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Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Das Singen klappte mit jedem tag besser und fühlte sich an, als hätte ich nie etwas anderes getan. In der Gruppe wurde ich so langsam mit den anderen Leuten warm, bis auf Irina vielleicht, okay, 

Das gemeinsame Abendessen blieb das tägliche Highlight des Tages, aber wir hatten mittlerweile auch ein oder zwei Sight Seeing Momente gehabt, in welchen uns die Band ein bisschen was von Berlin gezeigt hatten. 

"Kannst du das fassen, Evelyn?", hatte ich mich eines abends im Bett gefragt, bevor ich einschlief. "Da bist du nicht nur in Berlin, nein, du bekommst es auch noch von Alex Zeller und seiner Band gezeigt. Wer kann das schon von sich behaupten!" 

Egal, wie diese Casting Show ausging, es hatte sich jetzt schon gelohnt. Dieses Erlebnis könnte mir niemand mehr nehmen. 

Dann war endlich Freitag, und meine Nervosität bis zum Start der Sendung stieg stündlich an. Wir waren schon seit morgens unterwegs, probten noch mal alles durch, gingen jeden Schritt, den wir auf der Bühne tun würden, noch einmal durch. Endlich kam der Moment, in dem ich zur Maske und zur Garderobe durfte. Wir hatten in den Tagen zuvor neue Outfits anprobiert, und ich war unendlich froh, mich in meinem so wohl zu fühlen und dabei trotzdem fantastisch auszusehen. Ich wusste nicht, wie sie es machten, aber die Leute hier wussten, wie sie mich anziehen mussten, damit ich ausnahmsweise wirklich mal umwerfend aussah! 

Bevor es dann endgültig losging drückten wir uns alle gegenseitig noch einmal die Daumen. Vor allem Kathi umarmte ich noch einmal besonders fest, sie war mir sehr ans Herz gewachsen in den letzten Tagen. Aber machten wir uns nichts vor: Sie hatte verdammt gute Chancen! Mensch, was hatte sie für eine Stimme! 

Und dann ging es auch schon los, und alle, die gerade nicht dran waren, verfolgten live über einen kleinen Bildschirm im Aufenthaltsbereich, was draußen auf der Bühne geschah. 

Es ging so schnell, ich war auf der Bühne, und es ging los, ohne dass ich es richtig mitbekam. ich merkte noch, wie es dunkel wurde, das Spotlight auf mich und Jana, meine Duettpartnerin gerichtet wurde, und schon begann die Musik. Jana hatte den ersten Part, und ich hörte ihr aufmerksam zu, um auch ja nicht meinen Einsatz zu verpassen, das würde mir nämlich ähnlich sehen. 

Aber alles passte perfekt. 

Jana hörte auf zu singen, ich stieg ein, der erste Ton perfekt, und ich merkte wieder, wie mich das Gefühl durchflutete, jeden Ton perfekt singen zu können. Ich konnte, und ich würde! Ich erinnerte mich an Mikes Rat, locker bleiben bis zum Refrain, und ich setzte es so perfekt um dass ich fast auf der Bühne, mitten drin, anfangen musste zu lachen, aber nur fast. Der Refrain begann, und Jana stieg wieder mit ein, und es war, als würden sich unsere Stimmen zu einer gewaltigen Welle verbinden, die alles in diesem Raum mitriss. 

Der Song endete, und Jana und ich sahen uns atemlos an. Wir hatten es für heute geschafft! 

Zurück im Aufenthaltsbereich folgte dann die wahre Tortur. Ich hatte geglaubt, die Zeit bis zu meinem Auftritt würde die Schlimmste werden, aber ich hatte mich getäuscht. Maßlos. Jetzt kam die Zeit des Abwartens und Tee Trinkens. Wir konnten nichts mehr tun als rum zu sitzen und die Zeit tot zu schlagen. Wir mussten abwarten, wie sich das Publikum entschied. 

Es dauerte gefühlte Ewigkeiten. Aber irgendwann kam der Zeitpunkt, an welchem wir alle auf die Bühne gerufen wurden. 

Im hinteren Teil standen wir alle in den Duettpärchen in einer Reihe und wurden für die Entscheidung nach vorne gerufen. 

Kathi war vor mir dran. Sie hatte Valerie als Partnerin, und beide gingen nervös ins Spotlight, als sie aufgerufen wurden. Ich konnte von meinem Platz aus sehen, wie sie ihre Finger knetete, und ich drückte ihr die Daumen. Valerie war auch nicht schlecht, aber Kathi war eindeutig besser, das musste das Publikum doch einfach gehört haben! 

Anscheinend hatten sie auch genau das getan, denn Kathi hatte mehr Stimmen als Valerie. Sie war weiter! 

Es dauerte einige Minuten, bis Jana und ich dran waren. 

"Ich wünsche dir viel Glück!" ,flüstere sie mir zu und rückte kurz meine Hand. Ich drückte zurück. 

"Ich dir auch." 

Wir lächelten uns noch einmal zu, dann wurden wir nach vorne gerufen. Mit wackligen Beinen tat ich meine Schritte. Es war ein Wunder, dass ich die paar Meter überhaupt schaffte, so sehr fühlte sie sich an wie Wackelpudding. 

"Und nun kommen wir zum Ergebnis, wer ist weiter? Jana oder Evelyn?" ,wurde die Entscheidung angekündigt. 

Die großen Bildschirme, auf welchen die Ergebnisse angezeigt wurden, zeigten noch einmal ein neutrales Bild. Dann klärte es sich und man konnte die Siegerin dieser Runde ausmachen. 

"EVELYN!" ,hörte ich die Verkündung in dem Moment, dass ich das Ergebnis auf dem Bildschirm sah. Ich konnte es erst gar nicht fassen. Ich war weiter? 

"Evelyn!" ,schrie Jana neben mir. "Herzlichen Glückwunsch!" 

Ich sah sie an. Müsste sie nicht traurig sein, weil sie damit automatisch verloren hatte? Aber sie umarmte mich stattdessen fest. 

Ich bekam alles nur noch halb mit, und da wir ziemlich als letztes dran gewesen waren, war die Show zu Ende, ohne dass ich noch viel davon mitbekam. 

Sobald wir nicht mehr vor der Kamera waren, fragte ich Jana "Bist du denn nicht traurig, dass du raus bist?" 

"Ja, schon, aber du hast es echt verdient!" ,sagte sie und schaute mich gleichermaßen freundlich und traurig an. 

"Es tut mir so leid, ich wünschte, du wärst weiter gekommen!" ,stammelte ich. 

"Ach, bitte. Nein, ich bin froh, dass ich hier war, und ja, es ist schade, dass ich raus bin, aber das ist okay." ,sagte Jana. 

Ich umarmte sie noch einmal fest, und sie begann doch noch zu weinen. 

"Es ist okay. Du darfst wirklich traurig sein, dass du raus bist" ,versuchte ich ihr unbeholfen zu erklären, dass ihre Gefühle vollkommen okay waren. Ganz im Gegenteil: dass sie sich so für mich freuen konnte in ihrer Situation war viel ungewöhnlicher! 

Sie fing an zu lachen, und sie lachte und weinte gleichzeitig, bis sie davon Schluckauf bekam, und dann mussten wir beide lachen, und ich ich fing an zu weinen, weil ich in der Woche gar nicht richtig gemerkt hatte, mit was für einem netten Menschen ich meine Zeit verbracht hatte. 

"Wir müssen unbedingt in Kontakt bleiben!" ,sagte ich also, und wir tauschten Nummern aus. Dann kam der letzte Moment der Verabschiedung, denn auch Firebird waren mittlerweile zu uns gekommen und verabschiedeten sich von allen ausgeschiedenen Kandidaten. Mit einem letzten Winken verließ Jana danach gemeinsam mit den anderen den Raum, und wir zehn und Firebird blieben zurück. 


Let me hear your voiceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt