Die Show hatte begonnen, und nun war es im Wartebereich wie in einem Ameisenhügel: Überall rannten Leute mit Headsets und Blättern rum, riefen Namen und Nummern und suchten Teilnehmer, die sie dann zur Bühne schickten.
Mir war ganz schlecht vor Aufregung.
Ich konnte gar nicht sagen, wie lange es dauerte, bis ich meinen Namen und meine Nummer hörte, aber irgendwann war es dann endlich so weit. Ich hatte vorher leise vor mich hin mein Lied geübt. Gehört hatte mich eh keiner, dafür war es viel zu laut gewesen. Dafür fühlte ich mich jetzt wenigstens ein bisschen vorbereiteter. Aber nur ein bisschen.
"So, noch einmal kurz nachpudern" ,sagte eine Mitarbeiterin und flog einmal kurz mit dem Pinsel durch mein Gesicht. "Sehr gut, du kannst los".
Ich wurde zur Bühne gebracht. Der Mitarbeiter nickte mir noch einmal aufmunternd zu und gab mir einen kleinen Schubs. Die letzten Meter bis zum Spotlight ging ich ganz alleine auf der unendlich großen Bühne.
Ìch konnte das Publikum auf den Rängen nicht sehen, aber ich wusste, dass es da war. Dafür konnte ich Firebird sehen, die vor mir hinter dem Jurypult saßen und mich neugierig betrachteten. Ich fühlte, wie mir der Schweiß ausbrach.
Jetzt bloß nie Nerven behalten.
Ich trat ans Mikro, schloss die Augen und sammelte mich kurz. Die Musik setzte ein und half mir, alles um mich herum zumindest für kurze Zeit zu vergessen. Ich holte tief Luft und mein Einsatz kam. Ich sang. Ich sang ruhig und konzentriert. Und nach den ersten Tönen konnte ich sogar wieder genießen, was ich tat. Dieses unbeschreibliche Gefühl, jeden Ton kontrollieren zu können und ihn in Perfektion über meine Lippen zu bringen, die Worte richtig zu betonen und Gefühl in meine Stimme zu legen, das Lied zu fühlen, überkam mich. Ich war ganz von der Nervosität befreit.
Dann war das Lied zu Ende und ich merkte erst jetzt, dass die Leute auf den Rängen klatschten und johlten. Überwältigt schaute ich mich um. Das taten sie wirklich für mich! Mein Gefühl, singen zu können, hatte mich also nicht getäuscht! Allein dies war für mich genug.
Dann meldete sich Frontmann Alex Zeller.
"Hi. Wie heißt du?"
"Evelyn"
"Evelyn, sehr schön, wie alt bist du, was machst du so, erzähl uns bitte was von dir!"
"Ich bin 21, komme aus der Nähe von Köln und arbeite in einem Buchhandel."
"Cool. Evelyn, du hast uns schon ein bisschen umgehauen mit deiner Stimme. Am Anfang war das Ganze ja noch etwas wacklig, aber du hast dich unglaublich schnell gefangen."
"Man hat richtig gemerkt, wie wohl du dich da gefühlt hast" ,unterbrach ihn der Gitarrist Mike.
"Ja, genau das. Und auch das Gefühl, das du da rein gebracht hast, unfassbar!" ,nahm Alex den Faden wieder auf.
"Danke" ,sagte ich überwältigt und merkte, wie ich rot wurde.
"Evelyn, wir würden uns sehr freuen, dich nächste Runde wieder zu sehen!" ,sagte Alex.
"Äh, ja, gerne!" ,stammelte ich. War ich gerade wirklich eine Runde weiter gekommen?
"Sehr schön, dann sehen wir uns ja bald wieder." ,sagte Alex, und ich verließ noch immer total perplex die Bühne.

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Let me hear your voice
Chick-LitNachdem Jahr um Jahr meines Lebens verstrichen war, ohne, dass etwas passiert war, etwas Großes, etwas, was man seinen Enkeln mal erzählen würde, beschloss ich, all meinen Mut zusammen zu nehmen und mich bei dieser Casting-Show anzumelden. Natürlic...