Kapitel 35

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Ich haderte mit mir, als ich am nächsten Morgen - alles andere als ausgeschlafen - aus dem Bett stieg und mich ankleidete, um zu frühstücken. Ich war noch immer absolut nicht bereit dazu, Kaelan unter die Augen zu treten, doch ich hatte nicht gerade eine Wahl. Was ich nun wusste, änderte nichts an der Tatsache, dass ich ihn brauchte, um den Offizier zu besiegen. Ich wusste nur weiterhin nicht, wie ich mit ihm umgehen und ob ich es überhaupt zur Sprache bringen sollte. Entweder er würde wütend werden oder er würde gar nichts sagen und mich stehen lassen, denn das konnte er gut. Vor seinen Problemen weglaufen konnte er sehr gut. Das muss er in der langen Zeit, in der er bereits fälschlicherweise Eiskönig war, perfektioniert haben, dachte ich zynisch. Schließlich straffte ich den Rücken und öffnete die Tür. 

Ich trat auf den Flur hinaus und sah mich zwei Wachen gegenüber, die mich stumm musterten. Daraufhin zog ich die Tür hinter mir ins Schloss und blieb stehen. Prüfend runzelte ich die Stirn. "Kann ich Euch weiterhelfen?" 

Die beiden sahen sich kurz unschlüssig an und schwiegen weiter. 

"Warum steht Ihr vor meinem Gemach? Hat der König Euch abkommandiert?", hakte ich nach. Das war höchst ungewöhnlich. Kaelan hatte noch nie zuvor Soldaten befohlen, vor meiner Tür Wache zu halten. Zumindest nicht so, dass ich es sofort bemerkte. 

Endlich schien sich der jüngere von beiden, der über faszinierend grüne Augen verfügte, ein Herz zu nehmen. "Wir sind nicht auf Geheiß des Königs hier", erklärte er eingeschüchtert und sah mich dabei nicht für einen Moment direkt an. 

"Sondern?" Ich baute mich vor ihm auf, weil ich seine Zurückhaltung erkannte und sie mir zunutze machen würde, um an die verfluchten Informationen zu kommen, die ich mir stets erkämpfen musste, während sie anderen förmlich zufielen. 

"Wir sind neugierig", gestand er sodann und riskierte einen flüchtigen Blick. "Etwas an Euch zieht uns an, wir spüren es alle. Und wir wollen wissen, was es ist." 

"Wovon sprecht Ihr?", wollte ich blinzelnd wissen und strich mir eine Haarsträhne, die sich aus meinem unordentlichen Zopf gelöst hatte, hinters Ohr. "Ich verstehe nicht ganz, worauf Ihr hinauswollt. Was an mir zieht Euch an?"

"Ihr habt etwas an sich, das wir nicht ganz einordnen können. Wir vermuten, dass es sich dabei zu einem großen Teil um die Eismagie handelt, die von König Kaelan auf Euch übergegangen ist. Das ist aber nicht alles." Er schien mit sich zu kämpfen, doch dann kam schließlich der Punkt, auf den offensichtlich zu sprechen kommen wollte. "Ihr zieht uns in Euren Bann, uns, die mit einem Schwur lebenslang an den Eiskönig gebunden sind. Es ist nicht normal, dass wir uns Euren Befehlen unterwerfen, nicht im Geringsten." 

"Ich befehle Euch doch gar nichts", hielt ich irritiert dagegen an. 

"Nein, nicht direkt. Doch schon indirekte Befehle zeigen eine Wirkung. Warum?" 

Der andere Soldat, der noch kein Wort zu unserer seltsamen Konversation beigetragen hatte, öffnete schließlich den Mund. Er hatte einen Vollbart, der aus sich kringelnden silbernen Haaren bestand und ihn wie die klischeehaften Kunstwerke Gottes aussehen ließen. Der Gedanke ließ mich nicht mehr los. Spielten die beiden mir einen Streiche? Das war zu surreal. 

"Er hat recht. Ich war einer der Soldaten, die Euch ohne nachzufragen, in den Schlossgarten vordringen lassen haben. Das ist mehr als ungewöhnlich." 

"Nun", begann ich etwas verunsichert. "Ich weiß nicht, was dem zugrunde liegt, doch ich habe nicht vor, diesen Fakt für mich zu nutzen, also können wir es auch einfach vergessen." 

"Vergessen?", gebärdete er sich. "Seid Ihr wahnsinnig? Niemand spricht über etwas anderes. Wir sind ratlos, wem unsere Loyalität gebührt." 

"Wie bitte?" Ratlos schüttelte ich den Kopf. "Ihr habt einen König, dem Ihr treu ergeben Seid, Herrgott, Ihr habt einen Schwur geleistet. Da kommt Eure Loyalität so schnell ins Wanken?" 

REBORN TO RISE (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt