Kapitel 17. | Im Land der Rus

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Zwei Tage waren seit dem Überfall auf unseren Handelszug bereits vergangen. Eingepfercht in einen winzig kleinen Gefangenentransport saß ich mit den anderen Frauen einfach meine Zeit ab während wir durch die schneebedeckte Landschaft fuhren. Frierend und vor allem durstig. Die Rus hatten es nicht wirklich mit der Gastfreundschaft, denn sie taten nur das nötigste um uns am Leben zu halten. -Mehr als ein paar Schlücke Wasser am Tag waren nicht drin.

Eines Abends vernahm ich ein schwaches Funkeln kleiner Lichter aus der Ferne. Mein Kopf, den ich auf der Schulter einer Handelsfrau abgelegt hatte um zu schlafen schnellte augenblicklich hinauf. Wir näherten uns einer Stadt. Ungläubig rieb ich mir die Augen. Vielleicht träumte ich ja nur, doch dem war nicht so.
Die Rus wurden ebenfalls unruhig. Auch wenn ich ihre Sprache nicht annähernd verstehen konnte bemerkte ich sofort dass sie sich freuten. Es musste also ihre Heimatstadt sein. Schnell rüttelte ich einige der anderen Frauen wach. - Wer wusste schon was jetzt mit uns geschehen würde, also wollte ich sie lieber warnen. Behutsam betrachtete ich die Umgebung während wir dem großen hölzernen Toren der Stadt immer näher kamen. Einer der Rus sprach mit einem der Wachen auf dem Wachturm ehe sich das Tor langsam für uns öffnete.
Unser Wagen fuhr uns auf einen großen Marktplatz umgeben von großen Mauern. Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete einer von ihnen endlich das Tor unseres Wagens. Eine alte Frau bettelte ihn umgehend nach etwas zu essen an, fiel dabei vor ihm auf die Knie und hielt flehend seine Hand. Doch er schüttelte sie lachen von sich ab. Zornig kniff ich meine Augen zusammen und biss mir dabei fest auf den Kiefer.

Ich musste mich sehr zusammenreißen.

Dann schubste er die gebrechliche alte Frau wieder zurück in den Wagen, sodass sie hart auf den Boden fiel. - Es reichte.
»Hör auf uns wie Tiere zu behandeln!« keifte ich ihm entgegen, wohlwissend dass er mich nicht verstand. Dabei preschte ich ebenfalls nach vorne zum Tor um der alten Dame wieder auf zu helfen. Doch ich kam nicht weit, denn ohne weitere Vorwarnung packte er mich unsanft am Handgelenk und zog mich aus dem Wagen. Dabei schürfte ich mir die Knie auf. Er nahm nun auch meinen anderen Arm fest in seinen Griff und schubste mich fest auf den Boden, sodass ich vor ihm und den anderen Rus kniete.

Mein Blick wanderte in der dunklen Stadt umher.

Die Männer aus dem Handelszug hatten sie bereits mit zusammengebundenen Händen aus deren Wagen befreit. Sie führten sie hinter die Mauern eines Gebäudes. Hektisch blickte ich umher während der Fremde in agressivem Ton auf seiner Sprache zu mir sprach. Doch ich würdigte ihm keines Blickes.
Dann schlug er mich mit der Flachen Hand ins Gesicht. - So stark dass ich einen Moment wieder klar kommen musste, da mir schwarz vor Augen wurde.

»Sól hör auf sie zu verärgern!«, schrie Hvitserk, welcher ebenfalls gerade abgeführt wurde von der Seite zu mir rüber.
Der Rus blickte Hvitserk entgegen, dann wieder zu mir.
Er begann furchtbar grässlich zu grinsen, zeigte mit dem Finger auf mich und sah dann wieder zu Hvitserk. Er grinste ihm dabei mit seinen schwarzen Zähnen entgegen. Er dachte wohl wir wären ein Paar.
Dann zischte er wieder etwas zu seinen Kameraden.
Sie lachten alle.
Derjenige welcher Hvitserk gerade abführen wollte kam nun plötzlich zusammen mit ihm zu uns hinüber. Auch er stieß Hvitserk auf die Knie sodass er mir direkt gegenüber saß. Hvitserk sah mich mit traurigen Augen an, als sei ihm klar was nun geschehen würde. Dann lehnte der Rus sich zu mir hinunter, packte mit seiner schmutzigen Hand an meine Wange und leckte mir mit seiner Zunge über meinen Mund. Perplex versuchte ich ihm auszuweichen, doch er griff mich schmerzhaft mit seiner anderen Hand an meinem Oberarm fest. Dann wanderte seine Hand von meiner Wange hinab zu meiner Oberweite. Ich quiekte verunsichert, versuchte ihm erneut auszuweichen, doch hatte keine Chance.

Hvitserks Blick sank zu Boden.

Ihm war wohl klar jetzt besser still zu sein und es über uns ergehen zu lassen.
Mir wurde immer mehr bewusst was sie hier gerade vor hatten. Sie versuchten mich vor Hvitserk, meinem ihrer Meinung nach Partner, zu vergewaltigen.

Ich riss wie wild mit meinen Armen umher um mich zu befreien während der fremde Mann weiter meinen Körper befummelte.
»Es tut mir so leid...« flüsterte Hvitserk mit weiter gesenktem Blick. Er kassierte umgehend einen Schlag auf den Hinterkopf weil er zu mir gesprochen hatte.
Ich begann zu weinen. Es war so unglaublich widerlich von diesem ekelerregendem Mann betatscht zu werden. Sein Griff war so fest an meinem Oberarm dass ich am liebsten angefangen hätte zu weinen. Die Anderen lachten nur.

Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich ein weiterer Mann aus der Dunkelheit auf.

Er schrie meinen Peiniger wütend an, zog ihn von mir weg und wechselte noch einige hitzige Worte mit ihm und den anderen Rus. Hvitserk sah wieder zu mir auf.
Ich hielt mir schmerzerfüllt meinen Arm.

»Sól...« flüsterte er erneut mit entschuldigendem Blick, ehe er abgeführt wurde. Ich erschrak als mich der Rus plötzlich erneut am Arm packte, diesmal aber etwas sanfter. Er zog mich wortlos vom Boden auf und verband mir die Hände hinter meinem Rücken. Dann wurden wir alle in ein Gebäude geführt in welchem auch Vieh gehalten wurde und dort eingesperrt. Wieder hatten sie Männer und Frauen getrennt. Erschöpft ließ ich mich im Stroh am Boden nieder und blickte durch den Stall.

»Alles in Ordnung Liebes?« fragte mich die alte Frau, für welche ich zuvor das Wort erhoben hatte. Sie musterte meine trübe Miene und ich nickte ihr nur hastig zu. Doch das war gelogen. Noch nie war mir so etwas in der Art passiert. Trotz meines Wissens über die Rus, welches ich mir in einigen Jahren Geschichtsunterricht angeeignet hatte, war ich dennoch mehr als schockiert über deren Brutalität. Es war wirklich furchtbar, ich war machtlos gegen sie. Und das schlimmste war es zu wissen, dass in deren Welt die Vergewaltigung einer Frau oder gar der Mord an anderen Menschen ganz normal und alltäglich war.

Da war er also, der Momente in dem ich mir nichts mehr wünschte als wieder Zuhause zu sein. - In meiner Welt, in meiner Zukunft... in meiner Normalität... Doch all das rückte mit jedem weiteren Tag den ich hier in der Vergangenheit verbrachte in noch weitere Ferne. Langsam wurde es mir immer klarer: Ich war hier nicht nur im Land der Rus gefangen, nein ich war gefangen in einer fremden, grausamen Welt ohne Hoffnung auf eine Rückkehr.

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