"Warte auf mich"

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Dunkles Blut rann aus ihrem Mundwinkel und lief über ihr Kinn, bis es auf den Fußboden tropfte. Das kalte Kunai bohrte sich immer tiefer in ihren Rücken und ihre Augen wurden ganz groß. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hatte nicht gedacht, dass der Jonin, der seine blutige Hand gerade an ihre Wange legte, bereit um ihre aufsteigenden Tränen wegzuwischen, sie kaltblütig von hinten erstechen würde. Sie hatte nicht gedacht, wie zweitrangig die Schmerzen werden, wenn man nur noch einen Herzschlag vom Tod entfernt ist. Denn auch wenn die Klinge, die sich tief in ihr Herz bohrte, die schlimmsten Schmerzen ihres Lebens auslöste, war ihr Angst so viel größer. Sie wusste nicht, wo sie jetzt hinkommen würde. Sie wusste nicht, ob sie Kakashi je wieder sehen würde und sie wusste nicht, wie schmerzhaft das werden würde, das vor ihr lag. Natsuki wollte nicht gehen. Sie wollte lieber schreien. Sie wollte um Hilfe rufen; von hier fort. Ein kläglicher Versuch sich von ihm loszureißen durchzog ihren Körper, doch es gelang ihr nicht. Ihr Ehemann hatte sie so fest im Griff, dass er ihr das Kunai immer und immer tiefer ins Schulterblatt drückte. Er hatte mit Absicht auf ihr Herz gezielt. Er wollte sie umbringen. "Ist okay, Prinzessin.", flüsterte er und streichelte sanft ihre Wange, als ihre Beine wegklappten und sie nur noch schlaff in seinen Armen hing. Sie spürte ihre Füße nicht mehr und noch nie in ihrem Leben war ihr das Atmen so schwergefallen. Wie viele Atemzüge sie noch machen könnte? Atmete sie überhaupt noch? Sie spürte ihre Füße auf jeden Fall wieder. Sie spürte alles in ihrem Körper; jede Zelle. Alle Organe, die nicht mehr mit Blut versorgt wurden und sie in kürze im Stich lassen würden. Und sie spürte einen Tritt roher Verzweiflung. Wie ein Herzschlag jagte dieser Impuls durch ihren ganzen Körper. "D-Das Kind-", noch mehr Blut kam ihr hoch und ließ sie gequält auf keuchen, "Es - lebt." Die Worte pressten sich gerade noch so zwischen dem Blut hervor, bis sich kalte Lippen auf ihre pressten und sie zum Schweigen brachten. Ein eisiger Schauer raste seinen Rücken runter, als er sie ein letztes Mal küsste. Kakashis Sohn war nicht tot. Zumindest noch nicht.

Sie erwiderte diesen Kuss nicht. Stattdessen rang sie verzweifelt nach Luft, doch auch das würde sie nicht mehr retten. Er hatte sie ermordet. Er meinte, dass es so einfacher für ihn wäre. Kurz und schmerzlos. Doch er hatte das unterschätzt. Schließlich wollte Kakashi sie von ihrem Leiden erlösen, aber nun spürte er, wie sie sich immer schwächer in seinem Griff wand, ihre verzweifelten Versuche zu atmen, um zu überleben, weniger wurden und sich ihr schneeweißes Kleid rot verfärbte. Es war ein Fehler gewesen auf ihr Herz zu zielen, denn so litt sie nur um so mehr. Doch vielleicht war das auch die beste Entscheidung, die er je getroffen hatte. Sein Kind lebt. Und das Einzige, an das er gerade denken konnte, war, seinen Sohn zu retten. Er ignorierte ihr schmerzerfülltest Stöhnen, als er sie grob an den Schultern packte, um das Kunai rücksichtslos aus ihrem Rücken zu reißen. "Ich werde es retten, Liebes, halte nur noch ein bisschen durch.", sprach er ihr zu, während er sie zu Boden drückte, um sich über sie zu beugen. Gerade wollte er nichts mehr, als seinen Sohn zu retten. Er würde das schaffen - nein, er musste das schaffen. "Du musst dich beeilen.", hauchte sie und blieb reglos am Boden liegen. Sie würde es nicht mehr lang durchhalten, denn auch wenn er ihr Herz nicht komplett durchstochen hatte, war es alle mal genug, um sie rasend schnell umzubringen. Deshalb musste sie jetzt kämpfen, um zumindest ihren Sohn zu retten. Natsuki musste still halten und alle Schmerzen ertragen, die Kakashi ihr aufbürdete. Auch das er gerade ihr Brautkleid entzwei riss und ihren geschwollenen Bauch entblößte. "Ich weiß nicht, wie man das macht.", flüsterte er, bevor er das Kunai einfach ein zweites Mal mit schlotternder Hand in ihre Haut schnitt. Jedoch dieses Mal viel bedachter. Er durchtrennte planlos ihre Haut, bis ihm Unmengen Blut entgegenströmte. Ihr ganzes Kleid tränkte sich in der roten Farbe und machte seine Hände ganz glitschig, als er weiter versuchte ihren Bauch auf zu säbeln. Wie sollte sie diese furchtbaren Schmerzen ertragen? "Du musst still halten!", platzte es ihm heraus, nachdem Natsuki einfach nicht liegen bleiben wollte. Ihre schmerzerfüllten Schreie durchzogen die Nacht und sie verkrümmte sich gequält. Sie wand sich, wollte ihre Hände auf die riesige Wunde an ihrem Bauch drücken, aber probierte gleichzeitig weiter für das Leben zu kämpfen, das sie unbedingt leben wollte. "Ich kann das Kind nicht rausholen, wenn du so zappelst!", langsam verlor er den Verstand. Überall war so viel Blut. Nichts anderes außer Blut.

Seine Sicht drohte zu verschwimmen, als seine Hände in ihre zerfledderte Wunde eintauchten und nach etwas griffen, von dem er nicht wusste, was es war. Es war total weich und glibberig, weshalb er es nur mühevoll und unter lauten Lechzen von Natsuki aus ihrem unnatürlich warmen Körper holen konnte. Das war definitiv nicht das Kind. Es war irgend ein Organ, das er gerade in seinen Händen hielt, von dem er nicht wusste, was er damit tun sollte. Er riss es einfach aus ihrem Bauch heraus und ließ es achtlos fallen. Ein ohrenbetäubender Schrei durchschnitt sein Gehör und ließ ihn zusammenfahren. Ihr Gesicht war Tränen überströmt und auf ihrer Stirn, auf der sich eine steile Falte abzeichnete, hatten sich dicke Schweißperlen gebildet. Noch nie hatte er sie so gesehen. Sie sah unheimlich krank aus, wie ihr das schwarze Blut ständig explosionsartig hochkam. Unvorstellbar, was sie gerade an Schmerzen erleiden musste, doch er machte einfach weiter. Er weidete sie aus und riss ihr ihre Innereien am lebendigen Leibe aus dem Körper. Eins nach dem anderen. Und das würde er so lange tun, bis er sein eigen Fleisch und Blut in ihren Eingeweiden gefunden hatte. Aber es war so dunkel in diesem Zimmer. Er sah nichts. Nur das dunkle Blut, das endlos aus ihrem Körper floss, das ihn bereits völlig benetzte. "ES KANN DOCH NICHT SO SCHWER SEIN EIN KIND ZU FINDEN!", brüllte er verzweifelt und wühlte in ihren Gedärmen. Es schien ihn nicht mehr zu interessieren, wie sehr er ihr wehtat. Ursprünglich war sein Plan gewesen, sie von ihrem Leiden zu erlösen, aber jetzt setzte er sie unmenschlichen Qualen aus. Sein immer weiter schwindender Verstand tat ihr das an. Er bekam gar nicht mehr mit, was er da überhaupt machte. Er folgte einzig und alleine seinem verzweifelten Wunsch seinen Sohn zu retten.

Ihre Schreie wurden immer leiser und sie reagierte schon gar nicht mehr, wenn eins ihrer Organe irgendwo im Zimmer auf dem Boden aufklatschte. Sie realisierte langsam, dass es keinen Sinn mehr hatte zu kämpfen. Sie kam gegen den Tod nicht an und das Kind würde Kakashi ihr auch nicht mehr entnehmen können. Es war zu spät. Sie würde nun ein für alle Mal sterben, nachdem ihr wohl langsamster Herzschlag zum Ende kam und sie jeglichen Schmerzen ausblendete. Nani spürte nicht mal, wie Kakashi ihre Haut auseinander riss, um ihr Kind ans Tageslicht zu bringen. Er hatte es tatsächlich gefunden. Aber sie würde es nie in ihren Armen halten können. Sie sah nur die groben Umrisse der kleinen Gestalt, die ihn den großen blutigen Händen ihres Mannes lag und sich nicht bewegte. Müde legte sich ein kleines Lächeln auf ihre blutverschmierten Lippen, als ihr Sichtfeld langsam schwarz wurde und sie ihre zwei Lieblingsmenschen gehen lassen musste. Sie fiel und es gab niemanden, der sie in diesem Nichts auffangen würde. Sie wurde nun nicht mehr gebraucht auf dieser Welt; sie konnte nun schlafen gehen. Und so lag sie nun in diesem dunklen Zimmer. Gebadet in ihrem eigenen Blut, an dem Tag, der der Schönste ihres Lebens werden sollte.

Sie bekam nicht mehr mit, wie er das Kind aus den Armen legte und sich auf ihren verschandelten Körper warf, um sie noch ein letztes Mal zu umarmen. Mit brennenden Augen sah er auf ihre Leiche. Ihre Haut war so blass wie Porzellan geworden und ihre Lippen so dünn wie ein Strich. Natsukis smaragdgrüne Augen verloren langsam jeden Hauch von Glanz und der Blick, der schockiert auf ihn gerichtet war, glitt einfach durch ihn hindurch und blickte ins Nichts. "Warte auf mich.", wisperte er, als ihm eine einzelne Träne aus dem Augenwinkel rollte, "Ich komme bald zu dir. Ich muss nur noch mein Versprechen einhalten, dann können wir uns endlich wieder sehen." Seine ganze Welt war auf einem Mal zerbrochen und in alle Einzelteile zertrümmert worden und es war nichts zurück geblieben außer trostlose Einsamkeit. "Warte einfach auf mich." Der Körper in seinen Armen wurde kalt und seine Fingerspitzen taub. Trotzdem brachte er es zu Stande, vorsichtig ihre Augenlider für immer zu schließen und ihr versteinertes Lächeln mit seinem Zeigefinger nachzufahren, bis schließlich auch ihm schwarz vor Augen wurde. Und das war die Nacht, in der er die Liebe seines Lebens verlor.

Kakashi, stirb mit mir.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt