„Hey, du.", ertönte plötzlich eine Stimme in der sonst so leisen Bibliothek. „Ich hab dich überall gesucht." Ich griff nach einem der aufgeklappten Bücher. „Du hast mir eine Führung versprochen.", grinste Mattheo, als er neben mir zum Stehen kam. „Ich wette, während du mich überall gesucht hast, hast du sicher schon alles gesehen.", entgegnete ich desinteressiert. „Komm schon, nur einen kurzen Rundgang."
„Ich kann nicht. Ich muss lernen.", antwortete ich. Ich legte frustriert stöhnend das Buch zurück auf den Stapel und ließ mir aus dem Regal ein Neues geben. „Lernen?", fragte er mich belustigt. „Lernen wofür? Heute ist der zweite Schultag." Ich nickte. „Gut erkannt." Der Sarkasmus in meiner Stimme war kaum zu überhören. Ich klappte das Buch auf. „Wenn du jetzt dann bitte gehen würdest, du störst. Frag doch eine Schlange nach einer Führung. Oder dein herzallerliebstes Brüderchen.", riet ich ihm, ohne meine Augen von dem Buch abzuwenden, welches ich suchend durchblätterte. „Draco ist nicht mein Bruder..." Irgendwo musste doch dieses Kapitel sein. Zu blöd nur, dass dieses Buch kein Inhaltsverzeichnis hatte. Über diese Tatsache konnte ich nur genervt meine Augen verdrehen. Welcher Idiot riss denn auch das Inhaltsverzeichnis aus dem Buch?
„Na gut." Mattheo holte sich einen Stuhl heran und setzte sich. „Ich warte, bis du fertig bist." Genervt sah ich auf. „Was willst du wirklich von mir?", fragte ich ihn. „Wie, was will ich wirklich von dir? Ich will eine Führung. Das sagte ich doch bereits." Wieder verdrehte ich meine Augen, bevor ich entnervt aufseufzte. „Gut, hör zu: Wenn ich sage, ich lerne, solltest du mich besser nicht stören, sonst werde ich wütend.", warnte ich. Er nickte verstehend. „Ist notiert." Zufrieden nickte ich. „Sehr schön." Ich wandte mich wieder meinem Buch zu. „Okay, aber-"
„Sh.", unterbrach ich ihn sofort. Mit beschwichtigend gehobenen Händen lehnte er sich zurück und schwieg.
Mittlerweile total ungeduldig kam ich am Ende des Buches an. „Och man. Ich war mir sicher, es war hier drin.", grummelte ich, während ich das Buch zuklappte und es von selbst zurück in das Regal schwebte. Ich drehte mich zu dem Bücherstapel um. Mit in die Hüften gestützten Armen starrte ich auf die Bücher und dachte nach. Dann sah ich wieder zu dem Regal, vor dem ich stand. Ich war mir sicher, das Buch, welches ich suchte, war hier irgendwo. Um sicher zu gehen, lief ich einmal um das Regal herum. Aber auch da fand ich es nicht. Also musste es in den Büchern stehen, die ich vor mir hatte.
„Hm..." Ich überlegte weiter. So lange, bis ich mir mit der Handfläche gegen die Stirn schlug. Ich zog meinen Zauberstab hervor und richtete ihn auf die Bücher. Ich sprach einen Zauberspruch aus, der die Bücher nach der Information durchsuchte, die ich haben wollte. Und ehe ich mich versah schwebte ein Buch vor mir, aufgeklappt auf der Seite, nach welcher ich seit einer Stunde gesucht hatte. Schnell überflog ich den Text und durfte feststellen, dass dort genau das stand, was ich genau dort stehen haben wollte. Zufrieden markierte ich mir die Seite, klappte das Buch zu und nahm es in die Hand. Ich stellte die übrigen Bücher zurück an ihren Platz und wandte mich Mattheo zu. „Na dann, auf gehts.", scheuchte ich ihn los.
„Wonach hast du da gerade gesucht?", fragte er mich, als wir zusammen die Bibliothek verließen. „Ich habe heute Morgen mit Professor Binns über Dumbledore diskutiert.", erklärte ich. „Er wollte mir nicht glauben, dass er eine Schwester hat." Verdeutlichend klopfte ich auf das Buch. „Aber ich wusste, dass ich mal etwas von Ariana Dumbledore gelesen habe." Jetzt konnte ich meinem Professor in der nächsten Stunde handfeste Beweise liefern. Ich hatte Recht gehabt. Mal wieder. Professor Binns hatte mir ziemlich offensichtlich gezeigt, dass er mich nicht vermisst hatte. Er hatte sich sehr gefreut, als er endlich mal das Gefühl gehabt hatte, unsere Diskussionen gewonnen zu haben. Diese Illusion durfte ich ihm wieder zerstören.
„Wieso hast du nicht gleich deinen Zauberstab benutzt?", fragte Mattheo mich neugierig. Ich seufzte schwer. „Ich habe ein Jahr lang ohne meinen Zauberstab leben müssen. Während des Mordprozesses haben sie ihn mir weggenommen. Ich vergesse noch, dass ich ihn wiederhabe." Deshalb auch die Situation mit dem Koffer bei meiner Ankunft. „Muss schrecklich gewesen sein." Ich zuckte schlicht mit meinen Schultern. Ich war eine Muggelgeborene. Für mich war die Magie immer unnormal gewesen.
Ich zeigte Mattheo die unterschiedlichen Klassenräume. „Die Kerker kennst du bereits.", sagte ich am Treppenabsatz kurz. Da würde ich nicht runtergehen. Ich führte ihn weiter, vorbei an den anderen Gemeinschaftsräumen. Vor dem der Ravenclaws begegneten wir Luna. „Hey, Luna.", rief ich ihr hinterher, als mir einfiel, dass ich was von ihr wollte. Sie blieb stehen und drehte sich zu mir rum. „Ich würde gerne endlich mal die Thestrale sehen. Zeigst du sie mir?" Dazu hatte ich bisher noch nicht die Möglichkeit gehabt, weil ich unbedingt mit den Booten mitfahren musste. Lächelnd nickte sie. „Gerne. Morgen Abend?"
„Perfekt." Das war das einzig Gute daran, einen Mord miterlebt zu haben. Die Kutschen wurden endlich von Kreaturen gezogen. Bisher hatte ich nur über Thestrale gelesen. Einen zu sehen war etwas vollkommen anderes.
Danach ging es für Mattheo und mich weiter zum Krankenflügel, dem Klo der Maulenden Myrte, der Großen Halle und schließlich zum Eingangsportal. In der späten Abendsonne führte ich ihn zum Turm der Eulen und zum Quidditch Feld und bevor die Sonne gänzlich untergegangen war, kamen wir wieder im Schloss an. „Reicht das als Führung?", fragte ich ihn. Ein oder zwei Stunden hatte es gedauert. „Ja, das war hilfreich. Danke.", schmunzelte er.
Wir liefen zurück zur Großen Halle, wo sich die meisten Schüler bereits zum Abendessen versammelt hatten. „Gut, ich gehe was essen. Wir sehen uns... dann morgen." Ich lief zu dem Ravenclaw Tisch. „Hey, Gaia.", rief ein Junge mir von etwas weiter vorne zu. Der gesamte Tisch drehte seine Köpfe zu mir herum. Das Mädchen neben ihm schlug dem Jungen, ich meine Paul war sein Name, gegen den Arm. „Sh." Doch der Junge winkte mich unbeirrt zu sich ran. Die Ravenclaws begrüßten mich mit abschätzigen Blicken.
„Wir diskutieren gerade, setzte dich zu uns.", forderte er mich auf. Ein anderes Mädchen erhob das Wort. „Wenn ein Wassermensch Fische isst, ist das dann Kannibalismus?" Ein verwundertes Grinsen bildete sich auf meinen Lippen, als ich mich zu ihnen setzte. Gespannt wurde ich beobachtet. „Wir können uns nicht entscheiden."
„Naja, selbe Gattung, unterschiedliche Spezies. Wäre es Kannibalismus, wenn wir Affen essen würden? Es gibt auch Fische, die andere Fische fressen. Haie zum Beispiel. Das Selbe Prinzip.", gab ich meine Gedanken zu der Frage kund. „Also würdest du es nicht Kannibalismus nennen?" Ich legte grübelnd meinen Kopf schief. „Nun ja, der Begriff Kannibalismus bezeichnet in der Zoologie das Auffressen von Artgenossen. Streng genommen triff das dann zu. Aber ich denke, Kannibalismus würde ich es erst nennen, wenn Wassermenschen andere Wassermenschen essen würden." Die Truppe nickte verstehend. „Da hast du's.", wandte sich ein Junge triumphierend an ein Mädchen aus dem Jahrgang unter uns. „Aber du kannst mir doch nicht sagen, dass du das in Ordnung finden würdest.", widersprach sie ihm sofort. „Ob das ethisch vertretbar ist, ist eine ganz andere Frage.", entgegnete ich. Belustigt sahen die anderen zwischen uns drei umher.
„Letztes Jahr ohne dich war das Diskutieren nur halb so lustig.", gab ein Siebtklässler zu. „Und die Zauberei Geschichtsstunden mit Professor Binns genauso. Wir haben dich wirklich vermisst."
„Nur Professor Binns nicht.", antwortete ich belustigt. „Mal ganz abgesehen davon, dass bei dem Ein oder Anderen der Notendurchschnitt gesunken ist.", lachte jemand.
Etwas irritiert hörte ich ihnen zu. „Leute, ich dachte, ihr hasst mich." Es wurde etwas stiller. Das Mädchen von vorhin seufzte: „Nun ja, du kannst uns nicht verübeln, dass wir uns von dir fern halten, wenn sie dich überall als Mörderin verkaufen." Ich schluckte schwer. „Du hast ja auch nie jemandem von einem psychopathischen Bruder erzählt." Das stimmte. „Du bist unschuldig. Das wissen wir ja jetzt. Wir müssen uns nur wieder umgewöhnen, weil letztes Jahr ständig irgendjemand schreckliche Geschichten erzählt hat." Das hatte Hermine auch schon erwähnt. „Aber Cedric hat sich so sehr für dich eingesetzt und Dumbledore hat auch immer wieder beteuert, dass das nicht deine Schuld war."
„Wir können nicht anders, als dich als zweites Opfer der Tat zu sehen."
„Wir mussten uns nur erst selbst davon überzeugen." Ich nickte verstehend. „Das kann ich vollkommen nachvollziehen. Aber bitte, hört auf, mich zu ignorieren. Schlimm genug, dass die Slytherins mich jeden Tag 'Mörderin' nennen." Die Ravenclaws sahen einverstanden aus, also nickte ich. „Wir lernen aus unserem Fehler.", sagte Paul. „Versprochen." Ich lächelte schwach. „Es ist so unglaublich erleichternd, wieder hier sein zu dürfen.", seufzte ich. „Wir sind froh, dich zurück zu haben."
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GAIA (Mattheo Riddle FF)
أدب الهواةWenn man Wasserangst hat, springt man nicht gleich in den nächsten See, richtig? Nach einem schrecklichen Vorfall in den vergangenen Sommerferien darf Ravenclaw Gaia endlich zurück nach Hogwarts. Während sie sich kopfüber in den Schulstress schmeiß...