Kai
Am Tag der Abreise wachte ich bereits um halb sieben auf und rieb mir die Augen, während ich zu Mats rübersah. Er schlief noch tief und fest. Ich drehte mich auf die andere Seite und schloss die Augen, um noch ein paar Minuten Schlaf zu bekommen. Um 8:30 Uhr holte mich der Wecker zurück ins Leben, Zeit für Frühstück. Mats war bereits aufgestanden und ich hörte die Dusche rauschen. Vor dem Spiegel putzte ich mir kurz die Zähne und versuchte meine widerspenstigen Haare wenigstens ein bisschen zu bändigen. Dann brüllte ich in Richtung Bad: „Ich geh schonmal runter okay?" „JA", kam als Antwort zurück.
Im Speisesaal war bereits einiges los und ich suchte nach Jule. Er war noch nicht da (was ein Wunder) weshalb ich zu einem Tisch am Fenster ging, wo bereits Bernd Platz genommen hatte. Wir quatschten ein bisschen über dies und das und ich merkte mal wieder, was für ein herzensguter Mensch er war. Plötzlich tippte mir jemand auf die Schulter. Ich drehte mich um und erblickte Timo. „Hi", begrüßte ich ihn. „Heyy, ist neben dir noch frei?" „Leider nicht aber setz dich doch neben Bernd", meinte ich und sah ihn entschuldigend an. Er hatte in London ein bisschen die Rolle meines besten Freundes eingenommen aber wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich immer Julian wählen. Ich sah zum Eingang. In diesem Moment kam besagter bester Freund gemeinsam mit Emre hereinspaziert. Na endlich. Er trug einen schwarzen Kapuzenpullover und seine blonden Haare standen in alle Richtungen ab. Er sah sich suchend im Raum um, entdeckte mich schließlich und grinste breit. Wow. Wenn man Julian Brandt vor 10:30 zum Lächeln bringen konnte, hatte man alles im Leben erreicht.
Ich grinste ebenfalls während er auf mich zu kam und klopfte auf die Stuhllehne des Stuhls neben mir. „Mein linker linker Platz ist frei, da wünsch ich mir meine Tomate herbei", rief ich ihm zu. Er lachte und wuschelte mir zur Begrüßung durch die Haare. Dann setzte er sich neben mich und ich beugte mich zu ihm: „Kannst du das von gestern Abend nochmal machen?", fragte ich und sah ihn bettelnd an. Er schaute verwirrt zurück. „Das mit den Haaren", half ich ihm auf die Sprünge. Grinsend schüttelte er den Kopf. „Nicht wenn Sie solche Sprüche bringen, Herr Havertz."Nach dem Frühstück gingen wir auf unsere Zimmer um Koffer zu packen. Mats legte seine Klamotten extra nochmal zusammen und stapelte sie ordentlich aufeinander, während ich meine Sachen einfach in meinen Koffer stopfte. Es war mittlerweile 11:15 Uhr weshalb wir uns jetzt unbedingt in Richtung Mannschaftsbus begeben sollten. Mit unseren Koffern im Schlepptau machten wir uns auf den Weg nach draußen, gaben unsere Koffer am Bus angekommen ab und stiegen ein. Ich suchte unwillkürlich direkt die Plätze nach blonden, verwuschelten Haaren ab und entdeckte sie schließlich in einer der letzten Reihen. Bei Jule angekommen sah ich, dass auf seiner einen Seite bereits Marco saß. Die beiden waren in ein Gespräch vertieft, redeten leise sodass niemand etwas verstehen konnte und sahen ernst aus. Ich räusperte mich und beide schauten erschrocken zu mir. Um die Situation zu lockern sagte ich scherzhaft: „Keine Sorge, ich will keine Fahrkarten sehen, ich brauch nur einen Sitzplatz."
Julian murmelte: „Setz dich", und sah Marco dann mahnend an. Hä? Was war denn bei denen los? Ich wollte gerade nachfragen weil ich Geheimniskrämerei echt nicht ausstehen konnte, doch in diesem Moment ertönte Hansis Stimme durch die Lautsprecher: „Guten Morgen, alle zusammen. Wir fahren jetzt wie ihr bereits wisst zum Flughafen. Dort habt ihr dann Zeit, euch in Ruhe von euren Familien zu verabschieden bevor wir uns um 14:00 beim Check-in treffen." Nach seiner kurzen Ansprache stieg die Lautstärke im Bus wieder. Die Aufregung wegen der WM war deutlich spürbar und ich ballte vor lauter Vorfreude kurz die Hände zusammen. Dann sah ich zu Julian, der mir auffordernd einen seiner Kopfhörer entgegenhielt. Ich steckte ihn mir ins Ohr und so hörten wir die gesamte Fahrt über gemeinsam Musik. Eins musste man Jule lassen: Er hatte wirklich einen hervorragenden Musikgeschmack.Nach etwa zwei Stunden Fahrt erreichten wir den Flughafen in Hannover und stiegen aus dem Bus. Wir nahmen unsere Koffer entgegen und machten uns auf den Weg ins Innere des Flughafens. Es wurde extra ein ganzer Terminal für die Nationalmannschaft geräumt und hinter den Absperrseilen und der Security beobachtete eine riesige Menschenmenge unsere Ankunft. Wir gingen durch die große Eingangstür und erblickten dahinter unsere Familien. Ich entdeckte meine Eltern und meine Geschwister, die sich mit Timos Familie zusammengestellt hatten. Schnell lief ich auf sie zu und umarmte als erstes meine Mutter. Sie flüsterte mir ins Ohr: „Ich hab dich so vermisst, mein Schatz."
Ich drückte sie fester. Anschließend begrüßte ich meinen Vater. Er war streng aber mit einem weichen Herz und ich wusste, wie stolz er auf mich war. Meinen Bruder Jan begrüßte ich mit einem Handschlag, wir hatten noch nie eine sonderlich enge Bindung gehabt. Lea, meine Schwester, umarmte ich ebenfalls. Dann bat ich meine Familie, kurz zu warten, weil ich auch Julians Eltern begrüßen wollte. Ich hatte mich mit Heike und Jürgen schon immer ziemlich gut verstanden, sie waren total herzliche und liebenswerte Menschen. Heike kam mit offenen Armen und einem Strahlen im Gesicht auf mich zu. Ich schloss sie lächelnd in meine Arme. Wir lösten uns und sie nahm mein Gesicht in die Hände: „Mein Gott, bist du groß geworden! Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen? Ich glaube es war vor zwei Jahren.. oder nein, es sind glaube ich sogar drei... Naja egal, ich bin so froh dich zu sehen und.."
Ihr Mann unterbrach ihren Redefluss indem er sie vorsichtig zur Seite schob, mich umarmte und mir mehrmals väterlich auf den Rücken klopfte. Ich hatte die beiden so vermisst. Neben Jules Eltern standen seine beiden Brüder, die ich mit Handschlägen begrüßte. Danach sah ich zu Julian, neben dem eine blonde junge Frau stand. Das war dann wohl Luise. Mein Blick wanderte zu ihren Händen die miteinander verschlungen waren und komischerweise gefiel mir das gar nicht. Ich hatte einen Kloß im Hals als ich widerwillig auf sie zuging, um mich vorzustellen. Vor ihr angekommen, streckte ich ihr meine Hand entgegen. „Hey, ich bin Kai, Julians bester Freund." Um meine Hand zu schütteln, musste sie ihre aus Julians lösen, was mir blöderweise gefiel. „Freut mich. Ich bin Luise, seine Freundin. Was du vermutlich schon weißt", sagte sie und lächelte mich an. Ich nickte kurz und stellte mich dann neben Jule. Ich spürte seinen Blick auf mir doch konnte und wollte ihn nicht erwidern. Meine Familie gesellte sich zu uns und alle unterhielten sich miteinander. Ich tat interessiert und nickte immer wieder zustimmend, obwohl ich gar nicht richtig zuhörte. Stattdessen wanderte mein Blick zu Luise. Sie war zweifellos hübsch, hatte ein ebenmäßiges, gepflegtes Gesicht und weich aussehende blonde Haare, die ihr über die Schultern fielen. Doch irgendetwas an ihr gefiel mir ganz und gar nicht. War ich etwa eifersüchtig? Verdammt. Sie war seit zwei Jahren Jules Freundin und ich als sein bester Freund sollte mich einfach für ihn freuen. Ich atmete tief durch und versuchte, von dem Thema wegzukommen. Ich wandte mich an die Runde: „Wir müssen leider gleich zum Check-in", und sah meine Eltern entschuldigend an. Jule und ich verabschiedeten uns von allen und bekamen ungefähr tausend Mal „Viel Glück" gewünscht. Dann machten wir uns gemeinsam auf den Weg zu unseren Kollegen. Während wir nebeneinander herliefen sah Julian mich sorgenvoll an. „Warum hab ich das Gefühl, dass du Luise nicht magst?"
Shit. Jetzt fühlte mein bester Freund sich schlecht, weil ich irgendwelche komischen Stimmungsschwankungen hatte, die ich selbst nicht genau verstand. „Tut mir leid, ich will nur sichergehen, dass sie die richtige für dich ist", brachte ich eine dumme Ausrede, die er absolut nicht verdient hatte. Er nickte skeptisch und murmelte: „Ich denke schon, schließlich sind wir schon recht lange zusammen." Dann meinte er zuversichtlich: „Wenn ihr euch besser kennenlernt, werdet ihr euch super verstehen."
Das hoffte ich.
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Stargazing
FanfictionJule & Kai sehen sich nach zwei Jahren bei der WM 2022 wieder. Anfangs wissen sie es noch nicht, doch dieses Turnier wird alles verändern...