Kapitel 10. | Schildmaid

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Die vergangene Nacht war der reinste Horror gewesen. Mit einem unguten Gefühl hatte ich mich die ganze Zeit nur umher gewälzt. Ubbe war nicht wieder gekommen.
Er und Lagertha hatten wohl einiges zu besprechen gehabt.
Ich rieb mir den Schlaf aus den verquollenen Augen, zog mir etwas frische über und machte mich dann auf den Weg zu Lagerthas Gemächern. Im Dorf herrschte eine gefährliche Stille. War das die Ruhe vor dem Sturm ? Mein Blick wanderte runter zum Hafen. Haralds Schiffe waren verschwunden. War das alles nur ein Traum ? Ein kleiner Hoffnungsschimmer bahnte sich den Weg in meinen Kopf.
Zielstrebig ging ich zur großen Halle, welche wie Leergefegt schien.

Es war niemand hier.

Lediglich ein paar Sklavinnen, welche die Überreste des letzten Abends wegräumten.
»Guten Morgen...« flüsterte mir Anika zaghaft mit gesenktem Blick entgegen.
Ehe ich ihr antworten konnte war sie schon an mir vorbei gehuscht. Nervös ging ich weiter bis zu Lagerthas Gemächern hindurch durch den ledernen Vorhang. »Lagertha?« fragte ich leise während ich eintrat. Sie saß am Feuer und betrachtete nachdenklich die tanzenden Flammen. Der Anblick war mehr als beunruhigend. »Lagertha?« wiederholte ich meine Worte etwas lauter damit sie mich diesmal hören konnte. Ihr Blick schnellte zu mir nach oben.
»Sól! Trete ein meine Liebe« antwortete sie mir mit mütterlichem Unterton. Ich tat was sie sagte und sah mich in ihrem Gemach um.

Keine Spur von Ubbe.

»Er ist dabei Vorbereitungen zu treffen« beantwortete sie mir meine unausgesprochene Frage.
»Vorbereitungen für was?« Mein Blick verdunkelte sich, denn mir schwante Böses.
»Ivar und Harald Schönhaar haben heute Nacht Kattegat verlassen. Sie haben ihr Lager auf der großen Lichtung hinter den Bergen aufgeschlagen. Ivar macht seine Drohungen wahr und versucht Kattegat einzunehmen. Wir werden später zu ihnen gehen um mit ihnen zu verhandeln. Ubbe stellt die Truppen auf, damit sie im schlimmsten Fall schnell eingreifen können...« Lagerthas Anspannung war deutlich zu spüren und ich sah die Angst in ihren Augen während sie zu mir sprach. Sie kämpfte mit den Tränen. So hatte ich sie bisher noch nicht erlebt.

Ohne groß nachzudenken ging ich zu ihr ans Feuer, ließ mich neben ihr nieder und nahm sie wortlos in meine Arme.
Ich hatte nicht erwartet dass sie meine Nähe zuließ, doch sie tat dies.
»Ich hoffe inständig dass Björn schnell hier ist, ist das nicht der Fall sind wir Haralds Truppen leider unterlegen Sól. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich wirkliche Angst« sprach sie mit leiser Stimme während sie ihr Gesicht in meinem Haar vergrub. Mit versteinerter Miene betrachtete nun auch ich das Feuer und versuchte mich damit zu beruhigen. Ich streichelte sanft über Lagerthas Rücken und versuchte ihr somit etwas Trost zu spenden. »Nach all den Geschichten die ich über dich gehört habe kann ich mir nicht vorstellen dass man dich jemals besiegen könnte Lagertha. Ich glaube an dich und auch die Götter stehen auf deiner Seite, da bin ich mir sicher.«
Ich nickte zuversichtlich vor mich hin, dann hob ich ihren Kopf an und blickte in ihre traurigen Augen. »Wir werden das schaffen Lagertha« sagte ich ihr eindringlich und endlich kam wieder das Funkeln zurück in ihre Augen. Sie biss sich fest auf ihren Unterkiefer, legte die Hand an meinen Hinterkopf und presste somit ihre Stirn gegen die meine. »Ich bin den Göttern sehr dankbar dass sie dich zu uns geschickt haben Sól, du bist eine große Bereicherung für Björn und auch für mich. Danke.«
Zum ersten Mal seit ich hier bin konnte ich spüren dass ich wirklich erwünscht war.
Vielleicht hatte all das am Ende auch etwas gutes mit sich gezogen. Ein leichtes Lächeln schlich über meine Lippen.
»Ich bin ebenfalls sehr dankbar dass ich  hier so gütig von euch allen aufgenommen wurde« antwortete ich ihr aufrichtig. Sie nickte mir ebenfalls lächelnd entgegen und plötzlich saß wieder die starke Frau für die ich sie bisher hielt vor mir. Sie strich sanft über meinen Oberarm ehe sie aufstand und in die Hände klatschte.
»Nun gut, dann werden wir uns bereit machen. Wir werden Kattegat nicht einfach so aufgeben! Komm, ich gebe dir geeignetere Kleidung falls es zur Schlacht kommen sollte.«
Sie nickte einer ihrer Sklavinnen vielsagend zu und diese verstand sofort was sie zu tun hatte. Sie nahm einige Kleidungsstücke aus der großen Truhe und übergab sie mir. Schnell schlümpfte ich in die lederne Hose und in das Langärmeliges Leinenoberteil welches sie mir gab. Das junge Mädchen half mir dabei die Kordelzüge, welche vor meinem Ausschnitt baumelten zu verknoten. Dann bat sie mich darum mich zu setzen damit sie mir die Haare zurückflechten konnte.

Wenige Minuten später kam auch Lagertha in ihrer Schlachtkleidung zurück und blickte mir stolz entgegen. »Komm Liebes« bat sie mich ihr zu folgen und ich tat was sie von mir wollte. Sie ging zu einer weiteren großen Truhe, öffnete diese mit einem Ruck und zog ein Schwert, befestigt an einem Gürtel heraus, welchen sie mir umgehend umlegte. Ich blickte skeptisch an mir hinab.
»Lagertha ich...« stockte ich als sie den Gürtel fest um meine Taille schnallte. Ich wollte ihr sagen, dass ich rein garkeine Ahnung hatte wie man mit solch einer Waffe umgeht, doch sie unterbrach mein Vorhaben.
»Dies ist nun dein Schwert liebste Sól. Es ist ein Geschenk. Ich hoffe es wird dich schützen.« Ein leichtes seufzen verließ meinen Mund, doch ich konnte ihr nicht sagen dass ich nicht kämpfen konnte. Ich wollte sie jetzt wo sie mir gegenüber so liebevoll war einfach nicht enttäuschen. Also nahm ich die Geste dankend an und schluckte meine Unsicherheit einfach hinunter. Nachdem auch Lagertha sich ihr Schwert angelegt hatte gingen wir nach draußen auf den großen Versammlungsplatz auf dem sich unser zugegebenermaßen ziemlich kleines Heer zusammengetragen hatte.
Sieht ja vielversprechend aus, dachte ich mir als ich die Krieger musterte. Der Altersdurchschnitt war mindestens Ü40 und zudem waren es auch ziemlich viele Frauen. Klar, die richtigen Krieger waren schließlich mit Björn nach England gesegelt, also mussten wir uns mit dem zufrieden geben was noch übrig war.

»Sól!« rief Ubbe während er mir entgegen lief. Dabei betrachtete er mich von oben bis unten. »Bei den Göttern, du siehst ja aus wie eine richtige Schildmaid!« klang er verwundert über mein Auftreten ehe er mich für eine sanfte Umarmung zu sich zog und mir einen zärtlichen Kuss auf mein Haupt gab. Ich lächelte Schwach über seine Bewunderung, doch tief in mir breitete sich die pure Angst aus. Wie gerne würde ich mich jetzt einfach aus dem Staub machen und mich in meinem Zimmer verkriechen.
Doch mein Zimmer war Jahrtausende weit entfernt von diesem Ort. Ich schluckte schwer beim Gedanken an mein altes Leben und an das was mich jetzt erwartete. Ubbe hatte derweil ein großes schwarzes Pferd zu mir geführt und übergab mir die Zügel.

»Das ist Håkon, er wird fortan dein Pferd sein« sagte er gewohnt ruhig und ich streichelte dem sanftmütigen Tier umgehend über die Stirn. Ein Glück hatte ich bis zu meinem 15. Lebensjahr Reitunterricht und zumindest war ich in diesem Punkt nicht ganz unerfahren. Ubbe reichte mir seine Hand und führte mich zum Rumpf des Pferdes. Dann half er mir mit einer gekonnten Bewegung in den Sattel. Ich nahm die Zügel und blickte unsicher nach vorne auf unser Heer.
»Bist du sicher dass du mitkommen möchtest?« erkundigte Ubbe sich besorgt als er meinen Gesichtsausdruck wahr nahm.
»Klar..« log ich. Was wollte ich schließlich hier alleine in Kattegat? Darauf warten dass Ivar und sein Gefolge kommen um die Stadt einzunehmen, mich auffindig machen und mich umbringen? Nein danke. Lieber kämpfe ich so gut ich kann und sterbe nicht ganz so unnötig dachte ich mir.
Ich starrte weiter nach vorn.
Würde ich Ubbe in die Augen sehen, wüsste er sofort wie unwohl ich mich fühlte, wenn er das nicht schon tat.
»Na gut...« antwortete er nur knapp.

Er wusste es.

Nachdem auch Ubbe und Lagertha im Sattel ihrer Pferde saßen ging es los.
Wir ritten voran in richtung der großen Lichtung. Lagertha an der Spitze. Zu meiner linken ritt Ubbe und das Heer folgte uns fein säuberlich aufgereiht im Gleichschritt.

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