Wir drängten uns durch die Menschenmasse auf der Tanzfläche Richtung Ausgang, Alex vor mir. Im dichten Gedränge und mit den flackernden Lichtern war es mir kaum möglich, hinter ihm her zu kommen. Er wandte sich so geschickt zwischen den Leuten durch, oder wichen sie ihm einfach aus? Mehrmals verlor ich ihn fast aus den Augen, während die Bässe um uns herum weiter wummerten und die Menge ausgelassen feierte. Als er bemerkte, dass ich kaum hinterher kam, drehte er sich um, sah mich an, und nahm meine Hand. Er zog mich vorsichtig hinter sich her. Es war mir kaum möglich, mich auf die Menschen um mich herum zu konzentrieren. Ich fühlte nur noch seine Hand, seine Finger an meinen.
Und er ließ sie auch nicht los, als wir die Tanzfläche hinter uns gelassen hatten.
Wir gingen zum verlassenen VIP-Bereich, wo nur noch unsere Jacken lagen. Bevor ich nach meiner greifen konnte, hatte er sie bereits von der Couch aufgehoben und hielt sie mir hin, sodass ich nur noch hinein schlüpfen musste.
"Danke" ,sagte ich leiser als ich wollte und wurde etwas rot. Ich war es nicht gewohnt, dass es heutzutage noch Männer gab, die eine derartige Etikette besaßen. Und von Alex hätte ich es auch, um ehrlich zu sein, nicht erwartet.
Er zog sich seine eigene Jacke an und wir gingen raus. Obwohl mir nur zu gut bewusst war, dass Alex meine Hand kurz zuvor nur aus pragmatischen Gründen gehalten hatte, war ein winziger Teil in mir dennoch erschreckend betrübt darüber, dass er es nun nicht mehr tat. Doch die Stimme der Vernunft hatte dieses Gefühl sehr schnell wieder unter Kontrolle, und so schwieg sie.
Die kalte Abendluft draußen traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Obwohl es Sommer war hatte es sich abgekühlt und auch meine Jeansjacke konnte in diesem Moment nur wenig anrichten. Nach dem Tanzen und dem Alkohol war meine Haut erhitzt und reagierte nur noch empfindlicher auf den Temperaturunterschied. Schnell kreuzte ich die Arme vor der Brust und drückte sie an mich, um mich warm zu halten.
"Ich weiß schon, warum ich nicht mehr so oft in Clubs feiern gehe sondern eine gute Kneipe vorziehe" ,sagte Alex, der sich neben mich stellte. "Klingeln deine Ohren auch noch so von der Lautstärke?"
"Ja, absolut ätzend." ,stimmte ich ihm zu und ärgerte mich, nichts geistreicheres zu sagen zu haben.
"Da vorne stehen eigentlich immer Taxen, lass uns mal da rüber gehen" ,sagte er und ging los. Ich folgte ihm schweigend.
Wir hatten die Taxen erreicht und ich stieg hinten ein, Alex auf der anderen Seite. Er nannte dem Fahrer die Adressen und das Auto fuhr los, durch die gar nicht mal so dunkle Nacht Berlins. Obwohl es schon sehr spät sein musste war noch immer einiges los, und ich konnte meine Augen nicht von der Scheibe abwenden. Erst, als Alex das Schweigen unterbrach, bemerkte ich erst, das schon länger niemand mehr gesprochen hatte.
"Ich hoffe, du hattest Spaß heute Abend" ,sagte er.
Ich drehte mich zu ihm.
"Ja. Obwohl ich sonst eigentlich nicht so der Typ dafür bin, in Clubs zu gehen" ,sagte ich und schaute runter. Alex sah mich mit einem dermaßen eindringenden Blick an, dass ich diesem unmöglich Stand halten konnte. Die Enge des Taxis wurde mir bewusst, ich saß so nah neben ihm! Uns beide trennte kein Meter. Und obwohl dies am heutigen Abend schon mehrfach vorgekommen war, schlug mein herz dennoch gerade jetzt besonders schnell. Vielleicht, weil keiner von uns so schnell hier weg konnte. Die Wände des Autos ließen nicht zu, dass wir die Nähe unterbrachen, nicht einmal, wenn wir es wollten.
"Das freut mich zu hören. Wir hatten länger überlegt, ob wir in diesen Club wollen oder woanders feiern gehen, aber Mike und ich waren uns einig, dass die meisten wohl lieber im Club feiern gehen wollten." ,erzählte er.
"ich glaube, den anderen hat es auch gut gefallen" ,sagte ich. Er sollte nicht denken, dass es eine blöde Idee gewesen war.
"Ja, das glaube ich auch", sagte er, und lächelte mich an. Es war nicht dieses große breite Lächeln, das er für die Show aufsetzte; das zwar nicht fake war, aber ein Allerweltslächeln, das keinem gehörte. Es war ein Lächeln nur für mich, das spürte ich, und ich schwor mir, mir diesen Anblick einzuprägen und ihn mit ins Grab zu nehmen. Kein Mensch auf der ganzen Welt konnte mir dieses Lächeln, mein Alex-Lächeln, mehr nehmen.
Plötzlich hielt das Taxi. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass wir das Hotel schon erreicht hatten.
"Soll ich dich noch bis zum Zimmer bringen?" ,fragte mich Alex.
"Ähm, nein, nein danke!" ,sagte ich schnell und merkte wieder, wie ich rot wurde, was bei der wenigen Beleuchtung hoffentlich nicht allzu sehr auffiel.
"Ganz sicher? Ich möchte sicher gehen, dass du gut ankommst" ,sagte er.
"Ja, ganz sicher"
"Okay, aber dann schreib mir bitte, wenn du gut ins Zimmer gekommen bist" ,sagte Alex und hielt mir auffordernd seine Hand hin. "Wenn du mir dein Handy gibst, kann ich meine Nummer einspeichern"
Ich kramte in meiner Tasche, entsperrte mein Smartphone und reichte es ihm rüber. Er tippte kurz ein paar mal, dann reichte er es mir wieder rüber. Als ich es ihm aus der Hand nehmen wollte berührten sich unsere Hände, und hatte ich nur den Eindruck, oder hielt er mein Handy fr einen Moment zu lange fest?
"Dann komm gut hoch, und vergiss nicht, mir zu schreiben" ,sagte er, schaute mich an und lächelte. Ich nickte nur, konnte nichts sagen. Dann öffnete ich die Taxitür, die kalte Abendluft strömte herein und ich stieg aus. Als ich mich noch einmal umdrehte sah ich, wie mich Alex immer noch ansah. Ich lächelte schüchtern und ging die letzten Meter zum Hotel.
Erst, als ich die Tür zur Empfangshalle geöffnet hatte, sah ich, dass das Taxi losfuhr.
Ich durchschritt den Raum bis zu den Aufzügen und drückte die Ruftaste. Während ich wartete versuchte ich zu verarbeiten, was da gerade passiert war. Alex und ich waren mit dem Taxi bis zum Hotel gefahren, und er hatte mir seine Nummer gegeben, damit ich ihm schreiben konnte, ob ich gut in meinem Zimmer angekommen war. Okay.
Objektiv betrachtet sprach dies klar dafür, dass er ein verantwortungsvoller Mensch war, das konnte man wohl sagen. Doch mehr war nicht wirklich geschehen. Warum also fühlte es sich nach so viel mehr an?
Der Aufzug kam und ich betrat den kleinen Raum. Sollte ich Sarah und Kathi davon erzählen? Noch bevor ich meine Etage erreicht hatte, hatte ich meine Entscheidung getroffen. Nein. Es war absolut nichts Außergewöhnliches passiert. Warum also die Pferde scheu machen? Dieses Gefühl, das ich auch jetzt einfach noch nicht abschütteln konnte, war definitiv das Ergebnis meines Sieges, der Arbeit mit dieser unglaublichen Band und diesem tollen Abend. Nicht mehr und nicht weniger.
Die Aufzugtür glitt auf und ich durchquerte den verlassenen Flur bis zu meinem Zimmer. Der Teppich schluckte glücklicherweise jegliche Geräusche meiner Schritte, sodass ich keine Sorgen haben musste, zu diesen nachtschlafenden Zeiten noch jemanden mit meiner Rückkehr zu wecken.
In meinem Zimmer schmiss ich meine Handtasche und meine Jacke achtlos auf das kleinen Tischchen am Fenster, dann ließ ich mich erschöpft auf mein Bett plumpsen und strampelte mir die Schuhe von den Füßen. In der Stille wurde mir meine Müdigkeit mit einem mal wieder deutlich bewusst. Im Taxi war ich viel zu aufgeregt gewesen, um sie zu spüren.
Ach ja, das Taxi. Ich angelte nach dem Handy in meiner Handtasche und klickte mich durch das Telefonbuch. Ich fand Alex und schrieb "Gut angekommen. Danke für's nach Hause bringen und dir auch eine gute Nacht :)" und schickte die Nachricht ab.
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Let me hear your voice
Chick-LitNachdem Jahr um Jahr meines Lebens verstrichen war, ohne, dass etwas passiert war, etwas Großes, etwas, was man seinen Enkeln mal erzählen würde, beschloss ich, all meinen Mut zusammen zu nehmen und mich bei dieser Casting-Show anzumelden. Natürlic...