7. Kapitel

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Kai
Ich joggte über den verlassenen Platz und atmete keuchend aus. Uns war es nicht erlaubt das Trainingsgelände zu verlassen weshalb ich jetzt auf dem Fußballplatz meine morgentliche Joggingrunde absolvierte. Ich hatte überlegt, Jule zu fragen ob er mitkommen wollte, aber erstens war er absolut kein Morgenmensch und außerdem war ich mir nicht sicher, was mit ihm los war. Gestern am Klavier hatte ich ihn danach gefragt, doch er wollte mir nichts erzählen. Ich würde ihn heute auf jeden Fall nochmal darauf ansprechen und nicht locker lassen. Während ich Runde um Runde lief spürte ich, wie meine Muskeln sich lockerten und mein Körper sich erhitzte. Es gab kaum ein besseres Gefühl auf der Welt.
Nach etwa einer Stunde kehrte ich zum Mannschaftshotel zurück. Es war gerade einmal halb acht weshalb mindestens die Hälfte der Mannschaft noch fest am Schlafen war. Ich hatte somit noch über eine Stunde Zeit und beschloss, in die Sauna zu gehen.
Ich schlich mich in mein Zimmer, in dem Mats noch tief und fest schlief, um mir ein Handtuch zu holen. Wenig später betrat ich die Sauna, wo mir sofort warme, feuchte Luft entgegenkam. Ich sah eine Person, die am Ende der Bank saß. Marco. Er lächelte: „Der frühe Vogel fängt den Wurm." „So ist es", antwortete ich schmunzelnd und setzte mich neben ihn auf die Bank. Eine Weile herrschte Stille ehe ich einen vorsichtigen Blick zu ihm warf. Er sah mich direkt an. „Ich weiß dass du was auf dem Herzen hast, also schieß los", meinte er auffordernd. Ich seufzte und begann zögerlich: „Es ist nur so dass es zwischen mir und Jule zur Zeit komisch ist. An sich verstehen wir uns genauso gut wie früher aber gestern ging es ihm wegen irgendetwas eindeutig nicht gut und er wollte mir nichts sagen." Ich fuhr mir mit gesenktem Kopf durch die Haare ehe ich zu Marco sah. „Es war für ihn nicht leicht, dich nicht mehr um sich zu haben. Ich weiß nicht wie oft ich ihn dabei erwischt habe, wie er durch dein Insta scrollte und dabei aussah als hätten wir in der ganzen Saison noch kein einziges Mal gewonnen. Und er war echt eifersüchtig auf Timo und diesen Mount.", versuchte Marco zu erklären. „Was glaubst du, wie es mir ging?", gab ich aufgebracht zurück. „Er findet tausend neue beste Freunde und hört irgendwann sogar auf, mir zu schreiben. Ich hab monatelang nichts von ihm gehört!" „Er hat dich zu keinem Zeitpunkt vergessen, glaub mir", versuchte Marco mich zu besänftigen. Ich schüttelte verzweifelt den Kopf: „Das hat sich ganz anders angefühlt. Außerdem hat er gar kein Recht, eifersüchtig auf irgendwen in meinem Leben zu sein, schließlich hat er mich damals verlassen." Marco legte vorsichtig eine Hand auf meinen Arm. „Er hat das bereut. Kurz nach seiner Ankunft in Dortmund hat er mir sein Herz ausgeschüttet und war sich total unsicher, ob das die richtige Entscheidung war. Deshalb waren seine ersten Jahre bei uns auch so durchwachsen. Sein Herz war immer noch bei dir, bei Leverkusen. Erst jetzt ist er endlich angekommen und glücklich beim Bvb. Und sorry, aber ich lasse nicht zu, dass du das zerstörst. Er hat lange genug gelitten."
Langsam machte sich Verständnis in mir breit. Die Wunden, die die getrennte Zeit von ihm bei mir hinterlassen hatte, waren zwar noch nicht verheilt doch ich konnte Jule jetzt besser verstehen. Ich nickte langsam. „Danke Marco." Er zog seinen imaginären Hut vor mir und meinte: „Stets zu Diensten. Ich hoffe ihr findet jetzt endlich wieder zueinander." Dann sah er mich ernst an. „Aber falls du Julian wehtust, bekommst du es mit mir zu tun. Er verdient nur das Allerbeste."
Wärme machte sich in mir breit. Ich wusste es sehr zu schätzen, dass Marco so auf Jule aufpasste. „Hab's verstanden", gab ich zurück und lächelte.
Wir verließen gemeinsam die Sauna und machten uns auf den Weg in den Speisesaal. In der Schlange am Buffet entdeckte ich den liebenswertesten Blondschopf der Welt und ohne mich mit Marco absprechen zu müssen, machten wir beide uns direkt auf den Weg zu ihm. Er bemerkte uns erst, als Marco ihm auf die Schulter tippte. Langsam drehte er sich um und sah uns misstrauisch an: „Was führt ihr im Schilde?" Dieser alte Morgenmuffel.
„Ihnen auch einen schönen guten Morgen, Herr Brandt", gab Marco freundlich lächelnd zurück. Jule wollte gerade zu einer Antwort ansetzen als ich ihm die Hände auf die Schultern legte. „Julian." Und dann fing ich an, ihm alles zu erzählen, darüber wie es mir in den letzten zwei Jahren gegangen war, dass es mir leidtat, wie alles gelaufen war, dass ich ihn unfassbar vermisst hatte und dass er verdammt nochmal mein einziger bester Freund war und sich das gefälligst endlich mal merken sollte. Yap, ziemlich genau das war meine Wortwahl.
Als ich meine Rede beendet hatte, starrte er mich sprachlos an. Im Saal war es still geworden und alle warteten gespannt, was als nächstes passieren würde, es war fast wie im Kino. Als Jule immer noch nichts tat, außer mich anzusehen wurde ich langsam unruhig. War ihm diese „Liebeserklärung" zu viel des Guten? Doch dann fiel er mir in die Arme und alle im Raum atmeten erleichtert aus, mir eingeschlossen. Während wir uns in den Armen lagen, rief Thomas laut: „Bravertz forever!", und fing an zu applaudieren. Die anderen stimmten mit ein. Wir lösten uns voneinander und Jule hielt mir die Hand hin. „Beste Freunde?",fragte er. „Beste Freunde", murmelte ich und schlug ein.

Der Rest des Frühstücks verlief wie immer bis darauf, dass zwischen Jule und mir endlich alles geklärt war und es wieder genau wie früher zwischen uns war. Sogar Hansi kam vorbei und bedankte sich bei uns dafür dass „endlich wieder gute Stimmung in der Mannschaft ist". Ich schwöre, es ging mir noch nie so gut wie an diesem Morgen.
Am Nachmittag trafen wir alle uns auf dem Trainingsplatz zum großen Mannschaftstraining. Nach den langweiligen Aufwärmübungen machten wir endlich richtige Einheiten und traten in kleineren Teams gegeneinander an. Jule und ich spielten gegeneinander und im direkten Duell bemerkte ich, wie gut er geworden war. Er bewegte sich flüssig, selbstbewusst und so schnell, dass ich irgendwann gar nicht mehr hinterherkam. Als er mich tunnelte seufzte ich und rief: „Gibs zu Jule, du trainierst heimlich!" „Jede Nacht", gab er mit einem Augenzwinkern zurück, ehe er bereits wieder losspurtete. Ich grinste und rannte ihm hinterher um ihm zu beweisen, dass auch ich den ein oder anderen Trick auf Lager hatte. Julians Mannschaft gewann ganz knapp. Ich gratulierte ihm zum Sieg und sagte: „Du Maschine. Das wird so geil bei der WM."
Er strahlte. „Ich kanns kaum erwarten."
Während dem wilden Spiel hatten wir gar nicht bemerkt, dass es angefangen hatte, zu schneien. Der erste Schnee in diesem Jahr.
Wir machten eine kurze Pause und Jule blieb mitten auf dem Platz stehen und versuchte, mit der Zunge eine Schneeflocke aufzufangen. Als er eine erwischte, drehte er sich zu mir um und lächelte mich stolz an. Ich wusste nicht wie mir geschah. Aber als sich das Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete, sein Grübchen sichtbar wurde und sich Lachfältchen um seine Augen bildeten während ihm die blonden Haare nass auf der Stirn klebten, veränderte sich etwas bei mir. Eine innere Wärme erfasste mich und mein Herz schlug unwillkürlich schneller während ich machtlos war gegen das Lächeln, welches sich auf meinem Gesicht ausbreitete, als ich den Mann vor mir ansah.

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Heute ein etwas kürzeres Kapitel, ich hoffe es gefällt euch trotzdem :) Nur noch eine Woche bis Weihnachten...🎄

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