Willkommen in Seattle

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Die Türglocke des Ladens klingelte, als sie den kleinen Buchladen in einer Seitenstraße von Seattle betrat.

Der Laden roch muffig, war dunkel, lauter deckenhohe Regale, gefüllt mit alt aussehenden Büchern, alles in dunklem Holz gehalten. Der Boden war mit einem dunkelgrünen Teppich versehen und sah immer noch sauber aus, was Anastasia irritierte.

„Kann ich ihnen helfen?“

Erschrocken hob sie den Kopf und erblickte einen wirklich sehr alt aussehenden Mann hinter dem kleinen Tresen, dessen Oberfläche aus Glas war.

Der Mann hatte schlohweißes Haar, sein Gesicht war voller Falten, eine Pfeife in seinem Mundwinkel, die irgendwie einen vertrauten Geruch verströmte und er war in beige, braun und grünen Farbtönen gekleidet, passend zum Ladeninneren.

„Entschuldigen Sie, ich habe ihre Anzeige im Fenster gesehen!“

Der alte Mann fuhr musternd mit seinen Augen über die Erscheinung, die seinen Laden betreten hatte und so gar nicht zu seinem Klientel gehörte.

Eine dunkelblaue Lederjacke mit passendem Schal, die Haare waren braun, lang und leicht zerzaust, eine weißes Shirt und eine total zerfetzte Jeans, sowie blaue Sneakers.

Ihre Fingernägel waren blau lackiert und sie kaute einen Kaugummi und sah im Großen und Ganzen rotzig rebellisch aus, nichts was Herr Meander für seinen Laden wollte.

„Oh, ich habe wohl vergessen, das Schild herauszunehmen. Tut mir leid, Mädchen!“

In Anastasias Augen blitzte etwas auf, dass wie Kampfgeist aussah und sie schaute dem alten Mann direkt in die Augen und kam an den Tresen.

„Und wenn ich Morgen wiederkomme, ist das Schild dann wieder da?“

Ein kleines unangenehm berührtes Lächeln entglitt dem Mann, bevor er sich räusperte.

„Sie sehen, ich bin schon älter, auch ich vergesse einiges.“

Langsam suchten Anastasias Augen den Glaskasten ab, was der Buchladeninhaber dort ausgelegt hatte.

„Sie bieten nicht allen Ernstes Originale von Allen Carr an?“ Fragte sie ungläubig und schaute dann auf den Preis und lachte. „Wer hat sich denn den Preis ausgedacht, über 20.000$?“

„Was wissen Sie schon über Carr, sie sind doch gerade erst aus der Schule entlassen worden.“

Anastasia schaute in die schlechten Augen von Meander und lächelte selbstgefällig.

„Allen Carr, 1934 – 2006, englischer Schriftsteller der zumeist über Lebenshilfe schrieb und auch Seminare dazu anbot. Ist alles schön und gut, aber was kann uns jemand wohl heute für eine Selbsthilfe geben, der im zweiten Weltkrieg geboren wurde?“

Jetzt war Meander verblüfft und etwas sauer zugleich.

„Wissen Sie, manche Menschen sind in seinem Alter, manche Menschen sind Sammler. Es wundert mich, dass sie ihn kennen. War sicherlich nur ein Glückstreffer.“

Anastasia schüttelte abfällig den Kopf.

Irgendetwas hatte die junge Frau an sich, was Meander neugierig werden ließ.

„Warum bewerben Sie sich gerade hier?“

„Weil ich Bücher liebe und Geld verdienen muss, um meine Rechnungen zu bezahlen!“

Jetzt lächelte Meander. „Wenigstens sind sie ehrlich.“

Er rieb sein Kinn und spazierte mit ihr durch den Laden, winkte ihr mit seiner Pfeife hinter sich her und ging mit ihr ins obere Stockwerk, während er sie testete.

Shades of Grey - SilbergrauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt