Kapitel 1

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PoV. Yukihime Hanasaki

Ich spürte, wie die angenehm kühlen Schneeflocken auf meine Wangen trafen und augenblicklich schmolzen, während ich voller Stolz mit den Händen an den Hüften vor meinem, zugegebenermaßen ziemlich unförmigen, Schneemann stand. Dann legte ich den Kopf schief „Etwas fehlt...", murmelte ich. Aber was konnte das nur sein? Er hatte einen Hut, zwei Arme, ein Gesicht und sogar eine Karotten-Nase. Der Wind blies Schneeflocken um meine Nasenspitze, während ich mein Gesicht angestrengt zu einer nachdenklichen Miene verzog. Dann schnippte ich mit den Fingern und nahm meinen hellblauen, wohlig warmen Schal ab, um ihn dem Schneemann umzulegen. Augenblicklich wurde mein entblößter Hals vom erbarmungslosen Wind attackiert. Ich zog meinen Kopf etwas ein und fröstelte. „Den schenke ich dir!", lächelte ich angestrengt, „Sonst erkältest du dich noch!"

„Yukihime!", ich zuckte zusammen und drehte mich ruckartig zum Haus, „Es gibt Essen, Mama sagt, ich soll dich ins Haus holen!", rief mein älterer Bruder. Er lehnte seinen Oberkörper weit aus der Tür, seine Füße blieben dahinter verborgen.

„Alles klar, bin schon unterwegs!", rief ich ihm zu, dann drehte ich mich zu meinem Schnee-Kumpanen. „Alles klar, ich muss jetzt kurz weg. Ich komme aber bestimmt bald wieder, ja?" ich wank ihm zu, während ich in Richtung der Tür lief. Er erwiderte die Geste nicht, stattdessen blickte er weiterhin starr in den lichten Wald, mit dem selben Lächeln, das ich ihm aus Steinen gemacht hatte.

„Was ist denn mit deinem Schal passiert, Yuki? Hast du ihn etwa verloren?", fragte meine Mutter besorgt, als ich ins Esszimmer huschte und das Saftglas, welches an meinem Platz bereit stand, mit Wasser füllte.

Ich schüttelte den Kopf, während ich meine mit Wasser gefüllten Backen leerte. Kurz schnaufte ich durch, bevor ich begann zu sprechen „Mein Schneemann hat ihn viel dringender gebraucht, als ich.", verkündete ich mit einem breiten Lächeln.

Leise lachend schüttelte sie den Kopf und schloss den Gewürzschrank, dessen Tür immer unangenehm quietschte. Ich verzog leicht das Gesicht. „Nun gut, aber bring den Schal wieder mit, wenn der Winter vorbei und dein Schneemann geschmolzen ist, ja?", sie hatte ein sanftes Lächeln auf dem Gesicht, aber ich fand das überhaupt nicht berechtigt.

„Wieso sagst du sowas? Ich soll den Schal wieder zurückbringen, wenn mein Schneemann tot ist?", rief ich aufgewühlt und schockiert.

„Aber dein Schneemann stirbt doch nicht. Er schmilzt nur.", versuchte meine Mutter, mich zu beruhigen.

„Das verstehe ich nicht. Ist das nicht das selbe?", fragte ich vorsichtig, woraufhin sie sanft den Kopf schüttelte und sich auf den Stuhl neben mir setzte.

„Wenn Schnee schmilzt, wird er nur zu Wasser. Er verschwindet nicht einfach so ins Nichts. Und als Wasser kann er Bäumen, Blumen, Gras und auch Tieren neues Leben schenken. In unserer Welt geht nichts verloren, alles findet seinen Platz. Und wenn es ihn verliert, sucht es sich einen neuen.", sanft strich sie mit ihrer linken Hand durch mein Schneeweißes Haar.

Ich war nicht ganz sicher, wie das Zeug hieß, von dem ich in meinem Körper nicht genug hatte und ich kam auch nie dazu, meine Mutter noch einmal nach der Bezeichnung zu fragen. Mela-dings, oder so etwas in der Art. Das war in jedem Fall der Grund dafür, dass mein Haar so aussah, wie es eben nun mal aussah. Auch meine blass-violetten Augen waren von diesem Mangel wohl ausgelöst worden. Meine Mutter hatte oft gesagt, ich würde aussehen, als wäre ich die Personifikation des Schnees. Ich empfand mein Aussehen als störend und wünschte mir an manchen tagen, einfach so auszusehen, wie die meisten anderen Kinder. Es ist wirklich eine Dummheit, sich über sein Aussehen so viele Gedanken zu machen. Das weiß ich heute, denn es gibt wirklich wesentlich wichtigere Dinge im Leben.

Melting Snow - Giyu Tomioka x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt