"Er hasste sie, aber sich selbst noch viel mehr"

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Sie waren sich immer so nahe gewesen und jetzt stand der Tod genau mitten ihnen. Er lauert immer da, wo er am wenigsten gebraucht wird und schlägt immer dann zu, wenn man sich zu sicher war, dass alles gut gehen würde. Wenn die Risiken und die Gefahren des Lebens in Vergessenheit geraten. Wenn man die Welt am meisten liebt. "Es geht nicht ums Schmecken, Kakashi.", verdrehte sie ihre smaragdgrünen Augen, die sich finster in seine bohrten. Wut und ein Hauch von Zorn begann in ihnen zu funkeln. "Natürlich, sonst ist es doch sinnlos etwas zu kochen!", entgegnete er und musterte sie ebenfalls missmutig. Es hatte alles keinen Sinn mehr. In wenigen Stunden würden sie elendig verenden und jeden Anzeichen ihrer Existenz mit sich nehmen. Nur noch ihre leblosen Körper würden in dieser Wohnung verrotten. Was bringt es da einem, noch mal zu kochen? "Es geht ums Prinzip!", schüttelte sie ihren Kopf, "Es geht darum, dass ich mit dir Spaß haben will. Nur noch ein einziges Mal." "Was würde dieses eine einzige Mal verändern?", hakte er provozierend nach, "Du bist bald tot." Ihr Körper war schwach und solche Strapazen nicht gewöhnt. Und schwanger war sie noch mit dazu. Deshalb breitete sich die Krankheit bei ihr rasend schnell aus, was sie immer mehr in die Knie zwang. "Du bist auch bald tot.", funkelte sie ihn zornig an, "Was willst du die ganze Zeit machen? Rumheulen und im Selbstmitleid ertrinken? Du kannst nichts verändern, Kakashi. Du kannst nichts von alle dem wiedergutmachen." "Ich werde nicht so naiv sein wie du!", seine Stimme wurde immer lauter und seine Augen verengten sich drastisch, "Das ist doch lächerlich! Auf heile Welt machen, dabei ist doch schon längst alles kaputt! Wir haben nichts mehr, Natsuki, nicht mal unser Leben haben wir noch!" "Schrei mich nicht an!", keifte sie, "Ich will wenigstens nicht einfach alles weg werfen, denn noch haben wir alles. Wir könnten unsere Zeit nutzen und noch einmal die besten Stunden unseres Lebens haben!" Er schnaubte missbilligend und drehte ihr den Rücken zu: "Wann bist du so dumm geworden? Es bringt doch nichts mehr! Mach endlich deine Augen auf! Wir sind halbtot! Akzeptier es endlich und hör auf dich wie ein Kind aufzuführen!" "Du verhältst dich doch wie ein bockiges Kleinkind, nicht ich!", schrie sie zurück. Ihre sonst so süße Stimme kratzte ätzend in seinem Ohr und brachten sein Trommelfell heftig zum rebellieren. Die rohe Wut brodelte in ihr, die sie nun mit voller Kraft gegen ihn richtete: "Ich wünsche mir, dass sich als erstes sterbe, dann muss ich dich endlich nicht mehr ertragen!" Ein lauter Krach und splitterndes Holz sorgte augenblicklich für Ruhe in der gesamten Küche. Alles war schlagartig mucksmäuschenstill geworden. Es war nur noch ein zischender Atem zuhören, den sie in jedem ihrer Muskeln spürte. Er sagte nichts mehr und ließ seine Hand einfach in dem zertrümmerten Küchenschrank stecken. Holsplitter hatten sich in seine Hand gerammt und lösten einen willkommenen Schmerz in ihm aus. Ihre Worte trafen ihn, doch er war viel zu wütend auf sie, als das er vernünftig hätte reagieren können. Seine Gliedmaßen wurden schwer, seine Augen brannten und sein Herz raste. Wie sehr er sich wünschte, in die Vergangenheit reisen zu können. In die Vergangenheit, in der sie sich noch geliebt hatten.

Stumm zog er die geballte Hand aus der Holztür und verließ wortlos die Küche und ließ eine tonlos weinende Natsuki zurück, die sich verzweifelt über ihren gewölbten Bauch strich. Doch er hatte keinen Nerv dazu sie zu trösten, dafür war er viel zu aufgebracht. Stattdessen, stapfte er ins Bad und schlug die Tür so fest hinter sich zu, dass er meinte, sie würde aus den Angeln krachen. Doch die Tür hielt stand und trennte weiter seine enttäuschte Verlobte von ihm. Wut gehörte wohl auch zum Sterbeprozess dazu. Wann wohl die nächsten Symptome auftreten würden? Anzeichen dafür, dass seine kleine Welt bald zerbrechen würde? Signale, die ihm große Angst machen. Zu wissen, was man noch alles erleiden muss, sorgt für Panik und macht die Zeit des Sterbens noch unerträglicher. Genauso unerträglich, wie das widerliche Spiegelbild, dass sich vor ihm auftat, als er ans Waschbecken trat. Doch wenigstens fühlte er etwas. Hass. Wut. Zorn. Tiefe Verzweiflung. Das war alles besser als nichts, denn so lange er noch fühlte, war er noch nicht tot. Trotzdem war er so unmenschlich sauer, dass er sich einfach nicht mehr zügeln konnte. Mit seiner immensen Kraft trat er so fest gegen den Mülleimer, dass er durch den ganzen Raum flog und scheppernd gegen die Wand donnerte: "VERFICKTE SCHEIßE!" Kakashi war wie von der Tobsucht geplagt und polterte immer weiter durch das Bad, die ganze Einrichtung demolierend. Er wollte die Zeit zurück drehen. Niemals in diese Buchhandlung gehen, niemals seine Lippen auf ihre legen und ihr niemals einen Antrag machen. Doch Zeit läuft immer vorwärts. Für alle Teilchen und Antiteilchen; da gibt es kein zurück. Da konnte er sich die Vergangenheit noch so sehr herbei wünschen, denn hier in der Gegenwart hasste er sie zu tiefst, aber sich selbst noch ein Stückchen mehr. Auch wusste er, dass er sie in der Zukunft lieben würde, wie er es immer getan hatte. Er würde seine Worte bereuen, sich versuchen bei ihr zu entschuldigen und sie in seinen Armen halten. Was er aber dabei vergaß, war, dass er keine Zukunft mehr hatte. Und während er das ganze Haus zusammenbrüllte, wurde das Stechen in seiner Lunge größer. Seine Kehle juckte und kratzte unheimlich und der mittlerweile vertraute Geschmack von Blut machte sich in seinem Mund breit. Angeekelt verzog er sein Gesicht und stürzte auf die Toilettenschüssel zu, doch er war zu langsam. Unter lautem Würgen kam ihm nach und nach sein Lungengewebe hoch, dass dieses Bakterium zerfraß. Eine rote Pütze voller Blutklumpen entstand auf dem weißgefliesten Boden. Hellrotes Blut. Dunkelrote Stückchen. Schwarze Fäden, was auch immer das war. Es tat auf jeden Fall unheimlich. Er meinte fast schon, dass er sich schon längst in der Hölle befand, solche Qualen durchlief er.

Immer mehr Blut gemixt mit irgendeiner Körperflüssigkeit kam ihm hoch und er konnte nicht anders, als es einfach auf den Boden zu spucken. Von den weißen Fliesen war kaum mehr was zu sehen, genauso wie er es von seiner Lunge vermutete. Von dort ging nämlich so ein immenses Stechen aus, das ihn vergessen ließ, wo oben und untern war. Seine Luftröhre brannte wie Feuer und seine Augen tränten von der Kotzerei. Er wusste nicht, wie lange er das noch aushalten könnte, oder wie viel Lunge er noch abgeben konnte, bevor es mit ihm zu Ende gehen würde. Er konnte nur weiter würgen und hoffen, dass er nicht hier im Bad drauf gehen würde. Doch er hatte keine Macht über das Geschehen. Er taumelte zurück, bis er stolperte und kraftlos zu Boden sank. Der Boden kam früher als gedacht und ließ ihn einen schmerzverzerrten Schrei ausstoßen. Normal war er Schmerz gewöhnt. Er war ein Ninja und wurde jeden Tag damit konfrontiert. Doch nun schien alles so intensiv. Er war so empfindlich und fühlte sich so zerbrechlich, dass er sich gar nichts ausmalen konnte, wie hart es gerade für Natsuki war. Sie war diese Schmerzen nicht gewöhnt; ihr Körper war so etwas wie Gifte nicht gewöhnt. Deshalb ging der Sterbensprozess so viel schneller bei ihr. Dieses gezüchtete Virus tötete sie in so einer rasanten Geschwindigkeit. Der Arzt meinte, es war eine künstlich herbeigeführte Mutation des Tuberkulose Bakteriums, dass darauf ausgelegt war, das Opfer so schnell und so schmerzvoll wie möglich umzubringen. Das erklärte auch, was dieser Wissenschaftler damit zu schaffen hatte. Eher ungünstig war allerdings, dass Kakashi das Virus ins Dorf gebracht hatte und nun wollte er gar nicht daran denken, wie Natsukis Eltern von einem Anbu Team aufgeklärt wurden. Wie Kazumi in Tränen ausbrach und Hirokus Lächeln von seinem Gesicht verschwand. Wie sie starben.

Und wären seine Tränen nicht schon längst alle verbraucht, würde er sich auf dem Boden zusammenkrümmen und heulen wie ein Schlosshund. Doch selbst dafür hatte er keine Kraft mehr. Er war viel zu erschöpft von allem. Von den Qualen - den körperlichen und geistigen. Er konnte langsam nicht mehr davon unterscheiden, ob sein Kopf so weh tat, weil gerade alle möglichen Gehirnzellen brutal von irgendeinem Krankheitserreger zerfressen wurden, oder ob es die Vorwürfe waren, die ihn zu diesem elendigen Stück Dreck machten. Er konnte nur seine Knie an sich ran ziehen und das Zucken gewähren lassen. Sein ganzer Körper zitterte wie Espenlaub und er hatte keine Kontrolle mehr. Er hatte keine Kontrolle über irgendwas. Kakashi konnte rein gar nichts dagegen tun, dass ihm das dunkelrote Blut schlierig und schier endlos aus dem Mund floss, bis er erbärmlich verblutet war. Der Jonin konnte nicht einmal seine Augen schließen, jene so immens brannten, als würden sie in Flammen stehen. So musste sich das Fegefeuer anfühlen und nicht anders. Und genauso fühlte sich sein Gewissen an, dabei wusste er nicht einmal davon, wie Natsuki gerade in ihrem Schlafzimmer von einer Panikattacke heimgesucht wurde. Wie sie unaufhörlich schwitzte, wie bunte Blitze ihr Sichtfeld auseinander rissen und sich die kahlen Wände in schwindelerregender Geschwindigkeit um sie kreisten. Wie sie verrückt wurde und sie sich so sehnlich wünschte, dass er an ihrer Seite sein würde, wenn sie verenden würde. Dass er sie in seinen Armen halten würde und ein letztes Mal ihren Namen sagen würde. Liebevoll und ihn ihr nicht so hasserfüllt entgegenschleudert, wie er es vorhin getan hatte. Doch das tat er nicht. Er lag auf den kalten Fließen, gebadet in seinen eigenen Innereien, von denen er nicht einmal wusste, dass sie mal seine Lunge dargestellt hatten. Er war wie ausgeweidet, dabei hatte er nicht einmal eine offene Wunde, außer die Platzwunde an seinem Hinterkopf, die auf einmal so klein und unscheinbar war. Denn er durchstand viel größere Qualen. Man hätte ihm auch jedes einzelne Organ einzeln aus dem Körper schneiden können, es würde keinen Unterscheid machen. Vermutlich wäre es sogar noch angenehmer, als mit anfühlen zu müssen, wie sich seine Eingeweide auflösten und er sie erbahrmungslos ausspeihte, wie auch immer das möglich war. Und auch wenn er nichts riechen konnte, wusste er ganz genau, nach was es in diesem kleinen Zimmer stank. Nach dem Tod. Darum wusste er auch genau, dass er bald den Löffel abgeben müsste und diesen nicht in die Hand seinen Kindes drücken könnte, wie er es hätte tun wollen. Den er hatte kein Kind mehr. Er hatte nichts mehr. Er würde einsam und alleine in diesem Raum sterben.

Kakashi, stirb mit mir.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt