Jule
Verdattert starrte ich auf die Tür, die soeben ins Schloss gefallen war. Was war das denn gewesen? Als ich Kai von meiner Sicht der Dinge erzählt hatte war ich der festen Überzeugung gewesen, er würde es genauso sehen. Dass wir einfach wieder befreundet wären, genau wie vor dem Kuss. Doch stattdessen gestand er mir, etwas empfunden zu haben und eine Beziehung mit mir eingehen zu wollen. Eine heimliche.
Es war doch total klar, dass uns das auf Dauer zerstören würde. Wer wollte denn bitte seinen Partner vor der Welt verstecken?
Je länger ich darüber nachdachte, umso wütender wurde ich auf Kai. War ihm überhaupt klar, was er da verlangte?
Ich erhob mich vom Bett, um ins Bad zu gehen. Kai würde mein Angebot annehmen müssen, nur Freunde zu bleiben oder wir würden in Zukunft nicht mal das mehr sein.
Meine Karriere lief endlich bergauf und das würde ich mir nicht nehmen lassen. Während ich Zähne putzte, wanderten meine Gedanken weiter zu Luise. Gestern beim Telefonat hatte ich ihr von allem erzählt, was zwischen Kai und mir passiert war und sie gefragt, ob sie mir verzeihen könnte. Sie hatte geschrien und viel geweint bevor sie mir kalt gesagt hatte, dass es mit uns aus war. Schmerz durchfuhr mich. Wir hatten zwei schöne Jahre miteinander gehabt und jetzt beendete sie es. Einerseits konnte ich sie verstehen und trotzdem hatte ich irgendwie gehofft, sie würde mir diesen kleinen Fehltritt vergeben. Ihre Worte hallten noch immer in meinem Kopf wieder: „Du Schwuchtel, ich will dich nie wieder sehen!"
Genervt verscheuchte ich den Gedanken und streifte mir einen Pullover über, um zum Frühstück zu gehen.
Ich lief über die breiten Treppen des Hotels nach unten und betrat den Speisesaal. Sofort suchte ich den Raum nach einer bestimmten Person ab, doch Kai war zum Glück nicht da. Auch sonst saßen nur wenige meiner Mitspieler schon an den Tischen und ich ging zu Marco, der weiter hinten Platz genommen hatte.
Anstatt mich auf einen der Stühle zu setzen, stellte ich mich neben seinen. Eigentlich wollte ich ihn nicht schon wieder mit meinen Problemen vollheulen, aber gerade ging es einfach nicht anders. Marco wollte mich gerade fröhlich begrüßen als er die Tränen bemerkte, die in meinen Augen glänzten. Er sprang auf und umarmte mich. Ich vergrub meinen Kopf an seiner Schulter und ließ den Tränen freien Lauf. Währenddessen spürte ich die Blicke unserer Mitspieler auf uns und Marco führte mich vorsichtig aus dem Raum, damit wir unsere Ruhe hatten.
Wir gingen auf Marcos Zimmer, welches er sich mit Mats teilte und Marco setzte mich aufs Bett und kniete sich vor mich. Sanft strich er über meine Wange und fragte vorsichtig: „Willst du reden?"
Ich wischte mir die Tränen weg und nickte dann. Stockend erzählte ich ihm alles, was gestern passiert war und sein Gesichtsausdruck wechselte von mitfühlend zu wütend und wieder zurück. Als ich endete, war es kurz still im Raum. Dann griff Marco nach meiner Hand und murmelte ungläubig: „Und ich hatte Kai gesagt er darf dich nicht verletzen... Ich glaube, ich muss ihm noch einen Besuch abstatten." Bitte was? Schnell schüttelte ich den Kopf.
„Nein Marco, ich muss das mit ihm selbst klären." „Na gut.. Aber wenn du dabei Hilfe brauchst, sag Bescheid", meinte er angespannt und ballte seine freie Hand zur Faust. „Was Luise angeht, vergiss sie bitte so schnell wie möglich. Sie hat dich überhaupt nicht verdient!"
„Aber ich hab sie betrogen..."
„Wer dich als Schwuchtel bezeichnet, verdient dich nicht. Punkt", fauchte Marco und sah mir fest in die Augen. Ich nickte unsicher.
Eine Weile blieb ich noch bei Marco bevor wir zum Mannschaftstraining mussten. Morgen war das erste Spiel der Gruppenphase, welches ich nach all dem Drama komplett vergessen hatte. Es war Zeit, mich endgültig auf die Wm zu konzentrieren.
Ich ging auf Kais und mein Zimmer welches zum Glück leer war und zog die Trainingsklamotten an.Das Trainingsgelände, welches uns während der WM zur Verfügung stand war riesengroß und die Sonne war so hell, dass ich mir eine Hand über die Augen halten musste. Die Hitze ließ die Luft flimmern und ich schwitzte schon, bevor das Training überhaupt begonnen hatte. Es würde definitiv anstrengend werden. Nach und nach trafen meine Kollegen ebenfalls ein, und als einer der letzten betrat Kai den Platz. Er sah mich nicht an sondern lief an mir vorbei und stellte sich im Kreis so weit weg von mir wie möglich.
Aha. Wir ignorierten uns jetzt also. Wahrscheinlich wartete er darauf, dass ich zu ihm kam und seiner naiven Idee von einer heimlichen Beziehung zustimmte. Da konnte er lange warten.
Hansi hielt eine kurze Ansprache und gab uns einen Überblick darüber, was wir heute alles im Training machen würden. Als erstes fingen wir an, in Zweierteams Passübungen zu machen. Marco ging sofort zu mir und ich war ihm nicht zum ersten Mal dankbar für seine Loyalität. Er war ein toller Freund. Genau das sagte ich ihm auch. Er schlug sich eine Hand auf die Brust und wischte sich die imaginären Tränen weg. „Danke Jule.. das rührt mich wirklich sehr", schniefte er übertrieben laut und schloss die Arme um mich. Unwillkürlich musste ich lachen. So ein Idiot.
Ich wollte mich gerade umdrehen um zu schauen, mit wem Kai zusammen kickte als mir einfiel, dass mich das ja gar nicht mehr zu interessieren hatte.
Der Rest des Trainings war anstrengend aber gut und ich fühlte mich hervorragend vorbereitet auf das morgige Spiel, wo ich ja in der Startelf stehen würde.Nach dem Abendessen, bei dem ich Kai nicht gesehen hatte, ging ich auf unser Zimmer.
Die Tür fiel hinter mir ins Schloss und ließ mich erschöpft aufs Bett sinken.
Ich vergrub meinen Kopf in den Händen und spürte, wie sich erneut Tränen in meinen Augen ansammelten. Dieser Streit mit Kai machte mich einfach kaputt und die Trennung von Luise hatte es nicht gerade besser gemacht, auch wenn sie mich komischerweise nicht mal halb so sehr getroffen hatte.
Noch eine Sache, über die ich mir definitiv Sorgen machen sollte.
Plötzlich schrillte das Klingeln meines Handys durch den Raum und ich wischte mir schnell über die Augen, ehe ich es vom Nachttisch nahm.
Auf dem Display stand Videoanruf von Jannis und ich nahm ab.
„Heyy großer Bruder wie geht's wie steht's?, rief er fröhlich und grinste in die Kamera. Sein Bild war leicht verschwommen, was an unserer großen Entfernung liegen musste. Ich räusperte mich kurz und sagte dann: „Es ist echt super hier, ich freu mich schon total auf morgen!" Jannis musterte mich. „Du siehst aber irgendwie nicht so aus, als würdest du dich freuen", meinte er misstrauisch.
„Doch, doch", beteuerte ich. „Ich bin nur müde."
Jannis nickte verstehend und fing dann an, von seinem neuesten Shooting zu erzählen. Wäre er hier gewesen, hätte er sofort erkannt, dass meine Stimmung nicht an der Müdigkeit lag.
Er konnte mich schon mein ganzes Leben lang wie ein offenes Buch lesen. Aber durch die eher schlechte Verbindung war ihm das heute glücklicherweise nicht möglich.
Wir redeten noch ein bisschen über dies und das bevor wir auflegten.
Mittlerweile war es schon fast 22 Uhr weshalb ich beschloss, ins Bett zu gehen um morgen fit zu sein. Kai war noch immer nicht aufgetaucht und ich schätzte, er war bei jemand anderem eingezogen, auch wenn sein Koffer noch neben dem Fenster stand.
Meine Lider wurden immer schwerer und ich war kurz davor einzuschlafen, als plötzlich die Zimmertür geöffnet wurde. Eine große Gestalt trat ein, und auch wenn es bereits stockdunkel war erkannte ich Kai sofort. Ich würde ihn überall erkennen.
„Juli?", fragte er mit rauer Stimme. Ich zögerte kurz bevor ich leise murmelte: „Ja?"
Er stand immer noch an der Tür als er anfing zu reden: „Ich halte das nicht mehr aus. Meinetwegen sind wir weiter nur beste Freunde solange ich dich nicht verliere. Mir geht's beschissen ohne dich."
Ich setzte mich auf und versuchte, in der Dunkelheit sein Gesicht zu erkennen.
„Okay", war das einzige Wort, welches ich herausbrachte und erleichtert kam Kai auf mich zu. Ich umarmte ihn und atmete seinen vertrauten Geruch ein. Aus einer harmlosen Umarmung konnte bei uns beiden zur Zeit schnell mehr werden, weshalb ich ihn sicherheitshalber relativ bald wieder los ließ.
Kai ging noch kurz ins Bad zum Zähneputzen bevor er sich neben mich ins Bett legte.
Dieses Mal schliefen wir mit Abstand zueinander ein. So war es am besten.—————————————
Happy Valentinsday✨

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Stargazing
FanfictionJule & Kai sehen sich nach zwei Jahren bei der WM 2022 wieder. Anfangs wissen sie es noch nicht, doch dieses Turnier wird alles verändern...