Kapitel 9. | Ivar

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Die Zeit verstrich und der Tag neigte sich langsam dem Ende zu. Draußen war es schon lange dunkel und die Norweger waren mittlerweile allesamt volltrunken.
Sie gröhlten, prügelten sich, begrapschten Sklavinnen und benahmen sich wie Schweine. Angewidert von deren Verhalten stand ich auf und warf mir meinen Pelz über um mich auf den Weg in Ubbes Hütte zu machen. Er war die ganze Zeit nicht mehr gekommen, doch spähte er hin und wieder zwischen den Ledervorhängen aus Lagerthas Gemächern hervor um nach mir zu sehen. Die Situation war mir einfach nicht geheuer. Ivar und Hvitserk waren total in ein Gespräch mit Harald vertieft weshalb ich nichts weiter sagte. Doch Ivars Blick schnellte schlagartig nach oben als ich aufstand.

»Gute Nacht« verabschiedete ich mich leise bei ihm. Dann nickte ich ihm kurz zu, drehte mich um und verließ die Halle. Dabei war ich stets bemüht den seltsamen Neuankömmlingen aus dem Weg zu gehen. Draußen vorm Tor holte ich tief Luft und schnaubte in die eisige Luft.
Überall im Dorf war gelächter und gebrüll der Gäste zu vernehmen. Sie setzten wirklich nochmal eine Schippe auf das Verhalten der Wikinger hier drauf. Zielstrebig ging ich in Richtung von Ubbes Hütte als mich plötzlich jemand von der Seite aus am Arm packte.
Ein erschrockenes Stöhnen verließ meinen Mund, welcher mir sofort recht vorsichtig zu gehalten wurde während mich der Fremde in die Seitengasse zog.
Mit großen Augen drehte ich mich um und starrte direkt in ein mir bekanntes Gesicht. Es war Hvitserk.
Er hielt sich einen Finger vor die Lippen.
»Shh...« gab er mir zu verstehen und nahm dann die andere Hand von meinem Mund.
»Verzeih mir Sól ich wollte dich nicht so erschrecken«, entschuldigte er sich sofort mit einem charmanten Lächeln.
»Schon in Ordnung... was ist denn los Hvit?« hakte ich vorsichtig nach.
Mir standen die Fragezeichen quasi in mein Gesicht geschrieben.
»Komm mit mir, Ivar möchte dass ich dich zu ihm bringe.« Verwirrt hob ich eine Braue, folgte ihm aber dennoch wortlos in Ivars Gemach. Zu meiner Überraschung war Ivar allerdings nicht alleine. Auch Harald Schönhaar hatte es sich auf einem der Sessel am Feuer bequem gemacht und trank genüsslich sein Met.

»Da seit ihr Beiden ja endlich, ich dachte schon Hvitserk ist mit dir durchgebrannt Sól« scherzte Ivar gewohnt sarkastisch. Dann klatschte er zweimal in die Hände um die Sklaven aus dem Gemach zu scheuchen. Nachdenklich runzelte ich meine Stirn und blieb wie angewurzelt in der Tür stehen während Hvitserk lachend am Feuer platz nahm. Was sollte das hier denn werden? Ich traute der Situation nicht ganz. Ivar neigte den Kopf zur Seite und sah mich mit seinen eisblauen Augen an.
»Was stehst du da so rum? Komm zu uns!« meinte er nun mehr liebevoll und klöpfelte auf den freien Platz neben sich.
Ich überlegte kurz, beschloss dann aber ihnen zu vertrauen. Ivar war nicht immer leicht einzuschätzen, doch das er mir etwas antun würde konnte ich mir wirklich nicht vorstellen. Und auch Hvitserk war ein guter junger Mann. Den Norwegerkönig konnte ich allerdings noch nicht wirklich lesen.
Er wirkte durch seine Gesichtstattoos ziemlich hart. Also nahm ich neben Ivar Platz und erfreute mich sofort an der angenehmen Wärme des Feuers. Ivar legte seine Hände an meinen Nacken. Ich zuckte sofort zusammen, was nur für Gelächter sorgte, denn er wollte mir nur meinen Pelz abnehmen. »Nicht so schreckhaft« flüsterte Ivar, wessen Gesicht nun ziemlich nah an meinem war, während er mir den Pelz von den Schultern striff. Schönhaar ließ dabei die ganze Zeit über seine Augen auf mir Weilen was mir mehr und mehr Unangenehm wurde. Ich schluckte schwer. Dann reichte Hvitserk mir einen Krug voll Met von welchem ich umgehend einen Schluck trank.

»Bei den Göttern Ivar...Ich habe schon viele Kontinente bereist, doch selten habe ich solch eine Schönheit gesehen« lallte Harald fast schon wobei er sich mit der Hand über sein Haupt fuhr. Ivar nickte ihm breit grinsend entgegen. Dann sah er mich von der Seite mit seinem stechenden Blick an.

»Du fragst dich sicher warum du hier bist?«, raunte er. Dabei musterten seine Augen mein Gesicht.
»Ja Ivar das frage ich mich allerdings.« Ich klang fast schon eingeschüchtert, was ihm ein Lächeln entlockte.
Er erfreute sich an meiner Unsicherheit.
»Es ist so Sól...« Er suchte sich wohl die richtigen Worte im Kopf zusammen.
- »Es wird wohl zur Schlacht kommen...« fuhr er fort. Meine Augen weiteten sich und Ivar wurde fast schon Euphorisch beim anblick meiner Angst.
»Ich habe mir schon lange geschworen das ich Lagertha für den Tod meiner Mutter rächen werde. Nun ist der Zeitpunkt gekommen. Doch von meinen lieben Brüdern ist nur auf Hvitserk verlass, weshalb ich mich mit meinem alten Freund Harald zusammenschloss um ein großes Heer gegen Lagertha in den Kampf schicken zu können. Ubbe dieser Verräter hält sich lieber auf der Seite der Mörderin seiner Mutter.« Entsetzt ließ ich den Blick zwischen den Dreien umher wandern.
Ich wusste nicht dass Lagertha ihre Mutter ermordete, woher auch? Aber wieso war Ubbe nicht auf der Seite seiner Brüder? Erneut runzelte ich nachdenkend meine Stirn. »Keine Sorge meine Liebe...« versuchte Ivar mich zu beruhigen indem er mir eine Hand auf meine legte.
Sein Blick durchbohrte meine Augen.
»Deshalb habe ich dich zu mir geholt. Geh mit uns... geh mit mir...« flehte er mich fast schon an. So kannte ich ihn garnicht.
»Wir brechen morgen früh auf. Wir schlagen ein Lager auf der großen Lichtung auf. Dort werden wir dann einige Verhandlungen mit Ubbe und Lagertha führen, Björn müsste auch jeden Tag wieder anreisen. Wenn sie klug sind einigen sie sich mit mir darauf uns Kattegat zu überlassen, dann sehe ich vielleicht über Lagerthas Taten hinweg...doch tun sie das nicht, dann werden sie alle sterben müssen...« Er verzog dabei keine Miene. Er meinte das wirklich ernst. Ich suchte nach Hinweisen darauf, dass das alles ein schlechter Scherz war, doch dem war wohl nicht so. Keiner von ihnen lachte.
»Ihr wollt sie umbringen?« wiederholte ich naiv seine Aussage. Dann trank ich nervös einen großen Schluck Met. Ivar nickte zustimmend.

Ein Schauer zog sich über meinen Rücken und mein Kopf begann zu rattern.

»Ivar ich...« begann ich zu stottern.
Er streichelte sanft über meinen Handrücken. »Keine Angst meine Schöne. Ich werde nicht zulassen dass dir etwas geschieht so lange du an meiner Seite bist.«
Nachdenklich hob ich mir die andere Hand an den Mund und begann unruhig auf meiner Unterlippe herum zu kauen. Dabei schwebten mir immerzu Bilder von Ubbe, Björn und Lagertha vor Augen. Ich konnte sie doch nicht im Stich lassen, nach all dem was sie für mich getan hatten.
Sie nahmen mich widerstandslos hier auf. Keiner von ihnen hatte mir bisher etwas böses gewollt und jetzt sollte ich ihnen so in den Rücken fallen? Für Ivar, wessen Launen sich von Sekunde zu Sekunde ändern konnten? Meine Entscheidung war klar. Ich hatte Ivar in der Tat sehr gern. Auch Hvitserk war mir nach der Zeit in Kattegat ans Herz gewachsen. Doch mit Harald Schönhaar hatte ich bis dato nichts am Hut. Wieso also sollte ich mit ihnen ziehen?
Meine Miene wurde noch ernster.
»Ivar ich...« sagte ich Kopfschüttelnd und er ahnte wohl schon was ich sagen wollte denn er ließ mich hastig los, ballte seine Hände und biss sich fest auf den Kiefer.

Er war kurz davor die Fassung zu verlieren.

Seine Augen blitzten mich an und langsam stiegen mir die Tränen in die Augen. Beherrscht hielt ich meine Angst zurück. Dann erhob ich mich und blickte ängstlich in die Runde. »Ich kann nicht Ivar...« flüsterte ich nachsichtig.
Ich trat einige Schritte zurück.
»Dann verschwinde« knurrte er mir laut entgegen und warf mir meinen Pelz in die Hände. Ich zuckte zusammen. Dann blickte ich von Ivars kaltem Gsichtsausdruck in Hvitserks Augen. Sein Blick war entschuldigend und zugleich sah er mich so an als würde er mir Leb Wohl sagen wollen. Schüchtern wagte ich es noch einmal zu Ivar rüber zu sehen, doch er würdigte mich keines Blickes. Dann wandte ich meine Augen zu Boden und verließ ohne ein weiteres Wort sein Gemach. Mein Herz pochte mir bis zum Hals und mein Atem wurde immer schneller während ich in schnellem Schritt zu Ubbes Hütte lief.
Dabei rinnten mir die Tränen die Wangen entlang. Was würde jetzt mit mir passieren?
War ich nun auch auf Ivars Ermordungsliste weil ich ihm abgeschworen hatte? Hektisch riss ich die Tür zu Ubbes Hütte auf und ließ sie schnell hinter mir ins Schloss fallen. Dann lehnte ich mich mit dem Rücken dagegen und sank zu Boden. Dabei vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen und begann entgültig zu weinen. Ich hatte nicht bemerkt dass Ubbe bereits Zuhause war.

»Sól was ist passiert? Wo warst du ich habe dich überall gesucht?« fragte dieser und eilte zu mir rüber. Er ließ sich vor mir auf die Knie und nahm mich einfach in den Arm. »Haben die Norweger dir etwas angetan?« erkundigte er sich vorsichtig. Dabei strich er mir sanft eine Haarsträhne hinter mein Ohr ehe er vorsichtig meine Hände von meinem Gesicht nahm.
»Nein Ubbe, Ivar...« Beim Klang meiner Worte fuhr er sich mit einer Hand durch den Bart. »Er hat dir von seinen Plänen erzählt nicht wahr?«
Er schüttelte seinen Kopf.
»Er wollte dass ich mit ihnen gehe. Aber ich habe nein gesagt und jetzt ist er so unglaublich böse...ich...ich denke er wird mich auch umbringen wollen.«
Ubbe schüttelte erneut seinen Kopf.
»Hab keine Angst. Das wird keiner zulassen. Weder Björn noch Lagertha und vor allem nicht ich.« Dabei streichelte er mir beruhigend über den Hinterkopf. Ich sah ihn mit meinen verweinten Augen an.
»Björn ist in England. Ohne seine Leute sind wir verloren. Er hat die Norweger Ubbe.«
Mein Kopf begann beim Gedanken an die nächsten Tage zu schmerzen.
»Björn wird bald hier sein. Wir werden Kattegat nicht einfach so aufgeben. Mit seiner Streitmacht sind wir gleichauf mit Haralds Heer« versuchte er mich zu beruhigen, doch ich konnte seinem Blick ansehen dass auch er sich Sorgen machte.
»Komm, leg dich erstmal hin« meinte er und zog mich sanft vom Boden auf.
»Morgen ist ein neuer Tag. Lagertha und ich werden das regeln. Du stehst unter unserem Schutz.« Er führte mich zum Bett, hob die Decke auf und ich schlüpfte zaghaft darunter. »Versuch zu schlafen. Ich verspreche dir es wird alles gut werden Sól« beruhigte er mich erneut. Dann gab er mir einen Kuss auf die Stirn und ging, wahrscheinlich zu Lagertha um das geschehene zu besprechen. Ich dagegen sah die ganze Nacht zur Decke hinauf. Ich bekam kein Auge zu. Alleine gelassen mit dem Wirrwarr in meinem Kopf und den Gedanken daran, dass ich wohl bald sterben würde.

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