„Ab hier musst du allein weiter gehen."

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Vor mir hängt ein Kleid. Es ist nicht irgendein Kleid. Es ist mein Kleid für die Abschlussfeier. Für meinen Geschmack ist es mir viel zu auffällig. Roter Seidenstoff mit einem Schlitz. Spagetti Träger und ein V-Ausschnitt. Dazu stehen schwarze Pumps mit einem Samtbezug daneben. 

Eine Hand legt sich auf meine Schultern. „Und? Wie gefällt es dir?"

Ich drehe mich um. „Etwas zu auffällig. Findest du nicht?", frage ich nach und ziehe eine Augenbraue hoch.

„Thalia, du musst dich auch was trauen. Durch diese Farbe und die Form des Kleides, werden viele Jungs nur Augen für dich haben. Folglich hast du somit höhere Chancen einen Freund zu finden. Carter zum Beispiel. Da er wieder Single ist, wäre das doch die Möglichkeit auf eine Wiedervereinigung."

Ich stöhne genervt auf. „Warum muss ich denn unbedingt einen Freund finden? Ich bin auch ohne eine Beziehung glücklich."

„Ein Mädchen in deinem Alter sollte mehr soziale Kontakte haben und ihr Leben genießen."

Ich setzte mich und trinke einen Schluck vom frisch gebrühten Kaffee. „Musst du vorher noch arbeiten? Oder hast du dir für heute frei genommen?", frage ich und wechsle das Thema, um einen Konflikt aus dem Weg zu gehen.

„Ich arbeite von zu Hause aus. Ich werde bis Mittag arbeiten, danach habe ich den restlichen Tag frei. Schließlich hast du nur einmal einen Schulabschluss. Den möchte ich nicht verpassen."

Ich nicke wissend. „In ein paar Jahren mache ich meinen Uni Abschluss. Da gibt es ebenfalls eine Abschlussfeier." Sie lacht herzlich auf. „Das ist etwas anders, mein Kind. Dann bist du erwachsen und kannst hinterher endlich frei sein und machen, was du möchtest."

Ich konzentriere mich auf den das Avocado Sandwich, welches vor mir liegt. „Dir ist bewusst, dass ich keinen Jungen brauche, der mich glücklich macht. Ich bin momentan zufrieden."

Sie setzt sich zu mir. Ihre Hände legt sie um ihre Kaffeetasse. „Das weiß ich, mein Schatz. Nur ich möchte, dass du dich auch mal auf jemanden anderen verlassen kannst und nicht alle Last auf dir tragen musst. Zu zweit lässt es sich einfacher durchs Leben laufen."

Ich trinke die Tasse aus und esse das Toast, ehe ich mich von ihr verabschiede. Ich schnappe mir das Kleid und kehre zurück in mein Zimmer. In ein paar Stunden werde ich keine High School Schülerin mehr sein. Dann bin ich für einen kurzen Moment nur ich, Thalia, ehe ich ab Herbst mein erstes Semester antrete.

Es ist schon verrückt, wie schnell die Zeit vergeht. Noch vor ein paar Jahren war ich am Anfang der High School. Ich hatte kaum Freunde, doch ich hatte ein Ziel. Die Beste des Jahrgangs zu werden und auf eine renommierte Universität zu gehen. Jetzt, vier Jahre später, habe ich nur ein paar Bekannte, einen Ex-Freund, doch ich habe mein Ziel erreicht. Ich kann es kaum erwarten den Campus von Harvard zu betreten. Dann bin ich endlich frei. Keine Mutter mehr, die an mir rumkritisiert.

Ich beginne mich für die Abschlussfeier fertig zu machen. Nach einer heißen Dusche kehre ich, mit einem Handtuch um meinen Körper, zurück in mein Zimmer. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und beginne mich zu schminken. Nach einer halben Ewigkeit und vielen Abschminktüchern später, bin ich fertig. In der Zwischenzeit sind meine Haare getrocknet und ich kann mit etwas Mühe ein paar Locken formen. Zum Schluss ziehe ich behutsam das Kleid an.

Vorsichtig trete ich vor den Spiegel. Ich erkenne mich nicht mehr wieder. Die großen, blauen Augen stechen, dank des Eyeliners, heraus. Die Stupsnase ist mit Highlighter versehen und meine Lippen habe ich in einem matten Rotton getaucht. Ich sehe älter aus, als ich es eigentlich bin. Es ist nicht schlecht älter auszusehen, doch für mich ist es ein befremdliches Gefühl. Ein Anblick den ich nicht jeden Tag sehe.

Ich gehe langsam die Treppe hinunter und halte mich am Geländer fest, um nicht zu stolpern. Am Fußende wartet bereits meine Mutter auf mich. Ihre Augen strahlen, als sie mich erblickt. Das ist ein Grund, warum ich das Kleid angezogen habe. Es macht sie glücklich. Ihr Lächeln zu sehen, erwärmt mein Herz und für einen Moment sind wir in vollkommener Harmonie. Ihre Arme schlingen sich um meinen Körper und ziehen mich an sie heran. Ich drücke sie fest an mich. Solche Momente sind selten. Von daher schätze ich sie umso mehr. In letzter Zeit gibt es immer mehr Unstimmigkeiten zwischen uns. Früher war alles besser.

„Du siehst bezaubernd aus, mein Liebling. So erwachsen und reif. Da werden sich die Jungs um dich reißen." Sie zwinkert mir zu und führt mich zum Wagen.

Ich schweige. Was soll ich dazu auch groß sagen?

Die Autofahrt verläuft ruhig. Im Hintergrund spielt leise Mozart und erfüllt das Auto mit ruhiger Klaviertönen. Während der Fahrt über, schaue ich aus dem Fenster und schaue mir die Nachbarschaft an. Eine Nachbarschaft, in der ich groß geworden bin. Sie wird mir fehlen. Die Nachbarn, welche ich nur ab und zu beim Spazieren gehen gesehen habe. Oder die Kinder, welche immer bei uns an Halloween an der Haustür geklingelt haben und nach Süßigkeiten verlangt haben. All das werde ich nur noch selten zu Gesicht bekommen.

Das Auto hält vor dem riesigen Schulgebäude. Wir steigen aus dem Wagen, wobei ich einige Minuten länger brauche. Ich hacke mich bei meiner Mutter ein, um mich an ihr zu stützen.

Sie hält inne. Ich stocke und schaue zu ihr. „Was hast du?", frage ich sie.

„Ab hier musst du allein weiter gehen." Sie lässt meinen Arm los und schaut mich mit gläsernen Augen an.

„Wir sind doch noch vor dem Gebäude. Du kannst mich ruhig begleiten."

Sie schüttelt den Kopf. „Nein, du bist erwachsen. Das hier ist ein großer Schritt, den du gehen musst. Allein. Neben deinen Klassenkameraden."

Ich nicke langsam und verstehe nun, was sie meint.

„Wir sehen uns, wenn du dein Zeugnis in der Hand hältst." Sie entfernt sich von mir und geht in Richtung des Sportplatzes.

Ich schlucke schwer. Sie hat Recht. Den Weg muss ich allein gehen. Es ist der letzte Schritt meiner Jugend.

Mit wackligen Beinen laufe ich ins Gebäude. Das Klacken der Schuhe hallt im Flur und verrät jeden meiner Schritte. Schon von weiten kann ich das Gelächter meiner Mitschüler hören. Mit zitternden Händen öffne ich die Tür zu meinem Klassenzimmer.

Ich trete ins Zimmer und schließe die Tür hinter mir. Stumm laufe ich zu meinem normalen Platz und versuche keine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Ein Räuspern löst mich aus meinen Gedanken.

Kane Vane steht nur wenige Schritte vor mir. Seine blonden Haare hat er zurückgegelt. Dadurch strahlen seine blauen Augen noch mehr. Er ist einer der charmantesten Schüler der Klasse. Bei den Mädchen ist er ebenfalls beliebt. Mich hat er bislang nicht angebaggert. Wie auch? Ich war immer das Mauerblümchen. Meine Nase steckte immer in Büchern. Ich habe kaum an irgendwelchen Aktivitäten, Partys oder AGs teilgenommen.

Als er mich sieht, bleibt ihm der Mund offen. Er blinzelt ein paar Male, ehe er sich räuspert. „Du siehst echt umwerfend aus. Ich hätte dich kaum wieder erkannt."

Er schenkt mir eines sein berühmtes Lächeln, bei denen jedem Mädchen die Beine weich, wie Pudding werden würde.

Ich schenke ihm ein kleines Lächeln. „Danke."

Unsicher schaue ich mich in der Klasse um und merke, dass einige Jungs mich anstarren. Ein seltener Anblick. Sie sehen so aus, als würden sie es bereuen mich nicht schon eher angesprochen zu haben. Die Blicke der Mädchen sind unterschiedlich. Von Bewunderung bis Neid ist alles dabei. Doch mir ist es egal, was sie über mich denken. Ich werde sie nie wieder sehen.

Ich lasse meine Augen weiter umherschweifen, bis sie bei einer Person hängen bleiben. Bei dem Jungen, der mir mein Herz gebrochen hat. Jackson Carter.

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