» Kapitel 94 «

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Connor hatte sich schon einmal um ein zerrüttetes, in Trümmern liegendes Königreich bemüht und würde es nun ein weiteres Mal tun müssen, ein letztes Mal, wie er hoffte.

Es fiel ihm auch Tage nach dem Kampf noch äußerst schwer, aufzustehen, ohne an einem Schwindelanfall zugrunde zu gehen - sehr zum Amüsement eines gewissen Soldaten, der ihm kaum von der Seite wich -, doch es wurde stetig besser. Sobald er sich der Bewegungen seines Körpers wieder vollständig bewusst war, würde er zu seinem Volk sprechen, das sich langsam aber sicher wieder aufbaute. Der Schaden, der aufgrund des Kriegs in Ashbrook entstanden war, belief sich auf eine unvorstellbar hohe Summe, doch gemeinsam würden sie es schaffen, Normalität - sofern es diese in irgendeiner Hinsicht noch gab - einkehren zu lassen. Er seufzte. Wenn er ununterbrochen gedanklich in alle erdenklichen Richtung abdriftete, würde er es niemals vollbringen, eine gute Rede zu schreiben, die er an die tapferen Bürger Ashbrooks richten wollte. Er setzte die Feder wieder an, doch er forderte nichts als Tintenflecken zutage.

»Ich sage nach wie vor, du solltest das in die Hände eines Schriftstellers geben«, riss ihn eine altvertraute Stimme aus seinen düsteren Gedanken. Connor hob den Blick von dem Pergament und maß Amaniel, der sich mit verschränkten Armen an die Wand lehnte und ihn unter gehobenen Augenbrauen betrachtete. Daraufhin zuckte er mit seinen breiten Schultern. »Was denn? Du bist nicht gerade in der Verfassung dazu, eine weltbewegende Rede zu schreiben, oder irre ich mich da deiner Meinung nach etwa?« Der Schalk blitzte in seinen Augen und Connor hatte das Bedürfnis, mit irgendetwas nach ihm zu werfen.

»Wenn du so weitermachst, muss ich dich entlassen«, murmelte er kaum hörbar, doch Amaniels Ohren entging das nicht und er grinste, wenn dies überhaupt möglich war, nur noch breiter.

»Das bringst du nicht übers Herz«, erwiderte dieser und legte sich theatralisch eine Hand auf den unteren Bauch, in dem noch vor ein paar Tagen ein Dolch gesteckt und eine tödliche Wunde verursacht hatte. Hätte Alexandra nicht wieder einmal ihre unglaubliche Heilkraft aufgewendet, wäre er nun lange nicht mehr am Leben. Connors Dankbarkeit kannte keinerlei Grenzen - auch wenn er Amaniel seitdem bereits ein paar Mal eigenhändig hatte erwürgen wollen.

Amaniel - Amaniel wie er wirklich war, ohne den Einfluss des Dämons, der durch das Himmlische Feuer unwiderruflich aus der Welt geschieden war - war mühelos gewitzt und hatte stets ein Lächeln auf den vollen Lippen. Er war frech und draufgängerisch und ehrlich. Er kümmerte sich liebevoll um Connor, obwohl er selbst noch lange nicht ganz gesund war, und gab sich Mühe, seinen Ansprüchen gerecht zu werden - das spürte Connor und er schätzte es sehr.

Und dennoch - in schwachen Momenten, für die er sich im Nachhinein schämte - wünschte Connor sich den Dämon zurück, der ihn so mühelos durchschaut hatte, bei jeder sich bietenden Gelegenheit und der ihm ein Gefühl vermittelt hatte, das er mit hoher Wahrscheinlichkeit niemals wieder fühlen würde. In solchen Momenten, in denen er derartige Gedankenspiele zuließ, hasste er sich mehr als er in Worte zu fassen vermochten.

»Du wirst mir dein ganzes restliches Leben vorhalten, dass du mir auf die heldenhafteste Art das Leben gerettet hast, nicht wahr?«, erwiderte Connor gespielt geschafft und schüttelte den Kopf, um sich von der Last seiner verräterischen Gedanken zu befreien.

»Vielleicht nicht ganz so lange, sicherlich aber eine ganze Weile«, erwiderte Amaniel und trat näher an ihn heran. Sein Haar war etwas länger geworden in der Zeit, die er im Verlies gefangen gehalten wurde und er trug es in einem schwarzen glänzenden Zopf. Ein paar widerspenstige Strähnen hatten sich daraus gelöst und umrandeten sein kantiges Gesicht. Connor sah sich versucht, seine Hand auszustrecken und sich das dicke, kraftvolle Haar um die Finger zu wickeln, doch diese Vertrautheit wollte sich zwischen ihnen noch nicht vollends einstellen. Auch wenn er in Amaniels Augen sah, dass er es sich durchaus wünschte, dass er ihn berührte. Connor aber brachte es nicht über sich, auch wenn er nicht benennen konnte, aus welchem Grund nicht.

REBORN TO RISE (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt