Ein paar Wochen später stehe ich mit meinem Koffer und einer Tasche vor einem alten Reisebus. Endlich ist es so weit. Heute beginnt mein neuer Lebensabschnitt. Heute fahre ich nach Harvard.
"Bist du dir sicher, dass ich dich nicht fahren soll? Schließlich ist es eine weite Strecke und es kann auf der Autobahn gefährlich werden. Zudem fliegst du dann noch ein paar Stunden. Nicht das euer Flugzeug entführt wird oder abstürzt." Meine Mutter versucht mich schon wieder zu behandeln, als sei ich ein Kleinkind.
"Nein, dass musst du nicht. Ich glaube, dass ich das gerade noch so hinbekommen werde. Schließlich fahre ich mit dem Bus und fliege ein paar Stunden. Außerdem bräuchten wir einen Tag mit dem Auto."
Sie nimmt mich in den Arm. "Schreib mir, wenn du angekommen bist", flüstert sie über meine Schulter.
"Nur wenn du mir versprichst, dass du versucht von der Arbeit loszukommen und anfängst wieder zu leben. Geh auf Dates oder mach eine Kreuzfahrt. Hab einfach Spaß." Sie lächelt müde. Wenigstens versucht sie es.
Ich verstaue meine Sachen im Gepäckraum und steige in den vollen Bus ein. Auf einen leeren Platz lasse ich mich fallen und schaue zu meiner Mutter, welche traurig die Hand hebt.
Nach kurzer Zeit fährt der Bus aus dem Bahnhof und ich lasse mein altes Leben, meine Heimat, hinter mir.
Ich erinnere mich an den gestrigen Abend. Nachdem ich all meine Sachen gepackt habe und das Nötigste aus dem Badezimmer in eine Tasche verstaut habe, bin ich zurück in mein Zimmer gegangen. Zunächst habe ich nicht gemerkt, dass mein Fenster offen war, noch das ich nicht allein war. Erst als eine frische Brise eine Gänsehaut auf meinen Armen zauberte, bemerkte ich, dass etwas nicht stimmte.
Eine dunkle Gestalt stand in einer Ecke des Zimmers. Panik kam in mir auf und ich schnappte mir das erstbeste Objekt, was ich in die Hände bekam. Meine Tischlampe.
Mit zitternden Händen hielt ich sie schützend vor mich. Ich traute mich nicht einen Schritt auf ihn zu zumachen. Wer weiß, ob er bewaffnet war. Doch ich musste handeln. Entweder er oder ich. Ich nahm all meinen Mut zusammen und ging mit langsamen Schritten auf ihn zu. Schnell hob ich meine Lampe und schlug zu.
Ein schmerzerfüllter Schrei entwich der, mir unbekannten, Person. Erst jetzt nahm der Unbekannte die Kapuze ab. Nur der Mondschein dient als Lichtquelle. Die blauen, matten Augen von Jack starren mich an.
"Was machst du denn hier?", schrie ich ihn an.
Er hielt sich schmerzend den Kopf. "Dich sehen, was denn sonst!"
"Aber doch nicht so! Du hättest doch auch einfach klingeln können!", konterte ich. Was fiel ihm ein einfach so durch mein Fenster zu steigen. Was hatte er sich dabei gedacht? Womöglich nichts. So wie immer.
"Deine Mutter ist unten. Was würde sie denken, wenn sie mich kurz vor Mitternacht vor deiner Haustür sieht. Zudem wäre das zu einfach. Ein bisschen Adrenalin hat noch niemanden geschadet."
Ich sah ihn entgeistert an. "Was stimmt denn nicht mit dir?"
"Mit mir ist alles gut so weit. Bis auf die Kopfschmerzen, welche du mir zugefügt hast:" Er deutete auf meine Lampe.
"Das geschieht dir auch recht! Schließlich hast du mich zu Tode erschreckt, du Idiot!"
Er lachte trocken. "Endlich sehe ich dein Temperament. Ich habe mich schon gewundert, wo es beim letzten Mal geblieben ist."
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. "Also, warum bist du hier?"
"Hast du dich entschieden?", hackte er neugierig nach.
"Deswegen bist du die Regenrinne hochgeklettert? Um mich das zu fragen?!"
"Ähm...ja."
"Ist das dein Ernst? Du hättest mir auch eine Nachricht schreiben können oder anrufen können!" Ich warf die Hände in die Höhe. "Ich dachte jetzt kommt sonst etwas. Nein, du fragst mich, ob ich mit dir zur Uni gehe."
"Also? Ja oder nein?" Er lächelte verschmitzt.
"Raus hier!" Ich zeigte mit dem Finger auf das offene Fenster.
"So hast du dich also entschieden. Ich hätte mich gewundert, wenn du deine Meinung geändert hättest. Harvard kann sich glücklich schätzen eine clevere Studentin wie dich zu bekommen."
Es war still zwischen uns. Mal wieder hatte ich keine vernünftige Antwort parat. Wie so oft stand ich einfach nur da. Die Wut war wie weggeblasen. Er schaffte es immer wieder, dass ich mir dumm vorkam. Erst machte er einen wütend und im nächsten Moment wirft er einen ein Kompliment an die Stirn. Wie sollte man denn darauf reagieren?
"Brauchst du noch etwas für deinen Kopf?", fragte ich und schaute aus dem Fenster, um seinen Blick zu meiden.
"Etwas zum Kühlen wäre nicht verkehrt. Zum Glück habe ich keine Platzwunde davongetragen."
Jetzt kam ich mir schuldig vor. "Tut mir leid, deswegen."
"Muss es nicht. Schließlich bin ich einfach so in dein Zimmer gekommen. Du hast dich nur gewehrt", winkte er lässig ab.
"Warte hier. Ich hole dir etwas."
Vorsichtig öffnete ich die Tür und schaute in den dunklen Flur. Von unten brannte kein Licht. Schnell huschte ich in die Küche und griff in die Tiefkühltruhe. Kurze Zeit später ging ich auf Zehenspitzen die Treppe hinauf in mein Zimmer. Leise schloss ich die Tür hinter mir.
Ich hielt ihm eine gefrorenen Packung Erbsen vor die Nase. Dankend nahm er sie an.
"Die Erbsen kannst du behalten."
"Fällt das nicht auf?", fragte er und hielt sich die Packung an die Schläfe.
Ich lachte leise auf. "Wohl eher kaum. Meine Mutter kocht normalerweise nur mit frischen Zutaten. Nur wenn sie über längerem Zeitraum auf Geschäftsreisen ist, kauft sie Tiefkühlkost damit ich es mir warm machen kann. Sie vertraut meinen Kochkünsten nicht."
"Ja, daran kann ich mich erinnern. Der Herd und du wart keine Freunde gewesen. Wie es scheint, hat sich nichts daran geändert." Ich schlug ihm auf den Arm. Er wich gekonnt aus.
"Ich werde dann mal wieder gehen. Für mich geht es erst in ein paar Tagen los." Er quetschte sich durch das Fenster und kletterte auf das Vordach.
"Versuch dir auf dem Rückweg keine Knochen zu brechen", sagte ich und meinte es auch so.
"Wenn du mir versprichst, dass du auf dich aufpasst", konterte er.
"Ich versuch's", antwortete ich ihm.
Er hat meine Entscheidung akzeptiert. Glaube ich zumindest. Doch darüber mache ich mir jetzt keine Sorge mehr. Ich bereite mich auf den spannendsten Abschnitt meines Lebens vor. Das College.
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Enchanted by you
FantasíaFictional Boyfriends can be real ... Ein Bücherwurm in Harvard entdeckt eine Welt voller Magie, als der Protagonist eines Fantasy-Romans plötzlich vor ihr steht und sie gemeinsam zwischen der modernen Welt und einem faszinierenden Königreich Gefahre...