„Ich gehöre in meine Welt"

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Ich funkle ihn bitter an und hoffe, dass Blicke töten können. Dann wäre mein Problem gelöst. Leider funktioniert der Blick nicht. Carden sieht mich mit einem gewinnenden Lächeln an. „Endlich bist du bei mir. Dort wo du hingehörst."

Ich will etwas sagen, doch es kommt nichts an. Das Tuch behindert mich.

„Willst du etwas sagen?", fragt er.

Ich nicke.

Er kommt zu mir und lockert das Tuch so weit, dass ich reden kann.

„Ich gehöre in meine Welt", sage ich stur.

Carden antwortet nicht darauf und beginnt das Boot vom Festland zu steuern. Mit Tränen in den Augen sehe ich zu wie die Küste immer kleiner wird, bis ich sie nicht mehr sehen kann.

„Na, na. Tränen bringen dir nichts, Liebling. Sie zerstören dein liebliches Gesicht."

„Lass mir wenigstens, dass, wenn du mir schon meine Freiheit raubst."

„So, das wars, meine Liebe. Kein Wort mehr von dir für die restliche Fahrt." Carden befestigt das Tuch wieder auf meinen Mund.

Die restliche Fahrt über ist es ruhig. Keiner von uns sagt etwas. Er konzentriert sich, um im Dunkeln den Weg zu finden. Ich kann nicht reden. Ansonsten würde ich ihn beleidigen.

Ich starre weiterhin auf die Dunkelheit, welche vor uns liegt. Die Laternen am Boot spenden nur spärlich Licht.

Innerlich bete ich, dass Kian einen Weg findet mich aus den Klauen von Carden zu befreien. Fynn wird sicherlich an seiner Seite kämpfen. Schließlich hat er Aiden versprochen auf mich aufzupassen. Vielleicht wäre das alles nicht passiert, wenn wir Fynn mit in die Bibliothek genommen hätten. Auf der anderen Seite konnten wir nicht ahnen, dass Carden dort auf uns wartet. War er den ganzen Tag dort? Oder hat er uns hinterher spioniert?

Wie lange werden wir unterwegs sein? Wie wird es bei ihm aussehen? Sein Land. Sein Schloss. Sein Vater.

Wird er mich ebenfalls so anschauen wie der König? Als sei ich nichts weiter als ein Dorn in seinem Auge. Eine Plage, die beseitigt werden muss. Der Störfaktor in seiner perfekten Gleichung. Doch Carden hat gesagt, dass ich kostbar wäre. Sehr kostbar. Ich fühle mich wie ein Objekt. Wie eine teure Ming-Vase. Oder eine Porzellanpuppe, die man in eine Vitrine stellt und nur ansieht.

Aus der Ferne sehe ich Laternen, die uns den Weg zum Steg leuchten. Sie sind die einzige Lichtquelle.

Ich spüre, wie das Boot andockt. Dieser Steck ist anders. Dunkle Steine. Robust gebaut. Vielleicht sieht er bei Tageslicht anders aus. Freundlicher. Heller. Einladender.

Carden befestigt das Boot am Steg. Dann kommt er auf mich zu und nimmt meine gefesselten Hände in die eine Hand, während er die Zügel seines Pferdes in der anderen hält. Langsam gehen wir vom Boot herunter und laufen durch den Torbogen, in dem eine Laterne hängt, die uns Licht spendet.

"Jetzt brauchst du das Tuch und die Seile nicht mehr. Du kennst dich hier nicht aus und weißt nicht, wohin du gehen musst. Zudem ist es Nacht geworden. Die Geschöpfe der Dunkelheit kommen langsam aus ihrem Versteck und beginnen zu jagen. Also bist du auf mich angewiesen." Er löst vorsichtig meine Fesseln und befreit mich vom Elend, welches mich am Reden gehindert hat. "Ich stecke beides wieder ein. Wer weiß wann wir es das nächste Mal brauchen", flüstert er mir ins Ohr.

Ich erstarre. Wieder eine anzügliche Anspielung. Wie schon so oft. Wie lange bleibt es bei diesen Kommentaren? Wann setzt er diese in die Tat um? Wenn wir heiraten? Oder vergreift er sich eher an mir? So oder so muss ich einen Weg zurückfinden.

Im Morgengrauen wird sich zeigen, wo ich bin. Wenn ich es schaffe bei den ersten Sonnenstrahlen wieder am Steg zu sein, dann habe ich eine Chance zu fliehen. Das Boot wird mein Fluchtmittel sein. Entweder renne ich den Weg zum Steg oder ich leihe mir ein Pferd. Doch eines steht fest. Ich werde nicht kampflos aufgeben und mich meinem neuen Schicksal ergeben. Wenn Carden denkt, dass ich ihn verfalle und nach seiner Pfeife tanzt, dann hat er sich gewaltig geschnitten.

So lange werde ich ihm die kalte Schulter zeigen. Ihm soll klar werden, dass ich nicht freiwillig hierbleibe. Er muss mich schon anketten, damit ich bleibe. Mein Überlebensinstinkt ist geweckt und ich werde so lange kämpfen, bis ich frei bin. Frei aus seinen Händen.

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als Carden mich auf sein Pferd setzt und schwingt sich ebenfalls in den Sattel. Seine Hände streifen meine Taille, als er nach den Zügeln greift. Ich verkrampfe mich. Auch wenn ich es nicht zugeben will, kribbelt die Stelle. Ich darf diesen neuen Gefühlen und Emotionen nicht nachgeben. Wenn ich das tue, ist alles umsonst. Dann habe ich mich selbst verraten. Wozu dann noch kämpfen?

"Es ist ein weiter Weg bis zu meinem Schloss. Die Chance, dass du fliehen kannst, ist gleich unmöglich", sagt er. Als wüsste er, dass ich schon Fluchtpläne schmiede.

Ich antworte ihm nicht.

"Was? Kein bissiger Kommentar?", neckt er mich und reitet los. "Wohl müde geworden?"

Wieder keine Antwort.

"Spätestens morgen wirst du mich wieder ankeifen. Wie sehr ich mich darauf freue."

Wir reiten durch die tiefe Dunkelheit. Keine Laternen sind in Sicht. Nur der Mond und die zahlreichen Sterne leuchten auf uns herab. Anscheinend genügt das Carden, denn er weiß, wohin wir reiten. Selbst die Tageszeit stört ihm nicht. Wie oft er schon diese Route geritten ist? Wenn er hier geboren wurde, dann hat er sein ganzes Leben hier verbracht. Logisch, dass er hier jeden Stein und jeden Ast kennt.

Ab und an ist ein Heulen oder Jaulen zu hören. Carden hat nicht gelogen. Die Geschöpfe der Nacht sind erwacht und wollen ihre Beute jagen. Hoffentlich zähen wir nicht dazu. Ich möchte nicht in einer Fantasie Welt sterben. Geschweige denn in einem Buch. Es wäre tragisch, da niemand meine Leiche finden würde.

Das Heulen wird lauter. Ich erspähe ein Rascheln in einem der Bücher. Es kann der Wind sein, der durch die Büsche und Bäume weht. Oder es ist ein Wolf, der unsere Fährte gerochen hat und nun uns verspreisen möchte.

Carden spürt meine aufkommende Angst. Meine Atmung beschleunigt sich und ich muss mich zusammenreißen nicht ängstlich aufzuschreien.

"Keine Sorge, meine Liebe. Mit mir wird dir nichts geschehen", flüstert er und schmiegt sich an meine Wange. "Bald sind wir angekommen."

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