Prolog

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ES HERRSCHTE DIE dunkelste Stunde im Wald, denn der Mond wurde von Wolken verdeckt und die wenigen Sterne, die man sah, spendeten kein Licht. Im Wald war alles still und finster.

Ein schwarzer Schatten, den man in der Dunkelheit nur erahnen konnte, schlich im hohen Gras umher. Dieser Schatten war ein Kater mit einem Pelz, wie die Nacht und bernsteinfarbenen, fast rotglühenden Augen.

Er war ein Streuner, immer allein und stets auf der Suche. Nie blieb er lange an einem Ort und nur selten sahen ihn andere Katzen. Niemand wusste, wer er war oder was er suchte. Sein Name war jedoch überall bekannt und gefürchtet, obwohl niemand wusste, ob er wirklich so lautete. Die schwarze Schlange nannten sie ihn.

Er war der Mittelpunkt aller Schauergeschichten für unartige Junge und Schüler. In diesen Geschichten hieß es immer, wer nicht artig war und das Gesetz der Krieger nicht befolgte, wurde nachts von der schwarzen Schlange gestohlen. Jedes Junge fürchtete ihn und daher blieben sie nah bei ihren Müttern.

Nun schlich er an einem tiefschwarzen Fluss entlang, verborgen im Schilf. Er war schon lange auf der Reise und es schien, als ob er schon bald sein Ziel erreichen würde. Nur ein Wort kreiste unablässig in seinem Kopf. Rache

Er wollte Vergeltung an denen nehmen, die ihn vor langer Zeit verstoßen hatten. Und der Tag seiner Rache kam unaufhaltsam näher. Noch wusste niemand, dass er auf dem Weg war.

Noch eine Stunde vor der Morgendämmerung erreichte er den Rand eines Waldes. In den Schatten der dichten Fichten und Tannen konnte man bloß einen schleichenden Umriss erkennen und ab und an rot-aufblitzende Augen, die wachsam die Umgebung beobachteten.

Sein Schatten folgte ihm, als er eine Lichtung kreuzte, lautlos und finster, wie sein Besitzer. Am anderen Ende verschwand er wieder.

Der Fluss, dem er noch immer folgte, machte eine Biegung und floss unter einer Zweibeinerbrücke weiter. Die schattenhafte Katzengestalt überquerte diese mit nervös hin und her peitschendem Schwanz und angespanntem Blick.

„Hallo, mein Freund! Ich hätte nicht damit gerechnet, dass du kommen würdest!", nahm ihn eine tiefe Stimme auf der anderen Seite in Empfang. Der schwarze Kater stellte die Ohren auf und zog die Lippen hoch zu einem Fauchen.

„Ich bin nur gekommen, um zu hören, was du mir zu sagen hast und nur damit du das weißt, ich bin nicht dein Freund!", klärte er seinen Gegenüber auf, der aus dem Unterholz gekrochen kam.

Es war ein stattlicher Kater mit ungewöhnlich langen Beinen und einem dunkelbraunen Pelz. Über seinen Nasenrücken zog sich eine lange Narbe und auch an den Kleineren auf der Flanke, konnte man sehen, dass er schon einige Kämpfe hinter sich hatte.

„Schon gut, du musst nicht gleich so unhöflich sein! Ich habe Informationen, die für dich von größter Bedeutung sind!" „Und welche wären das? Nun rück schon deine Informationen raus!", drängte der Schwarze ungeduldig. „Jede Information hat ihren Preis! Was gibst du mir, wenn ich dir gesagt habe, was du wissen möchtest?", fragte der langgliedrige Kater mit einem hinterhältigen Funkeln in den Augen.

„Was willst du von mir haben? Ich wüsste nichts, was ich dir geben könnte!" Der große, braune Kater peitschte mit seinem Schweif das spärliche Gras und wirbelte eine kleine Staubwolke auf. Er machte einen Schritt auf seinen Gegenüber zu, bis sich die beiden Kater Nase an Nase gegenüberstanden. Dann zischte er ihm ins Ohr: „Denk nach! Du weißt genau, was ich von dir will!"

Der Schwarze zuckte vor dem stinkenden Atem zurück und ließ seine Schnurrhaare zucken. Seine Augen weiteten sich und er machte einen Schritt rückwärts. „Nein! Das kann nicht dein Ernst sein!", fauchte er und schlug mit einer Pfote in die Luft.

„Doch du wirst mir nichts verraten, wenn ich nicht zustimme. Richtig?", fragte er mit gesenktem Blick, denn er wagte es nicht, seinem Informanten in die Augen zu schauen. Eigentlich war es vielmehr eine Feststellung, als eine Frage, denn die Antwort war klar. „Na schön!", willigte die schwarze Schlange ein und funkelte den braunen Kater an.

„Komm mit! Ich werde dir zeigen, was ich herausgefunden habe!", miaute er, während er sich umdrehte und im Gebüsch verschwand. Kurz darauf folgte ihm der schwarze Kater.

„Wo führst du mich hin?", wollte der Kater wissen, nachdem er diesem Fremden schon eine Weile durch den Wald gefolgt war. „Das wirst du sehen, wenn wir dort sind! Wir sind bald da! Keine Sorge! Es ist nicht mehr weit!", antwortete dieser mit einem Blick über die Schulter.

Und tatsächlich lichtete sich nach wenigen Schwanzlängen der Wald und die beiden Kater traten auf eine Lichtung. Vor ihnen erstreckte sich ein Steilhang, geformt wie ein Kessel. An der Stelle, an der sie standen, fiel die Wand fast senkrecht in die Tiefe, doch am gegenüberliegenden Ende gab es nur eine geringe Steigung. Auf diesem Weg konnte eine Katze mühelos runter und wieder rauf klettern.

Warum zeigt er mir diesen Kessel? , fragte sich der schwarze Kater, doch dann erkannte er die Antwort schlagartig. Am Grund der kesselartigen Schlucht wuchs ein Dornengebüsch. Es bildete einen schützenden Halbkreis auf der einen Seite und schmiegte sich an die des Steilhangs auf der anderen. Inmitten diesem Kreis aus Dornen war die Erde plattgetreten, kaum Gras wuchs dort. In seinem Zentrum stand ein riesiger Fels, der wie eine Schnauze in den Himmel ragte. Wenn man ganz genau hinsah, konnte man einen dunklen, kreisförmigen Fleck erkennen, höchstwahrscheinlich eine Höhle. Außerdem lag noch ein umgekippter Baumstamm am Rande der natürlichen Ginsterbarriere und eine Brombeerhecke schmiegte sich an die steilste Stelle der Felswand.

„Wie hast du es gefunden?", wollte der Schwarze wissen. Der Langbeinige antwortete gelassen: „Ich habe meine Quellen! Mehr kann ich dir dazu nicht sagen!"

Der schwarze Kater ließ ein furchterregendes Knurren hören, doch er griff nicht an, denn er konnte es sich nicht leisten seinen Informanten zu verlieren, auch wenn dieser ein übertriebener Wichtigtuer war. „Na gut!", knurrte er schließlich: „Wir treffen uns morgen Nacht wieder hier und dann reden wir weiter übers Geschäft! Verstanden?" „Ja, verstanden!", willigte dieser ein und verschwand mit hochgerecktem Schwanz in den Schatten.

Es dauert nicht mehr lange und dann werde ich mich an allen rächen! Ich werde jeder Generation von Katzen, die das Blut desjenigen in sich tragen, der mich vertrieben hat, das Leben schwer machen. Das schwor sich die schwarze Schlange, während er noch ein letztes Mal auf den Felsen hinunter sah, bevor er ebenfalls im Wald verschwand.

Warrior Cats - Düstere SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt