Verzweifelt

580 14 0
                                    

Kapitel 9

Tritt. Tritt. Tritt. Leerlauf.

Joko keuchte laut. Schaute stur gerade aus. Spürte den Wind in seinen Haaren. Versuchte die Gefühle in ihm zu ordnen.

Tritt. Tritt. Leerlauf.

„Das nennst du Liebe? Der verarscht dich doch!"

Tritt. Tritt. Tritt. Leerlauf.

Joko biss die Zähne zusammen. Spürte ein Ziehen in seinem Knie, konnte aber nicht aufhören, in die Pedale zu treten und an Geschwindigkeit zuzulegen.

„Was denkst du dir nur dabei? Ist dir nicht klar, dass ihr zwei mit dem Feuer spielt?"

Tritt. Tritt. Tritt. Tritt. Tritt. Leerlauf.

„Weißt du, wie beschissen sich das für mich anfühlt? Klaas ist vergeben. Er hat Kinder. Wie kannst du eine Affäre mit einem vergebenen Mann anfangen? Das ist so fucked up."

Paul hatte doch keine Ahnung. Er hatte kein Recht ihn zu verurteilen. Er hatte kein Recht ihn ausgerechnet im Podcast darauf anzusprechen.

Keuchend hielt Joko an. Beide Beine fest auf dem Boden, den Lenker fest im Griff, blickte er nach unten. Er versuchte zu verstehen, was da gerade passiert war. Wie hatte das alles so eskalieren können? In einem Moment hatten sie sich noch über die Jubiläumsfeier unterhalten und plötzlich war alles gekippt. Das konnte so nicht raus. Das durfte so nicht gesendet werden.

Joko hob langsam den Kopf und blickte sich um. Blickte über den Starnberger See. Er war einfach gefahren. Hatte nicht weiter nachgedacht, wo er lang fuhr, wo er hinfuhr. Er wollte einfach nur so weit wie möglich weg. Musste irgendwie wieder klarkommen. Musste die Tatsache akzeptieren, dass Paul es jetzt wusste. Bei diesem Gedanken zog sich sein Magen zusammen. Wie sollte es jetzt weitergehen? Wie konnten sie nach diesem Gespräch, nach diesem Streit je wieder normal miteinander reden? Wie sollte das funktionieren?

Verzweiflung machte sich in Joko breit. Er legte den Kopf auf den Lenker und umschloss ihn mit den Armen. Was sollte er nur tun? Was konnte er tun? Das war eine Katastrophe. Klaas durfte hiervon nichts erfahren. Und am besten auch nicht die Fotos sehen. Der würde durchdrehen und den nächsten Flug nach Amerika buchen. Fuck.

Joko raufte sich die Haare und kniff die Augen fest zusammen. Dabei hatte die Woche so gut angefangen. Der Sonntag mit Klaas war ... ein Traum. Es war ein einziger Traum gewesen mit ihm auf der Couch zu liegen, die Sonne auf der Terrasse zu genießen, träge Küsse auszutauschen. So viele Küsse, dass ihm noch am nächsten Tag die Lippen brannten.

*

Nach einem ausgiebigen Frühstück war Joko gerade dabei die Spülmaschine einzuräumen, als er Klaas im Augenwinkel dabei erwischte, wie dieser sein Puzzle anstarrte. Schmunzelnd stellte er den letzten Teller weg, bevor er die Klappe schloss und sich abwartend an die Küchenzeile lehnte.

Klaas hatte die Stirn gerunzelt und studierte die Teile auf dem Tisch, schien aber zu keinem Ergebnis zu kommen. Wunderte Joko nicht wirklich, denn mit seiner Farbschwäche gehörte puzzeln nicht wirklich zu Klaas' Stärken. Also schlich er sich leise an ihn heran, blickte über seine Schulter und ließ den Blick ebenfalls über die Teile wandern. Er fragte sich, was Klaas sah. Wie das Bild für ihn aussehen musste. Aber ähnlich wie mit seinem Tinnitus hatten sie beide gelernt mit ihren Handicaps zu leben.

„Da", sagte Joko leise, streckte seine Hand aus und legte ein Puzzleteilchen an den richtigen Platz. Klaas machte ein nichts-sagendes Geräusch. Klang fast ein wenig fasziniert. Jokos Schmunzeln wandelte sich in ein sanftes Lächeln. Er presste seine Lippen auf Klaas' Hals, während er den Blick wieder schweifen ließ. Er setzte das nächste Teil ein.

Tabula RasaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt