Das Opfer aka der, der zu schnell vergibt

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"Seid ihr jetzt schon zusammen?"

"Wo kommst du denn her?"

"Aus deinem Kopf. Du bist jetzt schizophren. Schwul bist du ja schon, also bringt das schnipsen nichts mehr."

"Okay?"

"Du kannst eh nichts dagegen tun, dass ich hier bin. Und ich auch nicht. Ich gehe erst, wenn du und dieser Kerl zusammen seid - na ja, fast. Also hege ich jetzt die Hoffnung, dass ihr schon zusammen seid. Denn je früher ich hier wieder abhauen kann, desto schneller werde ich entführt - na ja, nicht ich, aber das Stockholm-Syndrom kann ja jeden treffen."

"Welchen Kerl meinst du überhaupt?"

"Keine Ahnung, wie er heißt, wahrscheinlich ... Kyle? Wie heißt du denn überhaupt?"

"Lucas. Und ich kenne tatsächlich einen Kyle, aber mit dem kann und werde ich sicher nicht zusammen sein."

"Was ist denn mit dieser Elterngeneration los? War doch klar, dass der Junge ein Arschloch wird, wenn man ihn Kyle nennt. Das weiß man doch spätestens nach dem Lesen wenigstens eines Young-Adult-Romans! Und da muss es noch nicht einmal um eine homosexuelle Liebesgeschichte gehen. Aber Lucas ist auch nicht gerade besser. Lucas. Komischer Name."

"W- woher willst du denn wissen, da- dass Kyle ein Arschloch ist?"

"Weil du ihn gerade verteidigst, statt dich darüber aufzuregen, dass ich deinen Namen beleidigt und die Entscheidungsfähigkeit deiner Eltern angezweifelt habe."

"G- guter Punkt. Kyle ist aber bestimmt nur zu mir ein Arschloch."

"Der Mobber-Typ? Mit dem habe ich schon geredet und kann dir sagen: Dieses Gespräch würde ich sehr gerne vergessen."

"So- so fies ist er gar nicht!"

"Du hast ein blaues Auge, Mann. Ist das Argument genug für dich?"

"I- Ich ..."

"Stimmt, ich habe ganz vergessen, dass Artikulation ja nicht zu den Stärken eines siebzehnjährigen, durch das Mobbing depressiv gewordenen, schwulen Jungen gehört. Ach, komm schon, das wird langsam anstrengend mit dem Stottern. Wenn ich jetzt Kyle wäre, okay, aber so?"

"Tut mir leid."

"Die Entschuldigung wird's nicht besser machen. Außerdem: Warum hast du ein blaues Auge, die einseitige Prügelei ist doch erst drei Sekunden her?"

"Nein, das sind jetzt drei Tage."

"Da müsste es schon fast grün-gelblich sein. Aber in diesem Buch suche ich schon lange nicht mehr nach Logik. Die unpassenden Zeitsprünge sind schon Beweis genug, dass ich nicht mehr allzu viel Zeit hier verbringen sollte, sonst interviewe ich plötzlich nur noch die toten Eltern vom Himmel aus."

"Was meinst du damit?"

"Dass ich alt bin."

A world full of clichésWo Geschichten leben. Entdecke jetzt