Kapitel 1

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Harry:

„Aus dem Weg, Schwuchtel.", werde ich begrüßt und spüre direkt einen der Spinde in meinem Rücken. „Dir auch einen wundervollen ersten Schultag, Jason.", murmele ich zu mir selbst und gehe weiter zu meinem Spind, wo die nächste Überraschung auf mich wartet. Ein verschimmeltes irgendwas, welches anscheinend die ganzen Ferien dort gelegen und meine Hefte ruiniert hat, welche ich noch nicht mit nach Hause genommen habe. Anscheinend eine schlechte Entscheidung.

Als erstes hole ich ein Taschentuch aus meinem Rucksack und fische mit angehaltener Luft das verschimmelte Essen raus und werfe es in den nächsten Mülleimer. Danach folgt eine Postkarte, welche ich vor drei Jahren von meiner Schwester Gemma zugeschickt bekommen habe, als sie ihre Abschlussfahrt nach Irland hatte. Damals war es noch auszuhalten an dieser Schule. Ich hatte noch Freunde, meine Schwester hier und ich wurde nicht gemobbt. Das hat sich jedoch alles geändert, als ich mich vor knapp zweieinhalb Jahren als schwul geoutet habe.

Es tut weh, die Karte wegschmeißen zu müssen, aber sie ist aufgeweicht und an den Seiten schon ganz gelb. Um eine alte Wasserflasche, welche ich vergessen habe, vor den Ferien mitzunehmen, trauere ich kein Stück, wobei es bei dem kleinen Teddybären schon ganz anders aussieht. Mir auf die Lippe beißend, werfe ich diesen in den Müll und mache ein neues Taschentuch mit etwas Wasser aus meinem Rucksack feucht, um den Metallboden abzuwischen, bevor ich meine Sachen für dieses Schuljahr in den Spind stelle und meinen neuen Stundenplan an die Innenseite der Tür hänge, direkt unter eine handgeschriebene Notiz von einer der Schwestern von meinem Freund. Ja, richtig gehört, ich habe einen Freund, aber wenn andere erfahren würden, dass wir zusammen sind, werde ich wohl nicht mehr hier aufkreuzen können. Dann wäre mein Leben mehr als nur im Arsch.

Leicht lächelnd schließe ich meinen Spind wieder und will mich gerade auf den Weg zur ersten Stunde machen, als ich plötzlich eine Faust in meinem Gesicht spüre, die definitiv nicht dort hingehört. Schmerzerfüllt stöhne ich auf und halte mir den Mund, in welchem ich schon ein wenig Blut schmecke. Noch nie hat ein Schuljahr so gut angefangen, wie heute.

Nachdem Jason und seine ach so coolen Freunde verschwunden sind, verschwinde ich in den Toiletten, um zu gucken, wie schlimm es heute ist. Glücklicherweise werde ich selten geschlagen, weswegen ich mir nur selten irgendeine Ausrede einfallen lassen muss, warum ich mit blauen Flecken oder aufgeplatzten Lippen nach Hause komme. Größtenteils ist das Mobben verbal, weswegen es zu Hause auch kaum angesprochen wird. Ich behalte es lieber für mich, obwohl es vielleicht nicht immer die beste Entscheidung ist. Natürlich ist meiner Mum aufgefallen, dass irgendwas ist, aber bis jetzt habe ich es immer auf den Schulstress geschoben, was immer gut geklappt hat.

Heute ist es zum Glück nur eine kleine Platzwunde, welche ein wenig anschwillt. Die größeren Wunden sind in meiner Mundhöhle, da ich mir aus Schreck auf die Wange gebissen habe. Daher auch das Blut. Nach einem großen Schluck Wasser verlasse ich die Toiletten wieder und gehe durch den leeren Flur zu meinem Klassenzimmer, da ich zu spät bin. Mit zitternder Hand klopfe ich an das braune Holz und öffne nach ein paar Sekunden die Tür, durch welche ich schnell in den gefüllten Klassenraum gehe. Anscheinend kriegen wir heute einen neuen Schüler, welcher gerade vor der ganzen Klasse steht und zu mir schaut, da ich ihn anscheinend unterbrochen habe. „Entschuldigung für die Verspätung.", murmele ich eine schnelle Entschuldigung und setze mich auf einen der freien Plätze weiter hinten im Raum. „Und das am ersten Schultag, das kenne ich gar nicht von dir, Harry.", kommt es enttäuscht von meinem Lehrer, der meine Verspätung direkt ins Kursbuch einträgt. Da diskutieren nichts bringen würde, nicke ich nur und hole einen meiner Blöcke und mein Mäppchen aus meiner Tasche.

Während der Junge sich weiter vorstellt, halte ich den Blick gesenkt und zucke zusammen, als mich von hinten irgendwas am Kopf trifft. Seufzend lege ich den zusammengeknüllten Zettel in die Ecke des Tisches und hebe den Blick, als mein Name genannt wird. Anscheinend soll der Neue sich neben mich setzen. „Ich würde mich nicht neben den setzen.", kommt es ekelhaft lachend von Dylan, einem von Jasons Anhängseln. Schluckend hebe ich den Blick, als sich der Junge trotzdem neben mich setzt und mich vorsichtig anlächelt. „Zayn.", sagt er und holt einen Block aus seiner Tasche. „Harry.", entgegne ich und drehe den Kopf schnell wieder nach vorne, als ich sehe, wie Dylan mich angewidert anschaut.

Maybe I'm just not enough.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt