4. Kapitel

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Jule
Müde öffnete ich meine verklebten Augen, als der Wecker laut und schrill piepste. Im Bett neben mir streckte Emre sich und gähnte herzhaft. Ich schloss die Augen und hoffte, dass das hier nur ein Traum war. Ich hasste es, früh aufzustehen und 8 Uhr morgens war wirklich wahnsinnig früh. Als ich gerade wieder auf dem Weg ins Jenseits war, wurde mir plötzlich die Decke weggezogen. „Heeeyy was soll das", beschwerte ich mich genervt. Emre lachte: „Aufstehen du Murmeltier! Oder willst du das Frühstück verpassen?"
Nachdem ich mich in Zeitlupentempo fertiggemacht hatte, verließen wir das Zimmer. Auf dem Flur herrschte absolute Stille, genau wie im Essensraum, wo bis auf die Köche noch niemand war. Na toll, wir waren die ersten. „Ich hätte noch eine halbe Stunde schlafen können", brummte ich unzufrieden und sah Emre vorwurfsvoll an. Er grinste und klatschte in die Hände: „Aber jetzt haben wir freie Platzwahl und kriegen am meisten Essen!" Müde folgte ich ihm zum Buffet. Wie konnte man um diese Uhrzeit bitte so gut drauf sein? Am Tisch schaufelte ich - wieder in Zeitlupe - das Müsli in mich hinein und hörte Emre nur halb zu, der davon schwärmte, was wir wohl in den nächsten Tagen alles machen würden und dass wir die WM gewinnen würden und dass er froh war wieder hier zu sein und und und...
Mit der Zeit füllte sich der Raum und es wurde lauter. Fast unerträglich für mein empfindliches Gehör am Morgen oh man. An unserem Tisch saßen mittlerweile Marco, Marius, Timo, Jonathan und Bernd und nur ein Platz war noch frei. Wo Kai sich wohl so herumtrieb? Ich schnaubte belustigt. Der ganze Tisch war auf einmal still. Marco sah mich mit großen Augen an: „Es kann Geräusche machen?", fragte er ungläubig. „Es kann lachen?" Ich zeigte ihm den Mittelfinger, als auf einmal eine Hand durch meine Haare wuschelte. „Guten Morgen, Schlafmütze." Im nächsten Moment ließ sich Kai auf den Stuhl neben mich fallen und begrüßte gut gelaunt die anderen. Noch so ein Frühaufsteher.. Wahrscheinlich war er heute schon joggen und duschen gewesen und hatte nebenbei noch drei Anrufe gemacht und vielleicht hatte er auch schon in der Küche geholfen, wer wusste das schon. Am Tischgespräch beteiligte ich mich selbstverständlich nicht, was die anderen zum Glück nicht störte. Als wir gerade aufstehen wollten, ertönte eine laute Stimme durch den Raum: „Guten Morgen alle zusammen! Ich möchte euch nur kurz sagen, was heute und in den nächsten Tagen ansteht." Hansi erklärte alles ( es war sehr, sehr viel) und kam dann noch zu jedem einzelnen, um besondere Termine zu besprechen. Ich zum Beispiel würde um 11 Uhr zusammen mit Jamal Musiala eine Pressekonferenz haben.
Diese ging glücklicherweise recht schnell und mir wurden hauptsächlich Fragen dazu gestellt, ob ich froh war, dabei sein zu dürfen und was ich vom Kader hielt. Jamal und ich verließen gemeinsam den Presseraum und lachten, als Marco uns mit hochrotem Kopf entgegenkam. „Ich muss unbedingt den Trainingsraum finden, ich hab da ein Einzeltraining!" rief er verzweifelt. „Ganz ruhig Marco, ich weiß wo es langgeht.", beruhigte ich ihn schmunzelnd. Dankbar lächelte er mich an, und ich zeigte ihm den Weg. Danach hatte ich etwa eine Stunde Pause, die ich in meinem tollen Bett verbrachte, Emre war bei der Physio und Kai hatte irgendein Interview. Wir hatten immernoch keine wirkliche Gelegenheit zum Reden gehabt und morgens war ich einfach kein besonders guter Gesprächspartner, nicht mal bei Kai. Er schien sich über die letzten Jahre kaum verändert zu haben, sah immer noch zugegebenermaßen ziemlich gut aus und konnte mich zum Lachen bringen. Zur Zeit waren wir beide noch ein wenig unsicher, wie wir miteinander umgehen sollten, oder zumindest ich. Aber das würde sich in den nächsten Tagen sicherlich einpendeln. Ich hatte ihn so vermisst. Mit diesem Gedanken schlief ich ein.
Wieder war es ein sehr gemeiner Emre, der mich zurück in die Realität brachte, indem er seine Musikbox voll aufdrehte. Ich zeigte ihm einen Vogel während ich mich aufrichtete. „Ich hab dich auch lieb Julee" , rief er aufgedreht und hüpfte aus dem Zimmer. Seufzend folgte ich ihm und begegnete Kai auf dem Flur. Mit einem belustigten Blick in Richtung Emre meinte er: „Ich glaube ich kann mit meinem Zimmerpartner echt zufrieden sein." Ich lachte: „Eigentlich lieben wir uns ja. Nur dann nicht, wenn er mich zu Unzeiten aus dem Bett wirft." Kai lachte ebenfalls: „In Katar teilen wir beide uns ein Zimmer, dafür sorg ich dann schon." Gemeinsam betraten wir den Essensraum. Es gab eine Suppe von der niemand genau sagen konnte, was eigentlich drin war. Es schmeckte uns allen aber gar nicht so schlecht, allen außer Kai. Seine Suppe musste ich essen, nachdem er wie ein kleines Kind darum gebettelt hatte.
Am Nachmittag stand das erste große Mannschaftstrainung an, welches auf dem großen Trainingsgelände ein paar Straßen vom Hotel entfernt stattfinden würde. Das Wetter in Hamburg war mal wieder absolut traumhaft - es war neblig, kalt und es nieselte. Das konnte meine gute Laune aber nicht trüben; ich würde endlich wieder mit der Mannschaft auf dem Platz sein, mit all meinen Freunden. Gemeinsam mit Marius lief ich auf den riesigen Platz. Ich hatte mir vorgenommen, ihn in seinen ersten Tagen hier so gut es ging zu unterstützen, da es schließlich sein erstes Mal hier war. Außerdem waren wir bei Dortmund richtig gute Freunde geworden und unternahmen auch privat viel. „Ist dir schonmal aufgefallen, das Leben rückwärts Nebel heißt? Vielleicht blicken wir deshalb manchmal nicht so gut durch!", kam in diesem Moment ein schlauer Spruch von Marius. Ich lachte und tippte mir gegen die Stirn. „Also ich weiß ja nicht wie es dir im Leben geht, aber ich blicke super durch!", gab ich zurück. „Julian Brandt und super durchblicken? Das wäre ja wie gutes Wetter in Hamburg", rief Leon von hinten. Wir lachten. Wann hatte ich nochmal gesagt dass ich diesen Haufen Idioten vermisst hatte?
Wir kamen bei unseren restlichen Mitspielern an, die sich schon im Kreis aufgestellt hatten und ich stellte mich zwischen Kai und Marius. Hansi hielt eine kurze Ansprache ehe wir mit dem Aufwärmen begannen. Danach machten wir Dehnübungen zu zweit, die ich anfangs mit Marius absolvierte, doch nach den ersten drei Übungen kam ein etwas eifersüchtig wirkender Kai zu uns und forderte: „Ich mach jetzt was mit meinem Juli!" Marius hatte nichts dagegen und so hielt ich kurz darauf Kais Hände in meinen. „Wir sind doch kein Paar, du Honk", flüsterte ich ihm belustigt zu. „Selber Honk" gab er zurück und lehnte sich nach vorne, um sein Bein nach hinten zu strecken. Dadurch waren sich unsere Gesichter ziemlich nah und wir lieferten uns Blickduelle, während wir die Übungen absolvierten. Jap, ich hatte es vermisst.
Etwas später kamen endlich die Bälle ins Spiel. Wir spielten gemischtes Passspiel und jedes Mal, wenn Kai und ich uns begegneten, führten wir unser Gespräch fort: „Ich hab ne Freundin", rufe ich ihm zu. Dann ein Ballaustausch mit Thomas und anschließend mit Joshua. Dann wieder Kai: „Wie heißt sie?" Wieder einige Pässe. Dann: „Luise." Eine geschickte Drehung zwischen Mats und Jamal. Ein Pass zu Marco, einer zu Emre. Wieder Kai: „Ich hab mich von Sophia getrennt."
Diese Aussage ließ mich meinen schnellen Lauf unterbrechen. „Was?" Auch Kai war stehengeblieben. „Es hat nicht mehr gepasst", murmelte er und zuckte mit den Schultern. „Scheiße Mann, wieso hast du dich nicht gemeldet?", fragte ich entsetzt. Ehe er mir antworten konnte, rief Hansi: „Julian, Kai! Weitermachen!"
Wir mussten wohl oder übel weiterspielen, aber dieses Gespräch war definitiv noch nicht beendet.
Wir konnten erst nach dem Training reden, weil Hansi uns wirklich hart drannahm und kaum zu Atem kommen ließ. Als wir dann endlich vom Platz gingen, legte ich Kai einen Arm um die Schultern und fragte: „Wie geht's dir mit der Trennung?" „Eigentlich ganz okay, ist ja schließlich schon zwei Monate her.", sagte er und lächelte unsicher. Ich sah ihn vorwurfsvoll an: „Du hättest mich wirklich anrufen sollen! Ich wäre sofort zu dir geflogen." „Ich weiß Jule, aber ich war mir einfach unsicher, ob wir überhaupt noch befreundet sind. Können wir bitte das Thema wechseln?", fragte er etwas genervt. Mein Arm rutschte von seiner Schulter. „Denkst du wirklich so von mir? Denkst du, du wärst mir in den letzten Jahren egal gewesen? Denkst du, ich hätte dich vergessen?", fragte ich ihn enttäuscht und blieb stehen. „Keine Ahnung", murmelte er und sah mich ausdruckslos an. Dann ließ er mich einfach im Regen stehen.

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Sorry, dass es so lange gedauert hat, bis das Kapitel da ist. Und dann auch noch so ein blöder Streit hier, Mensch. Hoffentlich wird das im nächsten Kapitel wieder gut :(

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