Kapitel.5

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POV.Kalea

Wer hätte es gedacht – ich lauschte tatsächlich meinem Vater, einer Person, die in den letzten Jahren kaum anwesend gewesen war. Trotz der Freude, ihn endlich zu hören, war ich gleichzeitig wütend. Wütend, weil er nie da war. Wütend, weil er mir so etwas Wichtiges, wie unsere wahre Identität, so lange verschwiegen hatte. Still stand ich vor der Küchentür und hörte seinen tiefen, eindringlichen Worten zu:

„Warum habt ihr es ihr gesagt?", seine Stimme war scharf, aber darunter lag eine deutliche Spur von Sorge. „Die Mafia ist viel zu gefährlich für sie! Eure Mutter hat mich damals gezwungen, sie in meine Geschäfte einzubeziehen, aber das hat sie am Ende das Leben gekostet. Sie wurde erschossen. Ich will doch nur meine Tochter beschützen! Sie ist das letzte Mädchen, das mir geblieben ist, und ich kann es mir nicht leisten, auch sie zu verlieren! Also, wer von euch war die Hohlbirne, die ihr das erzählt hat?"

Sein Tonfall war klar – er erwartete eine Antwort. Noch bevor einer meiner Brüder dazu kam, Jayden zu verraten, entschloss ich mich, die Küche zu betreten. Denn das ging gar nicht – wir hatten einen ungeschriebenen Kodex unter Geschwistern: Wir verraten uns niemals gegenseitig, und schon gar nicht vor unserem Vater. Doch bei meinen Brüdern konnte man nie sicher sein, besonders nicht, wenn Vater Druck ausübte. Um jegliches Risiko zu vermeiden, schritt ich ein und schenkte ihnen allen meinen schärfsten Wagt-es-euch-bloß-nicht-Blick.

Sobald sie mich erblickten, senkten sie schuldbewusst ihre Köpfe und blieben still, als hätten sie die Sprache verloren. Mein Vater stand noch immer mit dem Rücken zu mir, aber als er die plötzliche Stille bemerkte, drehte er sich langsam um. Sein Blick traf meinen, und ich konnte sehen, wie er versuchte, ein Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern – ein Versuch, der kläglich scheiterte. Er wusste ganz genau, dass ich nicht erfreut war und was ihn jetzt erwartete. Ich hatte das Temperament unserer Mutter geerbt, und sie war berüchtigt dafür, die Ruhe vor dem Sturm zu sein – genauso wie ich.

Mit einem leisen, fast bedrohlichen Lächeln ging ich auf ihn zu. Die Spannung im Raum war förmlich greifbar. Ich legte meine Arme um ihn, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und flüsterte ihm leise ins Ohr: „Ich habe dich vermisst, Papa. Aber ich bin sehr enttäuscht von dir."

Dann trat ich zurück, meine Miene behielt den gleichen ruhigen, aber verletzten Ausdruck bei. Ich drehte mich um, griff nach einer Tasse und machte mir einen Tee zum Frühstück. Währenddessen schweifte mein Blick immer wieder zu den Jungs und meinem Vater, und ich sorgte dafür, dass sie mein enttäuschtes, fast trauriges Gesicht sehen konnten. Ich wusste genau, dass das mehr Wirkung haben würde als ein Wutanfall. Ein schlechtes Gewissen war oft die beste Waffe.

Nachdem ich meinen Tee getrunken und gefrühstückt hatte, stand ich auf, strich mein Shirt glatt und sah sie alle mit einem sanften, aber vorwurfsvollen Lächeln an. „Ich werde heute nicht zur Schule gehen", sagte ich liebevoll. „Mir geht es nicht gut." Dann, ohne auf eine Antwort zu warten, drehte ich mich um und verließ die Küche, immer noch in dem Wissen, dass ich meine Aufgabe erfüllt hatte: Sie sollten sich schuldig fühlen.

Auf dem Weg in unser großes Hausbibliothek beschloss ich, mir ein Buch auszusuchen, obwohl ich bisher noch nie eines gelesen hatte. Doch bevor ich den Raum betreten konnte, hielt mich Alejandro plötzlich am Arm fest. Sein Griff war fest, aber nicht grob, und er zog mich in sein Zimmer.

„Ich habe dir gestern eine Frage gestellt", begann er unvermittelt, seine Augen suchten die meinen, forderten eine Antwort.

„Was meinst du?", fragte ich, leicht verwirrt.

„Ob du Lorenzo gesagt hast, dass du unsere Schwester bist", stellte er klar.

Ich seufzte. „Ja, das habe ich. Er hat mich als eure... na ja, als eure Schlampe bezeichnet. Glaubst du wirklich, ich lasse mir das gefallen? So tief bin ich doch nicht gesunken. Außerdem hat er mir sowieso nicht geglaubt, dass ich eure Schwester bin. Schließlich seid ihr acht Brüder – eine einzige Schwester klingt doch für die Außenwelt völlig absurd."

Alejandros Gesichtsausdruck verfinsterte sich schlagartig. „OMG! Was hast du dir dabei gedacht?" Seine Stimme war scharf und durchdringend. „Lorenzo ist nicht irgendwer! Er ist ein..."

Er stockte, rang sichtbar nach Worten. Seine Augen blitzten vor Sorge und Wut.


720 Wörter
Bearbeitet: 19.10.2024

Mein Leben mit 8 BrüdernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt