Die Fähre - da sie keinen anderen Namen hatte - war ein großes Schiff, da sie eine beachtliche Anzahl an Seelen aufnehmen musste. An den meisten Tagen war das Schiff nicht einmal voll mit Seelen. Tatsächlich war es überhaupt nicht notwendig, dass die Fähre so groß war. Natürlich erlaubte mir Hades aber nicht, sie gegen eine andere einzutauschen, da er behauptete, dass diese etwas Besonderes sei, nur habe ich dieses Besondere, bis heute nicht entdeckt.
Sie war komplett schwarz gestrichen, mit einer Reihe gedimmter weißer Lichter, welche die mittleren Kabinen säumten, die zum Kapitänsquartier führten, versteckt hinter dem Steuerhaus. Jeder Teil der Fähre war entweder schwarz oder dunkelgrau gestrichen worden. Eine passende Farbwahl, wenn man bedenkt, wie langweilig es ohnehin schon war, mit einer toten Crew zu fahren.
Hin und wieder befreite sich eine Seele aus ihrer natürlichen Trance, mit der sich eine Seele vor einem Trauma schütze, wenn sie realisierten, dass sie tot waren. Sobald sich die Seele befreit hatte, würde sie eines von zwei Dingen tun.
Hysterisch schreien und versuche, ins Wasser zu springen, um zu entkommen.
Oder mich darum bitten, sie wieder zum Leben zu erwecken.
Ich war jedoch ein Todesgott und kein Gott der Schöpfung. Ich wurde nur zu dem Zweck geboren, Seelen zu ihrem bestimmten Ruheort zu bringen. Ansonsten war ich ziemlich nutzlos.
Ich machte mich auf den Weg zum Steuerhaus, blieb dann aber auf den Stufen stehen und drehte meinen Kopf zur Seite, um zu sehen, wie die schwarzen Skelettwachen unten am Hafen auftauchten und eine neue Gruppe von Seelen mit sich brachten. Sie waren alle in ihrer schützenden Trance und sahen um sich herum nur ihre eigenen Fantasien, anstatt die trostlose Dunkelheit, die sie umgab. Ich ging zum Steuerhaus hoch, während die Wachen die Seelen an Bord führten.
Ich brauchte nicht einmal die Bedienelemente zu berühren, als ich mit der Hand winkte und die Fähre zum Leben erwachte. Der Motor grunzte und die Bedienelemente piepsten und surrten. Ich trat einen Schritt zurück und lehnte mich an die Tür an, die zum Quartier des Kapitäns führte. Ich wartete, bis die Seelen sicher an Bord waren, bevor sich ein Skelettwächter dem Steuerhaus näherte.
"Alle Seelen sind sicher an Bord, Lord Charon." informierte er mich. Ich nickte nur und er verschwand. Ich musste das Lenkrad bloß mit einem Finger berühren. Das war alles, was es an Magie brauchte, damit es sich selbst herausdrehte, herumwirbelte und die Fähre von selbst den Hafen verließ.
Ich ging nicht nach unten, um mir die Seelen anzusehen. Das war viel zu deprimierend. Stattdessen begab ich mich ins Kapitänsquartier, um in der Nähe des Fensters Platz zu nehmen und dabei zuzusehen, wie die Dunkelheit der Unterwelt an uns vorbeizog, während wir den Fluss entlangfuhren. Ich beschwor mein Tagebuch herbei und schlug die letzte Seite auf, bevor ich zu schreiben anfing.
Alexion.
Von wo ist er gekommen? Hatte ihn jemand in den Fluss gestoßen oder war das alles eine ausgeklügelte Falle, um mir mein Herz herauszureißen? Er wusste nicht, wie man mich töten konnte, so viel wusste ich. Nur Hades wusste, wie das geht. Er würde es auch tun, wenn es bedeutete, mich davon abzuhalten, etwas Dummes zu tun. Aber er würde es nie jemand anderem erzählen. Er hatte nicht einmal mit Persephone darüber gesprochen, wofür ich ihm wirklich dankbar war, da Persephone und ich entfremdete Bekannte waren. Sie war eine Göttin der Schöpfung, der Fruchtbarkeit, der Vegetation und die Königin der Unterwelt, und ich ein Todesgott. Wir kamen so gut miteinander aus, wie ein Schwert am Kopf einer Hydra.
Aber zurück zu Alexion. Er hatte etwas an sich, das mich bannte.
Vielleicht waren es seine Augen. Das klarste und stärkste Blau, das ich je gesehen hatte. Sie sprachen von Jahrhunderten von Schmerzen und der Vorsicht. Es waren die Augen einer Person, die die dunkelsten Orte dieser Welt gesehen hatte und es irgendwie geschafft hatte, bei Verstand zu bleiben.
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Die Fähre des Leidens [malexmale] (Übersetzung)
FantasiCharon ist alleine. Charon ist immer alleine. Als eine Kreatur des Todes, der mithilfe der Fähre die Seelen zum Bestimmungsort bringen muss, hat er allein zu sein. Und doch fühlt Charon eine Leere in seinem Herzen, die niemand füllen kann. Niemand...