nahm das kleine Energiebündel fest in meine Arme. "Hast du mich vermisst?", strahlte sie mich an, was ich mit einem "Ja, natürlich", erwiderte.
"Ich dich auch!", lachte sie.
"Und wer hat mich vermisst?", mischte sich mein Bruder in unsere Konversation ein.
"Niemand!", sprachen Amira und ich wie aus einem Mund und brachen anschließend in einem lauten Gelächter aus. Yasin, der ebenfalls am Lachen war, reagierte anschließend darauf gespielt beleidigt.
"Gut, dann kann ich ja gehen!"
Allmählich näherte er sich der Tür, bis wir im verdeutlichten, dass es nur ein Spaß gewesen war und er daraufhin im Raum blieb.
"Heute sitzt du an diesem Gerät", lachte Amira auf, was ich belustigt bejahte.
"Wir sind eben ganz genau gleich", verdeutlichte ich ihr, indem ich mit meinem Finger leicht auf ihre Stupsnase tippte. Das Lächeln dieses Mädchens war unfassbar schön, es war so ehrlich und sowas von unbezahlbar!
"Danke, dass du da bist", bedankte ich mich bei Amira.
"Du warst doch auch bei mir! Freunde besuchen sich im Krankenhaus, das ist doch ganz normal", sprach sie mir zu und sah es als eine Selbstverständlichkeit an. Wir konnten so viel von Kindern lernen, mehr als sie jemals von uns würden lernen könnten. Es waren solche herzlichen, ehrlichen Wesen, die keinen Grund darin sahen, sich selber und andere zu belügen.  Für gute Laune waren sie immer gut und schenkte man ihnen Liebe, so bekam man das Doppelte und das Dreifache zurück.
"Hast du dir wehgetan?", wollte sie schließlich nach unserer Unterhaltung wissen.
"Wobei denn wehgetan?"
"Na, als du hingefallen bist!"
Entzückt von ihrer Lieblichkeit grinste ich ihr entgegen. "Nein, meine Süße. Mir geht es sehr gut!"
"Das freut mich", strahlte sie daraufhin.
"Deine Nadel ist ja viel größer als meine", stellte Amira schockiert fest.
"Tut das nicht noch mehr weh?"
Man konnte in Anwesenheit dieses Kindes unmöglich in eine traurige oder gar unangenehme Atmosphäre geraten, da sie ohne Zweifel ein kleiner Sonnenschein war, der einem den Tag versüßte.
Als einige Stunden vergangen waren, fuhr mein Bruder den kleinen Engel nach Hause, da es für sie schon etwas später geworden war. Unfassbar erfreut über ihren Besuch lehnte ich mich zurück und sah meine beiden Freunde an, die bereits gekommen waren und Amira ebenfalls kennenlernen durften.
"Sie ist so süß", schwärmte Sibel, woraufhin Arda und ich ihr grinsend zustimmten.
Es war ein wunderbares Gefühl, von so vielen tollen Menschen umgeben zu sein, die einem immer wieder aufs Neue zu verdeutlichen wussten, dass sie immer an meiner Seite sein würden. Gesegnet durch den lieben Gott, welcher mir solch ein schönes Umfeld geschenkt hatte, schwärmte ich weiterhin in meinen Gedanken. In keinem Fall war es eine Selbstverständlichkeit, dass sie mich so sehr unterstützen und immer für mich da waren. Ich fühlte mich geliebt und mir war klar, dass ich alles dafür tun würde, um ihnen das selbe Glück geben zu können, was sie mir tagtäglich offenbarten. Kämpferisch würde ich voranschreiten, niemals meine Krankheit vergessen, dennoch an mich glauben und versuchen, sie zu besiegen!
"Eda!"
Ich schrak plötzlich auf und sah Arda blitzartig an.
"An was denkst du denn schon wieder?", lachte Arda auf, woraufhin sich Sibel ihm anschloss.
Schmunzelnd erwiderte ich ihre Blicke und wusste die passende Antwort darauf zu geben.
"Ich bin so froh, dass es euch gibt!"
Augenblicklich begannen meine Lieblinge zu strahlen und kamen auf mich zu, um mir eine fette Umarmung und mehrere Küsschen zu verpassen. Gesegnet vom lieben Gott, das war ich. Nicht bestraft, wegen meine Krankheit. Ich war gesegnet, dass er mir solche treuen Wegbegleiter in meine schwierigen Zeiten zur Seite gestellt hatte. Dies trug dazu bei, all meine Sorgen zu vergessen und dem lieben Gott zu danken, was ich nicht oft tat. Viel eher beschwerte ich mich und betete für Gesundheit. Doch dieser Augenblick war der Moment, in dem mir klar wurde, dass ich jeden Grund dazu hatte, ihm zu danken. Denn ich war gesegnet.
Nach einer gefühlten Ewigkeit sagte eine Krankenschwester an, dass die Besuchszeit vorbei wäre, worauf ich nicht unbedingt erfreut reagierte, da wir uns mitten im Gespräch befanden und ich wusste, dass auf das Gehen meiner besten Freunde die unerträgliche Langeweile folgen würde. Dennoch verabschiedeten sich meine Schutzengel liebevoll von mir und machten sich auf den Weg nach Hause.
Nachdem sie gegangen waren, tätigte ich einen Anruf nach Hause, redete erst mit meinen Eltern, anschließend mit meinem Bruder und machte ihnen klar, dass es mir gut ginge und sie sich keinerlei Gedanken machen müssten.
Als der Stress und die Sorge um mich allmählich geringer geworden war, fand ich auch die Zeit, mich etwas zu entspannen und zur Ruhe zu kommen. Immer wieder kamen mir Vedats bedrohlichen Blicke vor Augen, welche nach einer Zeit weicher wurden und ich mir erneut sein Gesicht in Gedanken vorführte. Noch immer quälte mich die Frage, was er von mir wollte und was es mit seiner Fragerei auf sich hatte. Ob er die Entschuldigung ernst gemeint hatte? Ob unsere Konversation irgendwann noch ein befriedigendes Ende finden würde? Ich rechnete nicht damit, denn ich hatte Zweifel daran, dass er auf eine ernste Unterhaltung aus war. Besaß seine harte Schale etwa einen weichen Kern, oder war das bloß ein surrealer Gedanke meinerseits?
Ich begann, über die Frage nachzudenken, welche er mir gestellt hatte und mir viel auf, dass er ziemlich intelligent zu sein schien. Welchen Menschen auf Erden würde es interessieren, was eine wildfremde Person über solch eine komplexe Frage dachte? War es wirklich Interesse, oder wollte er auf etwas hinaus? Klar war auf jeden Fall, dass seine Wenigkeit nicht wenige Fragezeichen in meinem Kopf hinterließ, auf welche ich noch eingehen würde. Die Neugier siegte - immer.
Als mein Wecker mich aus dem Schlaf riss, schrak ich auf und musste ein weiteres Mal feststellen, dass ich nicht in meinem heimischen Bett lag. Schnell fiel mir jedoch ein, dass es der Wecker war, welcher mich zur Arbeit rief. Eilig tätigte ich den Knopf, welcher eine Krankenschwester herrief, welche ich anschließend bat, die Nadel aus meinem Arm zu entfernen, da ich arbeiten gehen müsste.
"Frau Demirel, wir können Sie nicht einfach entlassen. Warten Sie bitte ab, bis der Arzt ihnen die Ergebnisse mitteilt und Ihnen die Erlaubnis gibt, nach Hause zu gehen."
Genervt schnaubte ich auf.
"Ich muss zur Arbeit! Sie müssen mich entlassen!"
"Es tut mir leid, Frau Koch ist erst am Vormittag hier, Sie wird Ihnen sagen, wann wir Sie entlassen dürfen."
Mir blieb keine andere Wahl, weshalb ich die Aussage schweren Herzens akzeptierte und darauf wartete, dass die Arbeitszeit im Kindergarten beginnen würde.
Als es soweit war, tätigte ich einen Anruf und schilderte meiner Arbeitskollegin, welche ans Telefon ging, die Situation.
"Oh nein, Eda! Pass auf dich auf! Wir möchten dich bald wieder putzmunter hier haben, erhol dich so lange."
"Mir geht es super und ich möchte unbedingt kommen, es wurde mir bisher jedoch verboten. Es tut mir total leid, wirklich!"
"Ach Quatsch", rief sie entsetzt in den Hörer.
"Das braucht dir doch nicht leidtun! Wir kommen schon klar, das Wichtigste ist, dass du dich nun erholst. Ich wünsche dir gute Besserung!"
"Vielen Dank, Ivana. Richte den Kindern liebe Grüße aus!"
Mit diesen Worten verabschiedeten wir uns schließlich voneinander und beendeten somit das Telefonat. Es gefiel mir überhaupt nicht, in welcher Situation ich mich befand. Ich liebte meinen Job über alles und würde alles dafür tun, um zu dieser Zeit bei den Kindern zu sein. Stattdessen wusste ich, dass ich mich nun mit Langeweile plagen müsste.
Ja, das waren sie. Die Folgen, die verdammten negativen Seiten an meiner Krankheit. Ob es überhaupt positive gab? Sie engte mich ein, sie raubte mir zahlreiche Freiheiten und schließlich sperrte sie mich ein, bis sie irgendwann mein Leib und meine Seele umhüllen würde und somit über mich entschied. Über mein Leben, über meine Zukunft. Sie einzig und allein war es, die mich steuerte und ich wusste nicht, wohin. In den Abgrund? In den Tod? Oder vielleicht doch eher in Richtung bessere Zeiten? Zweifel kamen in mir auf - ein absurder Gedanke. Bessere Zeiten durch meine Krankheit? Ich lachte über diesen Gedanken, er war sowas von überflüssig gewesen und verdeutlichte mir ein weiteres Mal, wie wahnsinnig ich geworden war und was für plausible Gründe ich hatte, um nicht an das Ende meiner Nierenschwäche zu glauben.
Andererseits wollte ich daran glauben, ich wollte es. Amira zu Liebe, meiner Familie, meinen Freunden zu Liebe. Ich war voller Energie, die mir befahl, daran zu glauben. Doch ein winziger Funken, welcher mir vorschrieb, es nicht zu tun, gewann. Er regierte über meinen innersten Kern, über meine Hoffnungen und über meine Wünsche. Unerklärlicherweise richtete ich mich nach ihm, obwohl es nicht mein Wille war. Wahrscheinlich war es meine Bestimmung und eine Macht von oben, die mir sagen wollte: "Glaub' nicht an dich, du wirst es nicht schaffen"

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 30, 2016 ⏰

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