Kapitel 29 - Gesucht und Gefunden

4 1 0
                                    

Es waren mittlerweile mehr als vierzig Tage vergangen, vierzig Tage an denen ich mich im Hintergrund bewegen musste und probierte so wenig wie möglich aufzufallen. Vierzig Tage in absoluter Isolation und purer Einsamkeit, aber das Gefühl war mir nicht unbekannt, es war schon fast wieder heimisch. Ich probierte mich in den dreißig Quadratmetern so fit wie möglich zu halten und von meinen Wunden waren nur noch Narben übrig. In letzter Zeit waren meinen Gedanken auch wieder häufiger bei Raven, wie ich sie zum ersten und auch zum letzten mal gesehen hatte. Ich glaube, dass jeder Mensch nur eine gewisse Anzahl an Herzschmerz verträgt, bis er endgültig bricht. Bis die Mauer so hoch ist, dass niemand mehr durchkommt und man die Hoffnung aufgab. Bis man das Gefühl hatte, dass das eigene Herz von Tag zu Tag kleiner wird, bis man irgendwann davon überzeugt war gar kein Herz mehr zu haben oder gar zu besitzen, was biologisch natürlich absolut unmöglich war  und absolut gar kein Sinn  machte, dann wäre man nämlich tot, aber genauso fühlte ich mich. Tot. Absolut leer. Ich hatte schon viele Herzschmerz-Geschichten in meinem Leben und ich glaube, dass ich nur noch einen Herzschmerz brauchte, um zu den Menschen zu werden, welcher ich jetzt bin, und dieser Herzschmerz brachte mir Raven, der härteste von allen. Kopfschüttelnd machte ich mich auf dem Weg zum Dropship, komplett im Hintergrund konnte ich mich nicht bewegen, denn ich musste hin und wieder nach schauen ob es Fee gut ginge. Joyce und ich waren nicht mehr im Lager und außer uns beiden beherrschte niemand Gebärdensprache somit wurde Fee mehr oder weniger alleine gelassen. Als ich beim Dropship ankam konnte ich Fee allerdings nicht finden beziehungsweise sehen auch Harley war nicht zu sehen, ich runzelte die Stirn und lief etwas weiter in den Wald hinein, in der Hoffnung ich würde einen von beiden finden. Es herrschte absolute Stille , was ziemlich ungewöhnlich war, irgendwas stimmte nicht, das spürte ich. Kein einziges Geräusch war zu hören, selbst die Tiere um mich herum verstummten. Plötzlich fiel es mir wieder ein, der Nebel! Als der Nebeln zum ersten mal kam, verstummte ebenfalls alles um uns herum, ich musste mich zurück zum Bunker begeben, dachte ich mir und rannte so schnell ich nur konnte. Am Bunker angekommen, öffnete ich so schnell wie möglich die Luke, schloss sie und kletterte die Leiter hinunter, bis ich plötzlich jemanden schreien hörte. Ich blieb stehen und zögerte, sollte ich helfen oder sollte ich die Leiter einfach weiter hinuntersteigen und so tun, als hätte ich es nicht gehört? Schließlich hat es mir bisher nicht viel gebracht, anderen Menschen zu helfen, dachte ich mir. "Scheiß drauf" sprach ich zu mir selbst, rollte die Augen und stieg so schnell ich nur konnte die Leiter wieder hoch und öffnete die Luke. Das Geschreie hörte nicht auf, es war kein hilfloses Schreien, es war eher ein schmerzhaftes Schreien und ich probierte herauszufinden, woher es kam. Starr und aufmerksam schaute ich durch die Gegend und vertraute auf mein Gehör. Ich rannte in einer Richtung und hoffte darauf, dass es der richtige Weg war, denn überraschenderweise hing auch mein Leben wieder davon ab. Ich hörte noch jemanden nach Hilfe rufen und ich war mir sicher, dass  beide Stimmen aus einer ähnlichen Richtung kamen und rannte so schnell ich nur konnte, ich sprang über Baumstämme, duckte mich reflexartig damit mich die Äste nicht erwischten und mich nicht zu Boden warfen und wich zeitgleich den ganzen Wurzeln und Ästen auf dem Boden aus. "Fuck" flüsterte ich, denn ich rannte genau auf den blutroten Nebel zu. Ich rannte weiter und weiter bis ich plötzlich zwei Silhouetten erkannte, welche schon fast im Nebel standen, je näher ich kam, desto bewusster wurde mir, um wen es sich handelte. Während ich rannte, zog ich meine Lederjacke  aus und hielt sie schützend über meinem Kopf, so als würde ich mich vor dem nicht vorhandenen Regen schützen wollen. Als ich bei den Silhouetten endlich ankam, nahm ich schnell  die Jacke und zog sie der größeren Person schützend vor dem Gesicht über, die kleinere Person schmiss ich schnell über meinen Schultern. Natürlich war die kleinere Person Fee und dann starrten mich diese Augen wieder an, diese verfluchten smaragdgrünen Augen. Bevor sie auch nur reagieren konnte, nahm ich Harley an der Hand und wir rannten los. Sie wusste genau, wer ich war, da war ich mir sicher. Wir rannten und wir rannten, als gäbe es keinen Morgen mehr und der Nebel ganz dicht hinter uns, wir hatten nur ein paar Sekunden Vorsprung. Bis zum Lager würden wir es nicht mehr schaffen und ich musste sie mit zu mir in meinem Bunker nehmen und verriet ihr damit meinen Unterschlupf. Aber es war mir egal, ich werde im schlimmsten Fall etwas Neues finden, dachte ich. Harley vertraute mir, ihr war klar, dass wir nicht zum Lager rannten. "Los rein!" sprach ich mit einer tiefen und rauen Stimme und zeigte mit meinem Kopf auf die Luke des Bunkers. Harley stieg schnell runter und nahm Fee, welche ich langsam von meinen Schultern holte, entgegen. Kurz bevor der Nebel uns erreichte, stieg ich ebenfalls hinunter und zog die Luke schnell runter und verschloss diese, ich konnte hören wie der Nebel zeitgleich über die Luke flog. Ich verweilte kurz unter der Luke, schloss die Augen und holte einmal tief Luft, bevor ich die Leiter weiter hinunter stieg. Ich boxte neben der Leiter auf den Knopf und es fing an zu summen und kurze Zeit später gingen die Lichter an. Beide starrten mich an. "Überraschung" sprach ich kühl und wiederholte es noch einmal in Gebärdensprache für Fee, kurz danach warf ich meine Hände ironisch schon fast scherzhaft hoch. Harley schien wie festgefroren und bei Fee machte sich ein Lächeln breit, sie rannte auf mich zu und ich bückte mich langsam etwas und nahm Fee fest in den Arm. "Ich wusste, dass ich dich finden würde", kommunizierte Fee schnell mit ihren Händen und ich schaute sie etwas fragend an. "Ich habe dich im Wald gesucht und du hast mich gefunden", ergänzte sie. Harley kam auf uns zu und schaute Fee etwas streng an. "Du warst im Wald, weil du Alex gesucht hast?" sprach Harley mit ihren Händen zu Fee. "Ja", erwiderte sie. "Du kannst nicht einfach in den Wald rennen, ohne jemanden Bescheid zu geben Fee. Du hättest sterben können!" kommentierte Harley in Gebärdensprache und schien sichtlich besorgt. Seit wann kann Harley überhaupt Gebärdensprache? "Mach sowas nie wieder.. das war nur Glück, dass ich dich..euch gefunden habe, dass war wirklich sehr gefährlich und es hätte für uns alle ziemlich blöd ausgehen können." Mischte ich mich ein. "Versprich mir, dass du sowas nie wieder machst", ergänzte ich und schaute zu Fee. "Versprochen" erwiderte sie und schien etwas traurig. "Ich habe dich auch vermisst", ließ ich Fee wissen und nahm sie fester in den Arm, woraufhin sie sich anschmiegte und lächelte. Ich untersuchte Fee und schaute, ob sie irgendwelche Verletzungen vom Nebel abbekommen hatte, aber es schien, als hätte sie Glück gehabt. "Tut dir irgendwas weh?" fragte ich sie, woraufhin Fee den Kopf schüttelte. Ich hob sie hoch und legte sie in das Hochbett. "Ruh dich etwas aus, okay?" ließ ich sie wissen. "Okay", erwiderte sie und schloss kurz danach die Augen. Daraufhin drehte ich mich um und schaute Harley an, welche mich irgendwie verwundert (?!) ansah.

3069 - Rückkehr zur Erde Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt